1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikNahost

Warum Länder mit den Taliban reden wollen

23. September 2021

Die Taliban haben Rederecht bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen gefordert. Dies einzuräumen wäre eine Annäherung an die afghanischen Islamisten. Viele Länder zögern damit bislang. Ein Überblick.

Afghanistan Kabul | Mawlawi Amir Khan Muttaqi, Außenminister Übergangsregierung
Mawlawi Amir Khan Muttaqi, Außenminister der Übergangsregierung der Taliban, hat Rederecht vor den UN gefordert.Bild: Bilal Guler/Anadolu Agency/picture alliance

Eine Regierung muss nicht unbedingt von allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen anerkannt sein, um vor der Generalversammlung zu sprechen. Es kommt darauf an, wen das zuständige UN-Gremium zulässt. Für die Taliban wäre es ein wichtiger Schritt Richtung Legitimität oder zumindest in Richtung ihrer angestrebten Außenpolitik, wenn sie das Recht erhielten, vor den UN in New York zu sprechen: "Wir möchten gute Beziehungen zu unseren Nachbarn, zu den Ländern in der Region und in der Welt", hatte Taliban-Sprecher Suhail Shaheen kurz nach der Machtübernahme der militanten Islamisten in Kabul erklärt. Aber wie sehen das andere Regierungen?

Deutschland

Dass der Status der diplomatischen Beziehungen nicht an die Anerkennung einer Regierung gekoppelt ist, hat Bundesaußenminister Heiko Maas Ende August klargemacht. "Wenn es politisch möglich wäre und wenn die Sicherheitslage es erlaubt, dann sollte auch Deutschland in Kabul wieder eine eigene Botschaft haben", sagte er bei einem Besuch in Katar, wo die Taliban eine diplomatische Delegation unterhalten. Gleichzeitig stellte Maas klar: "Es geht im Moment nicht um die Frage der völkerrechtlichen Anerkennung. Es geht um die Lösung ganz praktischer Probleme."

Kramp-Karrenbauer: "Man muss mit den Taliban in Kontakt treten"

02:48

This browser does not support the video element.

Zu diesen Problemen gehört die lebensbedrohliche Lage von Ortskräften der Bundeswehr, des Außenministeriums sowie deutscher Nichtregierungsorganisationen und Medien. Zudem hat Deutschland 500 Millionen Euro an Hilfsgeldern eingeplant, mit denen afghanische Flüchtlinge in zentralasiatischen Nachbarländern unterstützt werden sollen. Damit setzt Deutschland Bemühungen fort, die auch auf EU-Ebene beschlossen sind.

Europäische Union

Anfang September haben die EU-Außenminister beschlossen, dass sich dafür einzusetzen, dass afghanische Flüchtlinge in der Region aufgenommen werden. Dafür plant die EU bis Ende 2022 300 Millionen Euro ein, von denen ein Drittel aus Deutschland kommt. Außerdem will die EU 30.000 afghanische Flüchtlinge aufzunehmen.

Die gemeinsame Afghanistan-Strategie der EU soll sich außerdem für die Sicherung der Menschenrechte in dem Land einsetzen sowie verhindern, dass dort Terrorgruppen wie El-Kaida oder Ableger des Islamische Staats IS-Khorasan eine Heimat finden und erstarken.


Was dafür nötig ist, stellt der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell Mitte September vor dem Europäischen Parlament in Straßburg klar: "Um irgendeine Chance zu haben, die Ereignisse zu beeinflussen, haben wir keine andere Möglichkeit, als mit den Taliban zu verhandeln."

USA

Die USA haben die Taliban 2001 binnen weniger Wochen aus weiten Teilen Afghanistans verjagt. 20 Jahre lang waren Taliban und die US-geführten NATO-Truppen Hauptgegner des bewaffneten Konflikts in dem Land. Doch die USA haben unter Ex-Präsident Donald Trump einen anderen außenpolitischen Pfad beschritten, den sein Nachfolger Joe Biden bisher weitgehend beibehält: Die USA wollen nicht mehr Weltpolizei sein.

Auf der anderen Seite fürchten die USA genau wie die EU, dass Terrororganisationen von Afghanistan aus ungestört Anschläge planen und koordinieren könnten, ohne dass die Taliban in der Lage wären, wirksam dagegen vorzugehen.

Auf den Wunsch der Taliban nach guten Beziehungen zu Washington ist das Weiße Haus bisher kaum eingegangen. Ein neue Afghanistan-Strategie hat Bidens Regierung bisher noch nicht vorgelegt. Derzeit scheint sie vor allem die Beziehungen zu Pakistan zu überdenken, das die USA bisher noch als strategischen Partner ansehen. Noch.

Pakistan

Es gilt als offenes Geheimnis, dass der pakistanische Geheimdienst ISI die Taliban seit Langem unterstützt. Auch Präsident Imran Khan begrüßte die Machtübernahme der Islamisten in Kabul als Befreiung Afghanistans. Schon während der ersten Taliban-Herrschaft (1996 bis 2001) war Pakistan, neben Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, eines der drei Länder, die das "Islamische Kalifat Afghanistan" offiziell anerkannten. Nun werden die Forderungen in Washington lauter, die Beziehungen zu Islamabad neu zu definieren.

Doch nicht nur deshalb ist Pakistan den Taliban gegenüber zwiegespalten: Einerseits hat das Land jahrelang zugelassen, dass Taliban die Grenze überschritten, zum Beispiel um von ihrer Hochburg Quetta im Süden Pakistans nach Afghanistan zu gelangen. Andererseits will Pakistan keine weiteren Flüchtlinge aus Afghanistan aufnehmen, die vor genau diesen Taliban fliehen. Fast 1,5 Millionen Afghanen leben bereits im südlichen Nachbarland.

Türkei

Auch die Türkei zeigt ein deutliches Interesse daran, die Flucht aus Afghanistan zu bremsen. Das Land gilt vielen Afghanen als Sprungbrett in die EU und Ankara befürchtet, viele von ihnen könnten in Anatolien stranden. An der Ostgrenze zum Iran hat die Türkei bereits mit dem Bau einer Mauer begonnen. Aber auch auf diplomatischem Wege versucht Ankara sich mit den Taliban zu verständigen. So hatten die Taliban vorgeschlagen, dass die Türkei den Flughafen von Kabul betreiben könnte.

Mit einem Betonwall an der Grenze zum Iran will die Türkei illegale Grenzübertritte erschwerenBild: Ozkan Bilgin/AA/picture alliance

Katar

Das Emirat am persischen Golf ist weder Fluchtland, noch hat es wohl Terroranschläge von Islamisten zu befürchten. Aber es gefällt sich gut in der Rolle als Mittler zwischen den Welten. Die Staatsführung um das Herrscherhaus Al-Thani unterhält Verbindungen zu den Muslimbrüdern und zur palästinensischen Terrororganisation Hamas. Seit 2013 unterhalten die Taliban ein politisches Büro in der Hauptstadt Doha. Gleichzeitig ist Katar Standort einer der größten US-Militärbasen im Nahen Osten. Diese war während der Evakuierungen Ende August Knotenpunkt der US-Luftbrücke nach Kabul. Viele Beobachter erhoffen sich von Katar einen mäßigenden Einfluss auf die Taliban.

Im September 2020 trafen der damalige US-Außenminister Mike Pompeo Talibanchef Abdul Ghani Baradar in DohaBild: U.S. Department of State/AA/picture alliance

Russland

Russland stuft die Taliban als Terrororganisation ein, unterhält jedoch seit Jahren Kontakte zu ihnen. Erst vor wenigen Tagen bekräftigte Präsident Wladimir Putin seine Forderung nach einer konstruktiven Zusammenarbeit mit den Taliban. Das Ziel müsse sein, sie dazu zu bewegen, ihre Versprechen einzuhalten, eine Regierung für alle Bevölkerungsgruppen zu sein.

Sicherheitspolitisch befürchtet Moskau, dass Islamisten aus Afghanistan in den ehemaligen, ursprünglich muslimisch geprägten Sowjetrepubliken Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan an Einfluss gewinnen. Genau dies gilt als ein Grund für die sowjetische Intervention in Afghanistan von 1979 bis 1989, die für die Sowjets zum Fiasko geriet.

Taliban finanzieren sich mit illegalen Aktivitäten

01:51

This browser does not support the video element.

 Russland ist zudem eines der Länder, das eine erhöhte Heroin-Produktion in Afghanistan fürchtet. Der Schlafmohn-Anbau gilt als eine der wichtigsten Einnahmequellen der Taliban. Dass Russland eines der wenigen Länder ist, die ihre Botschaft in Kabul nicht geschlossen haben, könnte aber auch mit dem Interesse an afghanischen Rohstoffen zusammenhängen.

China

Von allen global agierenden Mächten scheint China am offensten auf die Taliban zuzugehen: Bereits Ende Juli empfing Außenminister Wang Yi mit Abdul Ghani Baradar einen Gründer und politischen Führer der Taliban. Das gemeinsame Interesse ist einerseits wirtschaftlicher Natur: China will afghanische Bodenschätze ausbeuten und seine neue Seidenstraße dort ausbauen.

Ende Juli trafen sich Chinas Außenminister Wang Yi (r.) und Talibanführer Abdul Ghani Baradar in Tianjin, ChinaBild: Li Ran/Xinhua/AP/picture alliance

Andererseits fürchtet Peking einen wachsenden Einfluss radikaler Islamisten in seiner Nachbarschaft. Afghanistan grenzt an die überwiegend muslimisch besiedelte Region Xinjiang. Das Unabhängigkeitsbestreben der Uiguren dort beantwortet Peking seit Jahren mit brutaler Unterdrückung. Mehrere Hundert radikale Uiguren sollen sich in der Vergangenheit den Taliban angeschlossen haben. Entsprechend dünn dürfte die Vertrauensbasis zwischen der chinesischen Parteiführung und den Taliban sein. Nach Pekinger Kalkül dürften die chinesischen Investitionen in Afghanistan aber groß genug sein, dass die Taliban sich mit dem Verrat an den uigurischen Glaubensbrüdern arrangieren. Zumal China sich traditionell nicht um die Einhaltung von Menschenrechten in Partnerländern schert.

Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.