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Politik

"Wir geben den Kampf nicht auf“

Nadia Fasel
23. Januar 2023

Ende Januar 2022 wurde die 25-jährige Tamana Zaryab Paryani in Kabul verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Drei Wochen lang wurde sie brutal gefoltert, misshandelt und verhört. Der DW erzählt sie nun ihre Geschichte.

Eine Gruppe von Frauen mit erhobenen Händen und einem Plakat bei einer Demonstration in Kabul
Bis heute demonstrieren mutige Frauen in Afghanistan immer wieder gegen die Beschneidung ihrer Rechte durch die TalibanBild: STRINGER/REUTERS

"Mir wurde der Mund verbunden, Füße und Hände wurden gefesselt. Man hielt meine Beine fest und einer der Gefängniswärter schlug mit einem Kabel auf meine Fußsohlen. Manchmal steckten sie meine Füße ins Wasser und versetzten mir mit Elektrokabeln Stromstöße, bis ich bewusstlos wurde. Auch stülpten sie mir eine Plastiktüte über den Kopf, die sie dann erst kurz vor meinem Erstickungstod wegnahmen", sagt Tamana Zaryab Paryani.

Im Januar 2022 wurde die 25-Jährige in Kabul mitten in der Nacht verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Drei Wochen lang wurde sie brutal gefoltert, misshandelt und verhört. Mit ihr im Gefängnis landeten ihre drei jüngeren Schwestern. Tamana hatte zuvor Demonstrationen gegen die Herrschaft der Taliban organisiert.

Neue Regeln für die Frauen

In den Augen der Taliban verstieß Tamana vor allem mit der öffentlichen Verbrennung einer Burka gegen deren neue Gesetze, denn seit der Machtübernahme im August 2021 dürfen Frauen nicht mehr aktiv am politischen und gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Die Selbstverwirklichung aller Frauen ist seitdem stark eingeschränkt. Alle Frauen müssen sich verschleiern. In Kabul und anderen Städten ließen die Taliban Plakate aufhängen, auf denen unverschleierte Frauen mit Tieren verglichen wurden.

Tamana (3.v.l.) und ihre Schwestern - über drei Wochen lang waren sie im Januar 2022 in der Gewalt der TalibanBild: Tamana Zaryab Paryani

Tamana Zaryab Paryani ist studierte Juristin und arbeitete vor der Machtübernahme der Taliban als Journalistin für eine Zeitung. Wie viele andere Frauen in Kabul akzeptierte sie diese neuen Auflagen der Taliban nicht. Sie war eine der Organisatorinnen von Protesten hunderter Frauen Anfang September 2021, denen die Taliban brutal mit Schlägen, Waffengewalt und Inhaftierung der Teilnehmerinnen begegneten.

Tamana selbst wurde nicht sofort verhaftet. Erst Monate später drangen bewaffnete Talibankämpfer mit Gewalt in ihre Wohnung ein, in der sie zusammen mit ihren drei Schwestern lebte. Geistesgegenwärtig filmte Tamana das gewaltsame Eindringen und verbreitete die Bilder über Facebook. Ihre Verhaftung konnte so von vielen Menschen in aller Welt mitverfolgt werden - es war wohl dieser Hilferuf, der ihr und ihren Schwestern letztendlich das Leben rettete. Nur wusste sie das zu dem Zeitpunkt noch nicht.

Ihre Schwestern Zarmina, Shafiqa und Kerishma wurden in derselben Nacht wie Tamana verhaftet und in dasselbe Gefängnis gebracht. Kontakt untereinander hatten die Schwestern jedoch nicht. 26 Tage lang wurden auch sie brutal gequält. "Ich hatte vorher nie über den Tod nachgedacht", sagt die 17-jährige Shafiqa. "Ich war in einem Alter, in dem mir ein solcher Gedanke fremd war. Aber seit ich von den Taliban gefangengenommen wurde, konnte ich an nichts anders mehr denken."

Tamana Zaryap Paryani arbeitete vor der Machtübernahme der Taliban als Journalistin für eine afghanische ZeitungBild: Privat

Nach wachsendem Druck von Hilfsorganisationen und Menschenrechtlern ließen die Taliban im Februar 2022 eine große Zahl von Demonstrantinnen gegen finanzielle Bürgschaften aus den Gefängnissen frei. Die Frauen mussten den Taliban Dokumente ihrer Häuser und Besitztümer überlassen und durften fortan weder an Protesten teilnehmen noch mit den Medien sprechen oder sich politisch engagieren. Tamana und ihre Schwestern durften am 13. Februar 2022 nach Hause zurückkehren und erlebten, wie mit dem Verbot des Alleinreisens ohne männliche Begleitung, dem Ausschluss der Mädchen und Frauen vom Schul- und Universitätsbesuch und der strikten Pflicht zur Verschleierung die Rechte der Frauen immer massiver beschnitten wurden.

Hilfe aus dem Ausland

Die Nachricht über die Inhaftierung Tamanas und ihrer Schwestern löste in den sozialen Netzwerken umfangreiche Reaktionen aus. 

Durch das Video von der Verhaftung, das Tamana aufgenommen hatte, wurden viele Menschen auf das Schicksal der Schwestern aufmerksam - in Deutschland etwa die Kabuler Luftbrücke, die Redaktion der Frauenzeitschrift EMMA und die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ. Tamana und die insgesamt zehnköpfige Familie konnten Anfang Oktober 2022 über Pakistan nach Deutschland ausreisen und richten sich seitdem hier für ihr weiteres Leben ein. 

Die Schrecken des Gefängnisses liegen jetzt ein Jahr zurück, aber für Tamana, Shafiqa, Kerishma und Zarmina sind die qualvollen Wochen noch nicht verarbeitet. Sie leiden unter Angst und schlimmen Albträumen. "In der Zelle, in der wir eingesperrt waren, hörte ich die Schreie anderer Frauen und Mädchen", sagt Shafiqa: "Bis heute klingen mir die Schreie in den Ohren. Ich zittere und habe Gänsehaut." Auch ein Jahr später erinnert sich die jüngste Schwester sehr genau daran, wie sie fürchtete, jeder Atemzug könnte ihr letzter sein.

Die Schwestern wissen, dass sie in Deutschland in Sicherheit sind und sehr viel Glück hatten. Abertausende Frauen und Männer aber seien weiterhin im "Terror der Taliban in Afghanistan gefangen", sie leiden in Angst und Schrecken jeden Tag und fürchten um ihr Leben, betonen sie. Sie erfahren aber auch, dass sie selbst in Deutschland seit ihrer Ankunft mit hasserfüllten Vorwürfen hier lebender Taliban-Sympathisanten überzogen werden, dass sie sogar bedroht werden.

Mit Tränen in den Augen macht sich Zarmina Sorgen um die anderen Demonstrantinnen in Afghanistan, die das Land nicht wie sie haben verlassen können. Viele der im Gefängnis sexuell missbrauchten Mädchen haben aus Angst um ihren Ruf und dem ihrer Familien Selbstmord begangen, berichtet sie.

"Wir haben für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung gekämpft, wir haben Opfer gebracht," erzählt Tamana über ihre Zeit in Afghanistan. "Aber wir leiden auch hier für unsere Landsleute in unserer Heimat."

Wenn Tamana in die Zukunft schaut, fürchtet sie eine noch "brutalere, noch grausamere Talibanherrschaft." Zusammen mit ihren Schwestern appelliert sie an die internationale Gemeinschaft, neben und trotz der schwierigen Lage der Frauen im Iran und in der Ukraine die Frauen in Afghanistan nicht zu vergessen.