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Politik

Afghanistan: Bundesregierung gegen Trumps Abzugspläne

Nina Werkhäuser | Sandra Petersmann
19. November 2020

US-Präsident Donald Trump will einen großen Teil der amerikanischen Truppen aus Afghanistan abziehen. Das könnte die Bundeswehr in Schwierigkeiten bringen.

US-Präsident Trump besucht Afghanistan
Donald Trump besuchte im November 2019 die US-Truppen auf dem Stützpunkt Bagram nördlich von KabulBild: picture-alliance/dpa/AP/A. Brandon

Sollten die USA tatsächlich bis zum 15. Januar einen großen Teil ihrer Truppen aus Afghanistan abziehen, dann dürften auch für die Bundeswehr die Tage am Hindukusch gezählt sein. 1250 deutsche Soldaten sind zurzeit an den drei Standorten Masar-i-Scharif, Kabul und Kundus stationiert; sie beraten die afghanische Armee und bilden afghanische Soldaten aus.

"Zusammen rein, zusammen raus", lautete stets die Devise in der NATO, wenn es um die gemeinsame Afghanistan-Mission ging. Diesen Konsens haben die USA nun offenbar verlassen – sehr zum Ärger der Bundesregierung. Derzeit sind insgesamt rund 12.000 Soldaten aus 38 Nationen an dem NATO-Einsatz in Afghanistan beteiligt.

"Nicht überstürzt handeln"

In Berlin sieht man den richtigen Zeitpunkt für einen Abzug noch nicht gekommen. Im Gegenteil: Die derzeit laufenden Friedensverhandlungen zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung in Katars Hauptstadt Doha wertet die Bundesregierung als besonders sensible Phase. Die Gespräche stocken, die Gewalt eskaliert. "Dass beide Seiten nach Jahrzehnten des Konflikts nun an einem Verhandlungstisch sitzen und begonnen haben, konstruktiv miteinander zu sprechen, ist sicherlich keine Selbstverständlichkeit", betonte Bundesaußenminister Heiko Maas. Dabei gebe es ohnehin viele Unwägbarkeiten und Hürden. "Deshalb sollten wir nicht ohne Not noch zusätzlich Hürden aufbauen, die ein überstürzter Abzug aus Afghanistan ganz sicher zur Folge haben würde."

Vertreter der Taliban bei den Friedensverhandlungen in Dohas Hauptstadt KatarBild: Getty Images/AFP/K. Jaafar

Bedingungen durch Taliban noch nicht erfüllt

Dass die Friedensverhandlungen und ein möglicher Truppenabzug miteinander verknüpft sind, daran erinnerte auch Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer: Die NATO-Staaten einschließlich der USA hätten vereinbart, dass vor einem Abzug Bedingungen verlässlich verhandelt sein müssten. "Das ist nach wie vor die Geschäftsgrundlage, auf der wir agieren", betonte Kramp-Karrenbauer am Dienstag (17.11.2020) an der Universität der Bundeswehr in Hamburg. Noch zeigten die Friedensverhandlungen aber nicht die gewünschten Ergebnisse.

In einem Abkommen, das die US-Regierung am 29. Februar 2020 mit den Taliban geschlossen hat, sollten vor einem Abzug der US-amerikanischen und der NATO-Truppen zumindest zwei wichtige Bedingungen erfüllt sein: Die Taliban sollten mit dem Terrornetzwerk Al Kaida öffentlich brechen und sicherstellen, dass von Afghanistan keine Terrorgefahr mehr ausgeht. Für diesen Fall hatten die USA den Rückzug aller internationaler Truppen bis Ende April 2021 in Aussicht gestellt. Beide Bedingungen sind nach Auffassung der Vereinten Nationen bis heute nicht erfüllt.  

Verlustreicher Einsatz

Für die Bundeswehr ist der Einsatz in Afghanistan, der nach den Anschlägen vom 11. September 2001 begann, der bisher schwerste und verlustreichste in ihrer Geschichte. Bis 2014 war die Bundeswehr unter dem militärisch robusten ISAF-Mandat erst in Kabul, dann im Norden Afghanistans stationiert, zu Spitzenzeiten mit mehr als 5000 Soldatinnen und Soldaten. Dabei geriet sie in schwere Kämpfe mit Aufständischen. 59 deutsche Soldaten kamen in dieser Zeit ums Leben.

Deutsche Soldaten begleiten am 18.04.2010 im Feldlager Masar-i-Scharif den Sarg eines gefallenen Kameraden Bild: picture-alliance/dpa/M. Gambarini

2015 begann eine neue Phase: Aus dem Kampfeinsatz der internationalen Schutztruppe ISAF unter Führung der NATO wurde die Ausbildungsmission "Resolute Support". Die USA stellten bis zur Unterzeichnung des Abkommens mit den Taliban mit rund 8000 Soldaten das größte Truppenkontingent in diesem Einsatz, den sie auch kommandieren.

Seitdem ist die US-Truppenstärke bis auf 4500 Soldaten reduziert worden. Anders als die Bundeswehr, die sich auf die Beratung und Ausbildung der afghanischen Armee konzentriert, bleiben die US-Truppen in einer Doppelrolle: Sie treten weiterhin robust auf, bekämpfen die Taliban und andere Aufständische.

Sicherheit ohne die USA? 

Nach dem Willen von Donald Trump sollen bis Mitte Januar bis auf 2500 alle US-Soldaten nach Hause zurückkehren. Damit will der abgewählte US-Präsident in letzter Minute sein Versprechen einlösen, den "endlosen Krieg" in Afghanistan zu beenden.

Doch der rasche Abzug der US-Truppen, fürchtet die Bundesregierung, könnte extremistische Kräfte in Afghanistan stärken. Als größter, am besten ausgerüsteter Truppensteller sind die USA für die anderen Nationen eine Rückversicherung. Im Ernstfall eines Angriffs leisten sie Unterstützung aus der Luft und helfen bei der Evakuierung verletzter Soldaten.

Die US-Truppen leisten bei der NATO-Operation "Resolute Support" Luftunterstützung für die VerbündetenBild: Allison Dinner/ZUMAPRESS/imago images

"Übereilter Abzug wäre fatal"

Der ehemalige Bundeswehrsoldat Roderich Kiesewetter, heute einer der profiliertesten Außenpolitiker der konservativen Christdemokratischen Union von Bundeskanzlerin Angela Merkel, beobachtet die Abzugspläne von Donald Trump schon seit Monaten mit Sorge. Einen überstürzten Abzug aus Afghanistan hielte er für fatal, "weil dort die USA ungeheuer viel investiert haben, sehr viele Menschenleben verloren haben, aber auch für sehr viele Verluste unter der Zivilbevölkerung gesorgt haben".

Nach Angaben der Vereinten Nationen kamen in Afghanistan allein in den vergangenen zehn Jahren mehr als 32.000 Zivilisten durch Terroranschläge, Gefechte und Luftangriffe ums Leben. Seit Beginn des Einsatzes am 7. Oktober 2001 sind 2451 US-Soldaten gefallen.

Kiesewetter sieht die USA in der "moralischen Verpflichtung", weiter beim Wiederaufbau Afghanistans zu helfen – auch militärisch: "Überstürzt und übereilt rauszugehen führt nur dazu, dass die Strukturen zusammenbrechen und die organisierte Gewalt, gleich von welcher Richtung, das Land wieder übernimmt", mutmaßte der CDU-Bundestagsabgeordnete im September 2020 im Gespräch mit der Deutschen Welle. 

Knapp 12 Milliarden Euro hat der Bundeswehreinsatz in Afghanistan bis Ende 2018 gekostetBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

"Sicherheit oberste Priorität"

Die sich möglicherweise verschlechternde Sicherheitslage nach einem US-Abzug beschäftigt auch die Bundesregierung. "Wie immer die Entwicklung sein wird, die oberste Priorität hat die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten vor Ort", unterstreicht die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer.

Mit anderen Worten: Ist diese nicht mehr gewährleistet, wird das den Abzug der Bundeswehr beschleunigen. Regulär endet das Mandat für den Einsatz am 31. März 2021. Ob es verlängert wird, hängt auch von den Beschlüssen der NATO-Außenminister ab, die sich Anfang Dezember mit dem Engagement in Afghanistan befassen wollen. "Wir gehen davon aus, dass die NATO dann gemeinsam über zukünftige Anpassungen entscheiden wird", sagte ein Sprecher des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr der Deutschen Welle.

Dessen ungeachtet bereiten sich die deutschen Soldaten schon auf den Rückzug vor. Seit November sind rund 100 Logistiker der Bundeswehr am größten deutschen Standort in Masar-i-Scharif im Einsatz, um Vorbereitungen für den Rücktransport von militärischem Gerät zu treffen.