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Politik

Afghanistan - Abschiebung in den Krieg

31. Mai 2017

Auch wenn nach dem Anschlag von Kabul ein Abschiebeflug ausgesetzt wurde: Deutschland bringt verstärkt Afghanen in ihr Heimatland zurück. Viele Rückkehrer fallen ins Nichts. Von Sandra Petersmann, Kabul.

aus Deutschland nach Afghanistan abgeschobene Afghanen
Bild: DW/S. Petersmann

Seine Sätze sind kurz und gepresst: "Ich habe Angst; ich bin hier nicht sicher; keine Ahnung - ich kann hier nicht leben". Es ist schwer, mit Rahmat ins Gespräch zu kommen. Der junge Mann heißt nicht wirklich so. Den Namen hat er sich gerade ausgedacht. Rahmat will nicht mehr in den Medien auftauchen. Unmittelbar nach seiner Rückkehr hatte er viele Interviews gegeben. Von der Öffentlichkeit hatte er sich eine schnelle Rückkehr nach Deutschland erhofft. Doch er ist immer noch in Kabul. Und seine Angst vor dem Leben in der afghanischen Hauptstadt wächst. Der 23-Jährige trifft sich allein deshalb mit der Deutschen Welle, weil er sich verzweifelt an jeden Kontakt aus Deutschland klammert.  

Abschiebung per Charterflug

Rahmat war auf dem ersten Charter-Flugzeug, das am 14. Dezember 2016 mit 34 abgelehnten Asylbewerbern aus Frankfurt nach Kabul flog. Seitdem hat die Bundesrepublik jeden Monat eine Maschine gechartert, um junge afghanische Männer abzuschieben - insgesamt 107 bis Ende April. Jeder dieser Flüge hat mehr als 300.000 Euro gekostet. Die Kosten trägt FRONTEX, die europäische Agentur für Grenz- und Küstenwache. Afghanistan hat mit der EU und mit einzelnen Ländern wie Deutschland Rückführungsabkommen unterzeichnet. Die afghanische Regierung hat sich verpflichtet, die Abgeschobenen aufzunehmen. Im Gegenzug haben die europäischen Partner weitere Finanzhilfen zugesagt. Rund zwei Drittel des afghanischen Haushalts werden vom Ausland finanziert. 

Rahmat ist nervös und fahrig. Er raucht Kette. Auf seiner Stirn bilden sich immer wieder kleine Schweißperlen. Er benutzt das karierte Tuch um seinen Hals, um sein Gesicht zu verbergen, wenn ihm die Fragen zu anstrengend werden. Sein Vater sei ein wichtiger Kommandeur gewesen, die Taliban hätten ihn vor acht Jahren ermordet. "Wenn die mich finden, dann töten die mich auch." Doch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge glaubte ihm nicht und lehnte seinen Asylantrag ab.

Anschlag auf Nato-Konvoi in Kabul Anfang Mai: Bomben und Attentäter gehören zum AlltagBild: picture-alliance/AP/dpa/M. Hossaini

Der junge Mann wurde im Pandschir-Tal geboren und wuchs in der umkämpften Provinz Ghazni auf. Von dort war er im Frühjahr 2011 über den Iran, die Türkei, Griechenland, Italien und Frankreich nach Deutschland geflohen. Die Flucht habe mehr als 10.000 Dollar gekostet; die Familie sei dafür aufgekommen. Heute spielt diese Familie in seinem Leben keine Rolle mehr. Seine Mutter und sein Bruder seien verschwunden. Es gebe seit seiner Flucht keinen Kontakt. Zurück nach Ghazni will Rahmat nicht. Erst vor wenigen Tagen haben die Taliban die Provinzhauptstadt erneut angegriffen.

Aalen in der Nähe von Stuttgart war sechs Jahre lang sein Lebensmittelpunkt - bis zur Abschiebung: Die hat ihn völlig überrumpelt:  "Das ist so unfair. Ich habe viel Zeit in Deutschland verbracht, über sechs Jahre. Ich habe nichts falsch gemacht. Ich bin zur Schule gegangen, habe die Sprache gelernt und mich gut benommen."

Rettungsanker Smartphone

In Kabul lebt Rahmat jetzt bei der Familie eines afghanischen Freundes aus Deutschland. Zur Miete. Für 60 Euro im Monat. Doch das Wohnen bei Fremden ist ihm unangenehm. "Ich gehe da nur zum Schlafen hin, ich will denen nicht zur Last fallen. Die Tage verbringe ich draußen."

Tagsüber streift er ziellos umher und fragt nach Arbeit. Doch Kabul ist voll von Arbeitssuchenden - und von Verzweiflung. Im vergangenen Jahr hat der Krieg mehr als 600.000 Menschen zu Flüchtlingen im eigenen Land gemacht. In diesem Jahr sind noch einmal mehr als 90.000 hinzugekommen. Zeitgleich schieben die Nachbarländer Pakistan und Iran massiv afghanische Flüchtlinge ab - fast 700.000 Menschen im vergangenen Jahr. Viele Rückkehrer zieht es in den Großraum Kabul. Die Stadt ist überfordert mit dem Ansturm. Die Slums und Flüchtlingslager wachsen.

Fluchtpunkt Kabul: Die Stadt ist überfordert mit Hunderttausenden BinnenflüchtlingenBild: DW/S. Petersmann

Rahmat klammert sich an sein Smartphone. Er chattet oft stundenlang. Whatsapp, Viber und Facebook sind seine Brücken nach Deutschland. Eine Unterstützerin aus Baden-Württemberg schickt ihm regelmäßig Geld: 150 Euro im Monat. Damit schlägt er sich durch. Er könnte über die Internationalen Organisation für Migration (IOM) eine einmalige deutsche Wiedereingliederungshilfe von bis zu 700 Euro beantragen. Dafür müsste er eine Geschäftsidee oder einen Ausbildungsnachweis vorlegen. Doch Rahmat besitzt  noch nicht einmal gültige afghanische Papiere. Er ist lethargisch; seine Angst vor dem Leben in Kabul wächst. Er vermisst Freiheit und Sicherheit. Seit seiner Rückkehr vor einem halben Jahr gab es in der zur Festung ausgebauten Hauptstadt acht schwere Anschläge. Autobomben, Selbstmordattentäter gehören zum Alltag.

Angst vor Schande

Für Fareshta Qedeez von der Internationalen Psychosozialen Organisation IPSO ist Rahmat ein klassischer Fall. "Wenn sich ein junger Mensch stark mit der anderen Gesellschaft identifiziert hat und dann zurückgeschickt wird, dann ist es schwer, sich wieder in eine traditionelle, konservative Gesellschaft mit klaren Grenzen einzufügen."

Psychologin Quedeez. "Schande ist ein dominierendes Element"Bild: DW/S. Petersmann

IPSO kümmert sich im kriegsgeplagten Afghanistan um psychisch verletzte Menschen, bietet Gespräche und Therapien an. 40 Jahre Dauerkrieg haben in der Gesellschaft tiefe Spuren hinterlassen. Die Organisation wird vom deutschen Auswärtigen Amt unterstützt und gehört längst auch zu den Anlaufstellen für abgeschobene Asylbewerber. IPSO-Helfer warten am Flughafen in Kabul, wenn eine neue Charter-Maschine landet.

Etwa die Hälfte der bisher Abgeschobenen nutze das Angebot, nehme Hilfe in Anspruch, berichtet Qedeez. Doch die Hemmschwelle sei groß: "Schande ist ein  dominierendes Element in der afghanischen Gesellschaft. Wir tun alles dafür, um Schande von uns fernzuhalten. Zu versagen, bedeutet in der afghanischen Gesellschaft große Schande. Die Abgeschobenen fühlen sich als schändliche Versager."

Schwer verletzt am Boden

In einigen Fällen gelinge es, den Abgeschobenen über empathische Gespräche neue Perspektiven zu eröffnen, aber nicht in allen, erläutert die junge Psychologin weiter. "Vor allem jene, die direkt vom Arbeitsplatz weggeholt und abgeschoben wurden, sind hier in Kabul total verloren. Die vertrauen niemandem. Ihr Selbstbewusstsein ist zerstört."

Der 29-jährige Isa will nicht reden, sondern abhauen. Am besten sofort. In den Iran. Von dort aus erst mal in die Türkei. Hauptsache wieder weg. Isa versucht das nötige Geld für die Schlepper aufzutreiben. Isa war unter den achtzehn jungen Männern, die im Februar nach Kabul abgeschoben wurden. Dabei hatte Isa vor seiner Flucht nach Deutschland fast 20 Jahre lang in Pakistan gelebt.

Heute lebt er in einem Schutzhaus der afghanischen Hilfsorganisation AMASO. Isa macht den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani für seine Misere verantwortlich: "Afghanistan verhält sich wie jemand, der zusammengeschlagen wird, schwer verletzt am Boden liegt und trotzdem behauptet, dass es ihm gut geht. Genau so hat sich unsere Regierung verhalten, als sie das Abkommen mit Deutschland unterschrieben hat. Unser Präsident weiß genau, wie unsicher sein Land ist."

Reine Geldverschwendung?

Die Abschiebungen seien "reine Geldverschwendung", urteilt Abdul Ghafoor, der Leiter der Hilfsorganisation AMASO. Er hat in Kabul ein Netzwerk für Flüchtlinge und Migranten aufgebaut. Rund die Hälfte der Abgeschobenen aus Europa, zu denen er Kontakt habe, hätte Afghanistan nach spätestens drei Monaten wieder verlassen. Ghafoor kann das verstehen: "Was tun die Verantwortlichen denn, damit die afghanische Jugend bleibt anstatt zu fliehen? Was tut unsere Regierung, um für mehr Sicherheit zu sorgen? Die Taliban sind heute stärker als sie es jemals seit 2001 waren. Damals gab es hier keinen selbsternannten Islamischen Staat. Heute gibt es ihn. Warum sollten die jungen Menschen bleiben? Wofür?"

Helfer Ghafoor: "Was tut unsere Regierung?"

Die afghanische Regierung ist zerstritten. Sie kontrolliert nur noch knapp 60 Prozent des Landes. Neben den Taliban kämpfen etwa 20 Terrorgruppen und dutzende Milizen auf dem afghanischen Schlachtfeld. Das Wirtschaftswachstum ist nach dem Rückzug von mehr als 100.000 internationalen Soldaten eingebrochen. USA und NATO bereiten sich darauf vor, wieder mehr Truppen nach Afghanistan zu schicken, um die Lage zu stabilisieren.

An der deutschen Abschiebepolitik ändert das nichts. Allein von Januar bis April hat das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge rund 32.000 Asylanträge von Afghanen abgelehnt, deutlich mehr als im gesamten Vorjahr.

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