1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikAsien

"Westen soll moderate Taliban unterstützen"

Hussain Sirat
15. Januar 2023

Was tun gegen die frauenfeindliche Politik der Taliban? Die DW sprach mit Exil-Afghanen und Vertretern der afghanischen Zivilgesellschaft über verschiedene Optionen.

Afghaninnen protestieren mit Plakaten und hochgereckten Fäusten
Afghaninnen protestieren gegen Schließung von Hochschulen für Frauen Bild: STRINGER/REUTERS

Die Taliban, seit fast anderthalb Jahren in Afghanistan an der Macht, zeigen sich uneinsichtig. Am Verbot der weiterführenden Schul- sowie der Hochschulbildung für Mädchen bzw. für Frauen und am Verbot der Mitarbeit von Frauen bei internationalen Organisationen in Afghanistan wird massive Kritik in der Region und international  geübt. Aber die fundamentalistischen Taliban stellen sich taub und fordern, dass sich andere Länder "nicht in die Angelegenheiten Afghanistans einmischen" sollten. Erst kürzlich sagte der Taliban-Führer Haibatullah Achundsada, dass sie sich auf ihrem Weg nicht beirren lassen würden. "Unsere Interaktion mit der Welt wird auf der Scharia basieren", so Achundsada.

Faisullah Dschalal, ein ehemaliger Professor an der Universität Kabul, der heute in Deutschland lebt, ist der Meinung, dass die Taliban-Führung die "Scharia", so wie sie sie versteht, nicht einfach aufgeben und dem Druck aus dem Ausland nicht nachgeben wird. Aber er erkennt innerhalb der Taliban eine nicht unwichtige Gruppe, die sehr unzufrieden mit den jüngsten Entscheidungen sei.

"Bildungsverbot für Frauen ist gegen die Scharia"

Ein Beispiel für Distanzierung einzelner führender Taliban-Mitglieder von den  massiven Einschränkungen für Frauen war ein Auftritt von Abbas Stanikzai, stellvertretendem Außenminister der Taliban. Er sagte vor wenigen Tagen vor einer Versammlung in der Provinz Logar, dass man mit "Überfluss und Mangel" nicht regieren könne. Mit "Überfluss" meinte er die seiner Meinung nach extremen Anordnungen zur Einschränkung der Frauen, mit "Mangel" die wirtschaftliche Misere im Land.

Vize-Außenminister Stanikzai: Nicht alles, was die Führung beschließt, ist konform mit der SchariaBild: Sefa Karacan/AA/picture alliance

"Wir sind nicht verpflichtet, jedem Befehl Folge zu leisten", sagte Stanikzai. "Es ist nicht verpflichtend, den Anordnungen, die gegen die Scharia verstoßen, zu folgen", fügte er hinzu. "Allen Mitgliedern der Taliban, einschließlich den Anführern dieser Gruppe, sollte gesagt werden, dass sie einen Fehler begehen, wenn sie gegen die Scharia verstoßen." Damit spielte Stanikzai auf das Bildungsverbot für Frauen an, das in anderen islamischen Ländern als unislamisch bezeichnet wird. Stanikzai legte mit seiner Kritik an der Führung nach, indem er darauf hinwies, dass, obwohl die Taliban die USA militärisch besiegt hätten, sie jedoch weiterhin auf dieses Land angewiesen seien, wenn es darum gehe, Flutopfern in Afghanistan zu helfen.

Die internationale Gemeinschaft hätte nach Ansicht von Faisullah Dschalal die Möglichkeit, diese Strömungen zu unterstützen. Bisher seien jedoch die Bemühungen, Druck auf die Taliban auszuüben, "oberflächlich und flüchtig", gewesen, stellt der Professor fest. Dies dürfte auch daran liegen, dass kaum ein Land wirtschaftliche Beziehungen mit den Taliban unterhält. Internationale Gelder und Unterstützung sollen ausschließlich für humanitäre Hilfe verwendet werden und den Taliban nicht zur Verfügung stehen, so die Haltung innerhalb der Vereinten Nationen.

Einflussnahme über Drittländer möglich?

Allerdings gibt Dschalal zu bedenken, dass die USA, wenn sie wollten, über Katar und Pakistan, die zu den Hauptunterstützern der Taliban gehören, wirksamen Druck auf die Taliban ausüben könnten. "Ich glaube nicht, dass die Taliban in diesem Fall stur bleiben würden", sagt Dschalal.

Es gibt allerdings Anzeichen für eine Abkühlung zwischen den Taliban und ihren einstmaligen Unterstützern in Islamabad. Dabei geht es auch um die Beziehungen zwischen den in Afghanistan herrschenden Taliban und ihren Kampfgenossen in Pakistan (TTP), die weiterhin eine Herausforderung für die Regierung in Islamabad darstellen.

Es wird nun spekuliert, dass es innerhalb der Kabuler Taliban Meinungsverschiedenheiten über den Umgang mit den TTP-Kämpfern gibt. Diese Differenzen könnte man ausnutzen, um die Taliban zu schwächen, meint Fazel Sancharaki, afghanischer Politologe und unter der Regierung Ghani stellvertretender Minister für Information und Kultur, im DW-Gespräch.

Militärischer Widerstand gegen die Taliban nur vereinzelt und wenig effektivBild: Privat

Eine zweite Möglichkeit, so Sancharaki, sei die Unterstützung eines bewaffneten Widerstands gegen die Taliban.  "Es muss eine Kraft gegen die Taliban geben, die die Macht dieser Gruppe herausfordern kann", so der Experte. Erst dann würden sich die Taliban ernsthaft bedroht sehen. Während fast anderthalb Jahren Taliban-Herrschaft sei allerdings von solchem militärischen Widerstand nichts zu erkennen gewesen, abgesehen von lokal begrenzten Aktionen der "Nationalen Widerstandsfront" in der Provinzen Pandschir und dem Andarab-Distrikt nordöstlich von Kabul. Auch andere politische Bewegungen, die sich im Ausland gebildet haben, hätten nichts weiter getan, als Flugblätter zu verteilen, meint Sancharaki.

Militärischer Druck keine Option

Militärischer Druck wird jedoch von den meisten Kennern für noch weniger aussichtsreich gehalten als wirtschaftlicher Druck, um die Taliban zu einer Änderung ihrer frauenfeindlichen Politik zu bewegen. Stattdessen wird der Fokus auf eine Lösung durch Dialog gelegt. Najibullah Dschame, aus Protest zurückgetretener Professor an einer privaten Universität in Kabul, hält "praktische und integrative Reformen für den einzigen Weg, um die Blockade der letzten anderthalb Jahre zu überwinden".

Angesichts der humanitären Not ist wirtschaftlicher Druck von außen schwierigBild: Javed Tanveer/AFP/Getty Images

Auch Mohammad Amin Fortun, afghanischer Schriftsteller, sagte der DW, dass eine militärische Konfrontation mit den Taliban weder möglich noch sinnvoll wäre. Die internationale Gemeinschaft könne allenfalls durch wirtschaftlichen Druck und mehr noch durch Unterstützung der kompromissbereiten Elemente der Taliban den Weg für politische Veränderungen in der Kabuler Führung ebnen.

Adaption ins Deutsche von Waslat Hasrat-Nazimi

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen