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GesellschaftAsien

Afghanische Frauen geben Hoffnung nicht auf

17. Januar 2022

Viele einflussreiche afghanische Frauen haben nach der Machtübernahme der Taliban das Land verlassen. Überlassen wollen sie es ihnen aber nicht.

Afghanistan Kabul Proteste von Frauen gegen Beschränkungen durch Taliban
Afghaninnen protestieren im Dezember in Kabul für FrauenrechteBild: ALI KHARA/REUTERS

"Wir sind noch da! Mutige Frauen aus Afghanistan" heißt das Buch, für das die inzwischen in Deutschland lebende Künstlerin Nahid Shahalimi Interviews mit 13 Afghaninnen geführt hat, die in ihrer Heimat einflussreiche Tätigkeiten in Politik, Wirtschaft und Kultur ausgeübt haben. Eine von ihnen ist Razia Barakzai, die die Proteste afghanischer Frauen für ihre Rechte unmittelbar nach dem Fall Kabuls im August 2021 angestoßen hatte. Derzeit hält sie sich wegen Morddrohungen an einem unbekannten Ort in Afghanistan auf.

Barakzai, eine ehenmalige Mitarbeiterin im Präsidialamt, berichtet von der Brutalität, mit der die Taliban den Protesten der Frauen entgegentraten. Gewehrkolben, Pfefferspray, Tränengas, Elektroschocks, Peitschen: Alles war den neuen Machthabern recht, um die Demonstrantinnen auseinanderzutreiben und ihnen Angst davor einzujagen,  erneut auf der Straße zu protestieren.

Versteckt und im Exil

Von den Frauen, die sie seit vergangenem September in Afghanistan interviewt hat, sei Razia Barakzai die einzige, die sich weiterhin dort aufhält, sagt Nahid Shahalimi im DW-Interview. Sie und ihre Mitstreiterinnen hatten bereits einen Weg gefunden, auch sie aus Afghanistan herauszuholen, sagt Shahalimi. "Aber sie wollte bleiben, da sie ihre Eltern nicht zurücklassen wollte. Seitdem hat sie eine Odyssee durch mehrere afghanische Städte hinter sich. Auch im Iran hat sie sich eine Zeitlang versteckt. Inzwischen hält sie sich wieder in Afghanistan auf."

Die frühere Abgeordnete Fausia Kufi, derzeit im Exil in DohaBild: Privat

Das Risiko, von den Taliban aufgespürt und womöglich getötet zu werden, sei für politisch engagierte Frauen hoch, sagt Nahid Shahalimi. Deswegen hätten sich fast alle ihrer Gesprächspartnerinnen dazu entschieden, das Land zu verlassen. Zu ihnen zählt etwa die ehemalige Parlamentsabgeordnete Fausia Kufi, Gründerin der Partei "Movement of Change for Afghanistan". Zusammen mit drei anderen Frauen hatte sie an den Friedensverhandlungen mit den Taliban 2020 in Doha teilgenommen, wo sie sich derzeit aufhält. Sie hat in Afghanistan ein Attentat überlebt, ihr Ehemann, ihr Vater und ihre Brüder kamen bei Anschlägen ums Leben.

"Rückschlag für Jahrzehnte"

Doch erst die Machtübernahme der Taliban hat sie veranlasst, ihr Land zu verlassen. "Es ist erschütternd zu sehen, dass diejenigen, die aus dem Land geflohen sind, diejenigen sind, in die das Land am meisten investiert hat, um sie zu dem zu machen, was sie sind, wie zum Beispiel FacharbeiterInnen, JournalistInnen, KünstlerInnen, SchauspielerInnen und andere", erklärt sie in dem Band. "Das Land wird Jahrzehnte brauchen, um diese Talente und die Intellektuellen zurückzuholen."

Ebenfalls in Doha hält sich derzeit die Kulturwissenschaftlerin Fatima Gailani auf. Sie wirkte an der im Jahr 2004 in Kraft getretenen Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan mit. Später nahm auch sie an den Friedensverhandlungen mit den Taliban teil: "Wir haben darauf bestanden, dass auch die Taliban der Republik beitreten, und man konnte sehen, wie sie warteten und sich einfach nur sagten: Nein, nein, morgen bekommen wir das Land zurück."

Die Kompromisslosigkeit der Taliban sei die bislang letzte Episode einer Gewaltgeschichte, die das Land seit über 40 Jahren prägt, sagt Nahid Shahalimi im DW-Gespräch. Diese Gewalt brachte nicht nur äußere, sondern auch innere Verheerungen mit sich. "Ein Mensch, der vor 43 oder 44 Jahren in Afghanistan geboren wurde, hat nichts als Krieg gesehen." Es sei ein Irrtum, anzunehmen, vor dem Fall Kabuls im vergangenen August sei alles gut gewesen. "Jeder, der das Land verlassen hat, hat mit einem Trauma zu kämpfen. Der Fall von Kabul hat dieses Trauma nur wiederbelebt."

"Schmerzhafte Gespräche" - Die Autorin Nahid ShahalimiBild: Isa Foltin/Getty Images

Enttäuschte "Generation Freiheit"

Aryana Sayeed ist eine der bekanntesten afghanischen Sängerinnen. Nachdem sie 1985 mit ihren Eltern im Alter von acht Jahren zunächst nach Pakistan floh und auf Umwegen nach London kam, kehrte sie 2011 nach Afghanistan zurück. Sie singt in den beiden Landessprachen Farsi und Paschtu: Ein künstlerisches Bekenntnis zur Einheit des Landes, das die Taliban, nahezu ausschließlich den Paschtunen angehörig, in Frage stellen. Zur unerwünschten, teils auch zur Hassfigur wurde Sayeed, als sie Jurorin bei der Sendung "The Voice of Afghanistan" war: 2013 erließen zwölf Religionsgelehrte eine Fatwa, die dazu aufforderte, die Künstlerin zu töten.

Nach der Machtübernahme der Taliban, so wird Sayeed in Shahalimis Buch zitiert, "hat sich eine neue Generation, die sogenannte Generation Freiheit, langsam damit abgefunden, dass sie nicht mehr in der Lage sein wird, ein einigermaßen normales Leben zu führen. Mädchen und Frauen, die begonnen hatten, sich als einigermaßen normale Menschen zu fühlen, werden gezwungen, wieder als Gefangene in ihren Wohnungen zu leben." Sayeed selbst konnte diesem Schicksal entgehen: In einem amerikanischen Militärflugzeug konnte sie das Land kurz nach der Machtübernahme der Taliban verlassen.

Singt auf Farsi und Paschtu: Aryana SayeedBild: Hasib Sayed/Aryana Sayeed

"Auch Taliban werden lernen müssen"

Sie habe während der Arbeit an dem Buch die schwierigsten und schmerzhaftesten Gespräche ihres Lebens geführt, schreibt Shahalimi im Vorwort. Und doch habe die Arbeit ihr auch Kraft gegeben, an die Zukunft Afghanistans zu glauben. Worauf gründet dieses Kraft? Zum einen auf der Entschlossenheit, die sie in vielen Gesprächen gespürt habe, sagt Shahalimi, auf dem Willen, zumindest im kleinen etwas zu erreichen. Dann aber auch darauf, dass zumindest die westlichen Staaten in Verhandlungen mit den Taliban konsequent Menschen- und damit auch die Frauenrechte einfordern.

Der große Exodus - Anstehen für Reisepässe in Kabul Bild: Mohd Rasfan/AFP/Getty Images

Und noch etwas mache ihr Mut, sagt sie im DW-Gespräch. Nämlich, dass die Taliban  im Alltag lernten, dass es ohne Frauen nicht geht. "Ihnen ist zum Beispiel klar geworden, dass Frauen am Flughafen etwa beim Sicherheitspersonal gebraucht werden. Denn ohne sie kann man weibliche Passagiere nicht kontrollieren. Natürlich sind das eher kleine Fortschritte, die auf diese Weise erzielt werden. Ich hoffe einfach, dass mit solchen sehr kleinen Fortschritten ein Dialog beginnt und dass die Taliban unter dem Druck der von der internationalen Gemeinschaft gestellten Bedingungen und Maßstäbe damit beginnen, zumindest auf die Afghanen zu hören, einschließlich auf die afghanischen Frauen. Denn eigentlich sollten nur die Afghanen entscheiden, was mit ihrem Land geschieht. Ich hoffe, dass das Land über diese kleinen Fortschritte zumindest zu einer gewissen Normalität zurückfindet, auch wenn das längst nicht das ist, was viele Afghaninnen und Afghanen sich erträumen."

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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