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Afghanistan-Debakel: BND-Präsident weist Kritik zurück

4. Juli 2024

Der Bundesnachrichtendienst habe ein zuverlässiges Bild geliefert, sagt Bruno Kahl. Überrascht zeigt sich der Chef des Auslandsgeheimdienstes nur vom schnellen Siegeszug der Taliban.

Taliban-Kämpfer fahren mit olivgrünen Militär-Fahrzeugen durch die Straßen Kabuls
15. August 2021: Die Taliban nehmen die afghanische Hauptstadt Kabul ein - kampflos Bild: XinHua/dpa/picture alliance

Kampflos marschierten die Taliban am 15. August 2021 in die afghanische Hauptstadt Kabul ein. Die von den USA angeführten internationalen Truppen einschließlich der deutschen Bundeswehr verließen fluchtartig das Land, in das sie nach den islamistischen Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington einmarschiert waren.

Schnell war von einem Versagen der Geheimdienste die Rede, allen voran des Bundesnachrichtendienstes (BND). Kritik sei man gewohnt, das sei auch okay, sagt dessen Präsident Bruno Kahl am 4. Juli als Zeuge im Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages. Die Vorwürfe seien aber von unterschiedlicher Güte, fügt er mit ironischem Unterton hinzu.  

BND-Präsident Bruno Kahl wartet auf seine Befragung im Afghanistan-UntersuchungsausschussBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Regelmäßige BND-Berichte für die Bundesregierung

"Der Bundenachrichtendienst hat jahrzehntelang ein zuverlässiges Bild geliefert, das Menschenleben gerettet hat", betont Kahl rückblickend. Die sich dramatisch ändernde militärische Lage in den Provinzen Afghanistans hat der BND nach Darstellung seines Chefs gesehen und in seine Berichterstattung für die Bundesregierung eingebaut. "Was wir nicht vorausgesehen haben, ist das überstürzte Tempo", räumt Kahl ein.  

Noch zwei Tage vor dem Fall Kabuls hatte der BND die Lage in einer Sitzung des Krisenstabs des Auswärtigen Amtes (AA) in Berlin völlig anders eingeschätzt und den kurzfristigen Einmarsch der Taliban in die Hauptstadt ausgeschlossen. "Hier ging der Bundesnachrichtendienst wie alle anderen Nachrichtendienste davon aus, dass die afghanischen Kräfte länger aushalten würden", sagt Kahl und fügt hinzu: "Das hat sich als Fehleinschätzung erwiesen."

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Bruno Kahl nennt entscheidende "Kippunkte"

Die BND-Prognose sei allerdings an Bedingungen geknüpft gewesen, an sogenannte Kipppunkte. Dazu zählten die nahezu vollständige Isolierung Kabuls sowie der Abzug der US-Streitkräfte und eines Großteils der westlichen Botschaften. Mehrere dieser Kipppunkte seien bis zum 15. August eingetreten, beschreibt Kahl die Entwicklung in den entscheidenden Tagen. "Damit war die Prognose hinfällig." Seine Darstellung deckt sich mit der Aussage der vor ihm befragten ehemaligen BND-Vizepräsidentin Tanja von Uslar-Gleichen.

Einen ganz anderen Eindruck hat der Untersuchungsausschuss bereits im März von einem anderen Zeugen erhalten: Jan Hendrik van Thiel war im August 2021 stellvertretender deutscher Botschafter in Afghanistan gewesen und hatte an der Sitzung des Krisenstabs im Auswärtigen Amt teilgenommen. Dabei habe er über die sich schon seit Wochen in Kabul ausbreitenden Taliban berichtet.

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Ex-Botschafter widerspricht dem BND  

Er habe sein Lagebild vorgetragen, sagte van Thiel damals. Die damalige BND-Vizepräsidentin von Uslar-Gleichen habe jedoch ein ganz anderes Bild der Lage gezeichnet, dem er offen widersprochen habe. Zu seinen Ausführungen über die Gefahrenlage und über die schwindende Kampfkraft der afghanischen Armee habe es keine Gegenargumente gegeben, betonte der Diplomat. Ein ähnliches Bild über den Zustand der einheimischen Truppen hatten in einer früheren Sitzung des Untersuchungsausschusses US-Experten gegeben.

Missverständnisse zwischen westlichen Geheimdiensten

Dass es zwischen westlichen Geheimdiensten womöglich Fehler im Informationsaustausch gegeben hat, räumt der BND-Präsident ein. Es habe vor dem 15. August, also dem Fall Kabuls, eine "gewisse Delle" beim Nachrichtenaustausch mit befreundeten Diensten gegeben.

Zugleich betont Kahl, der BND habe "das allergrößte Interesse" an der Aufklärung des Sachverhalts und daran, zur Wahrheit beizutragen. Dafür hat der Afghanistan-Untersuchungsausschuss des Bundestags noch ein paar Monate Zeit. Ende des Jahres sollen die 2021 politisch Verantwortlichen als Zeugen aussagen - darunter der damalige Außenminister Heiko Maas und Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland
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