Afghanistan: Bildungsaktivist frei, Unterdrückung hält an
Khudainoor Nasar
1. November 2023
Die Taliban haben den Bildungsaktivisten Matiullah Wesa nach monatelanger Inhaftierung freigelassen. Ist das ein Zeichen, dass die Taliban-Regierung ihre Politik ändert? Beobachter haben große Zweifel.
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Nach sieben Monaten Haft ohne Anklage ist Matiullah Wesa wieder auf freiem Fuß. Laut seiner Familie wurde er am 26. Oktober aus dem Gefängnis entlassen. Matiullah Wesa ist der Gründer der gemeinnützigen Organisation Pen Path, die sich seit 2009 für Bildung in Afghanistan einsetzt.
Ende März wurde er in der Hauptstadt Kabul festgenommen. Wesas Bruder, Attaullah, berichtete der DW, dass die Taliban das Haus der Familie durchsuchten, ungefähr zur gleichen Zeit, als Matiullah Wesa festgenommen wurde. Der Bruder sagte, die Taliban hätten Wesa und der Familie vorgeworfen, in "Spionage" verwickelt zu sein. "Sie haben keine Beweise gefunden", betonte er weiter. Es ist noch nicht klar, warum die Taliban Wesa freigelassen haben. Er selbst hat sich noch nicht geäußert.
Wesas Arbeit ist seit Jahren in der Öffentlichkeit bekannt. Bis zu seiner Verhaftung setzte er sich für die Bildung von Kindern ein, insbesondere von Mädchen in abgelegenen Teilen des Landes. Der 30-jährige Aktivist aus dem im Süden des Landes gelegenen Kandahar hatte die Taliban zuletzt auch immer wieder offen aufgefordert, weiterführende Schulen für Mädchen wieder zu öffnen. Er berichtete regelmäßig in sozialen Medien über seine Aktivitäten und die seiner Organisation.
Uni-Verbot: Afghanistans entrechtete Frauen
Seit ihrer Machtübernahme Mitte 2021 schränken die Taliban die Rechte afghanischer Frauen und Mädchen immer weiter ein. Nun versagen die Islamisten Frauen auch die Hochschulbildung.
Bild: AFP
Abschied für immer?
Eine Frau in Burka verlässt eine Universität in der Provinz Kandahar. Sie wird nicht zurückkehren dürfen: In einer Regierungserklärung wiesen die islamistischen Taliban am Dienstag alle privaten wie öffentlichen Universitäten Afghanistans an, Frauen den Besuch der Hochschulen zu untersagen. Alle Studentinnen werden mit sofortiger Wirkung von den Universitäten ausgeschlossen.
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Frauen müssen draußen bleiben
Am Tag nach dem Universitätsverbot kontrollieren Taliban den Eingang einer Universität in Kabul: Studentinnen müssen draußen bleiben. Das Verbot gilt für unbestimmte Zeit. Doch an den Hochschulen regt sich bereits Protest: Männliche Kommilitonen verließen eine Prüfung, Professoren legten ihre Arbeit nieder.
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Hochschulbildung? Reine Männersache
Einschränkungen gab es schon zuvor: Nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 mussten die Universitäten Eingänge und Unterrichtsräume nach Geschlechtern trennen. Frauen durften nur noch von anderen Frauen oder alten Männern unterrichtet werden. Hier ist zu sehen, wie ein Bereich für Studentinnen in der Universität Kandahar mit einem Vorhang abgetrennt ist.
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Die letzten ihrer Art
Diese Absolventinnen der Benawa Universität Kandahar konnten im März noch ihren Abschluss in Informatik machen. International wird die neuerliche Einschränkung der Frauenrechte heftig kritisiert: Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch nannte das Universitätsverbot eine "beschämende Entscheidung", die UN bezeichneten es als Menschenrechtsverletzung.
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"Verheerende Auswirkungen auf die Zukunft des Landes"
Noch im Oktober hatten Tausende Mädchen und Frauen Aufnahmetests für Universitäten abgelegt, so wie diese vor der Uni Kabul. Viele von ihnen wollten Lehramtsfächer oder Medizin studieren. UN-Generalsekretär António Guterres erklärte, dass das Universitätsverbot "nicht nur gegen die Gleichberechtigung von Frauen verstößt, sondern auch verheerende Auswirkungen haben wird."
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Keine Bildungschancen für Mädchen
Das Verbot des Universitätsbesuchs ist eine weitere Einschränkung der Bildungsmöglichkeiten für Frauen und Mädchen: Schon seit Längerem dürfen im Großteil des Landes Teenagerinnen keine weiterführenden Schulen ab der siebten Klasse besuchen. Diese Mädchen, die im Osten Afghanistans auf dem Schulweg sind, haben Glück: Einige Provinzen abseits der Machtzentren der Taliban ignorieren das Verbot.
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Land der unsichtbaren Frauen
Mädchen und Frauen sind vom öffentlichen Leben weitgehend ausgeschlossen. Seit einigen Monaten dürfen sie in Kabul keine Fitnessstudios und Parks mehr besuchen. Auch dieser Freizeitpark in der Hauptstadt ist für Besucherinnen tabu. Die Taliban begründeten das Verbot damit, das Vorschriften zur Trennung der Geschlechter nicht eingehalten würden und Frauen das vorgeschriebene Kopftuch nicht trügen.
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Dystopie wird Realität
Frauen sammeln Safranblüten in der Provinz Herat. Diese Arbeit ist ihnen erlaubt, im Gegensatz zu den meisten anderen Berufen. Seit ihrer Machtübernahme haben die Taliban zahlreiche Regelungen erlassen, die das Leben von Frauen und Mädchen massiv einschränken: So ist ihnen das Reisen ohne männlichen Begleiter verboten, außerhalb ihrer Wohnung müssen sie Hidschab oder Burka tragen.
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"Schande für die Welt"
Viele Afghaninnen wollen die Abschaffung ihrer Rechte nicht hinnehmen: Hier demonstrieren Frauen im November in Kabul. "Die schreckliche Situation afghanischer Frauen ist eine Schande für die Welt", ist auf einem Plakat zu lesen. Der öffentliche Protest erfordert viel Mut: Die Demonstrantinnen riskieren Prügel- und Haftstrafen. Frauenrechtsaktivistinnen werden in Afghanistan verfolgt.
Bild: AFP
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Bilder mit Frauen, die Granatäpfel essen
Als Matiullah Wesa verhaftet wurde, beschuldigten ihn Pro-Taliban-Nutzer in den sozialen Netzwerken des "unislamischen" und "unmoralischen" Verhaltens, erzählte sein Bruder Attaullah. „Sie posteten Fotos von ihm beim Essen von Granatäpfeln mit Frauen." In der Provinz Kandahar, aus der Wesa stammt, feiern die Einheimischen im Spätherbst das "Granatapfelfest". Matiullah Wesa und seine Mitarbeiter bei der Organisation Pen Path haben dieses Fest auch in Kabul mit männlichen und weiblichen Freiwilligen gefeiert. "Alle diese Bilder wurden auf unseren Social-Media-Seiten geteilt. Als Wesa verhaftet wurde, wurden diese Bilder als Propaganda gegen uns verwendet", so Attaullah Wesa.
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Unterdrückung der Frauen und Mädchen geht weiter
Ein Zeichen für eine sich wandelnde Einstellung bei den Taliban sehen Beobachter in der Freilassung von Mtiullah Wesa nicht. Heather Barr, stellvertretende Direktorin der Abteilung für Frauenrechte bei Human Rights Watch, sagte der DW, dass die Unterdrückung der Frauen und Mädchen in Afghanistan weitergehe. "Die Taliban setzen fortlaufend neue Verletzungen der Rechte durch", sagte Barr. Da die Aufmerksamkeit der Welt derzeit anderswo liege, fühle sich die Taliban-Regierung "sehr frei ", "ihre Missbräuche fortzusetzen und zu verschärfen." Sie betonte weiter: "Ich glaube nicht, dass wir in der Freilassung eine Art Sinneswandel seitens der Taliban sehen sollten", und fügte hinzu: "Sie halten immer noch mehrere Frauenrechtsaktivisten illegal in Haft. Sie sollten ebenfalls sofort freigelassen werden".
Lage der Frauen in Afghanistan verschlechtert sich stetig
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Seit dem Abzug der US- und internationalen Streitkräfte und der Machtübernahme der Taliban n Afghanistan im Jahr 2021 haben die Islamisten Dutzende Aktivisten festgenommen, darunter Frauen, Menschenrechtler und Journalisten. Seit 2022 dürfen Mädchen keine weiterführenden Schulen mehr besuchen, Studentinnen erhalten keinen Zutritt zu Universitäten. Die Taliban behaupten, dass sie Schulen und Universitäten für Mädchen wider öffnen würden, sobald getrennte Klassen für Mädchen und Jungen eingerichtet seien,
Aus dem Englischen adaptiert von Shabnam von Hein.