1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Afghanistan-Engagement soll nicht enden

3. Mai 2021

Aus Politik und Zivilgesellschaft in Deutschland kommen klare Signale, dass man Afghanistans Entwicklung auch nach dem NATO-Truppenabzug unterstützen will.

Afghanistan Kabul Heiko Maas Bundesaussenminister trifft Aschraf Ghani Präsident von Afghanistan
Bundesaußenminister Heiko Maas zu Gesprächen bei Präsident Ashraf Ghani Bild: FlorianxGaertner/photothek.dex/Imago Images

Der Countdown läuft, der Abzug der NATO-Truppen aus Afghanistan hat am vergangenen Samstag, dem 1. Mai, offiziell begonnen. Die Bundeswehr will ihre dort stationierten 1100 Soldaten bis Mitte August zurück nach Deutschland holen. Lassen die Partnerstaaten das Land also im Stich, angesichts aktueller und drohender weiterer Gewalt? Der deutsche Außenminister Heiko Maas trat bei seinem Besuch in Afghanistan Ende vergangener Woche diesem Eindruck entgegen. Deutsche Hilfe werde es für das Land auch weiterhin geben, versicherte er. Deutschland bleibe ein verlässlicher Partner an der Seite der Menschen in Afghanistan, versicherte Maas. Zwar ende der Militäreinsatz, "doch wir setzen in allen anderen Bereichen unser Engagement fort", sagte der Minister.

Tatsächlich haben Deutschland und andere westliche Länder durchaus Möglichkeiten, die künftige Entwicklung Afghanistans zu unterstützen. Zwar hat das nach knapp 20 Jahren nun endende militärische Engagement als stabilisierendes Element ausgedient. Aber der Rückzug der NATO-Truppen entfalte in gewisser Hinsicht auch eine positive Wirkung, sagt Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, im DW-Interview. "Er übt sowohl auf die Taliban wie auch die Regierung Druck aus, bei den nun anstehenden Gesprächen voranzukommen." Der Druck gehe auch von den westlichen Partnern des Landes aus: "Sie können ihren Einfluss etwa über die wirtschaftliche Unterstützung des Landes geltend machen."

Afghanistan wird weiterhin internationale Finanzhilfe benötigenBild: picture-alliance/Ton Koene

Finanzhilfe als Druckmittel

Hardt verweist auf das aktuelle Budget des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Aus diesem sind 375 Millionen Euro für Afghanistan bestimmt. "Dieses Geld ist für jede afghanische Regierung überaus wichtig. Aus ihr finanzieren sich etwa Einkommen von Angestellten des öffentlichen Dienstes, Schulen und Infrastrukturprojekte. Afghanistan ist auf diese Hilfen angewiesen", sagt der CDU-Politiker.

Seine Unterstützung werde Deutschland davon abhängig machen, inwiefern die bislang geförderten Ziele auch künftig umgesetzt werden. "Deutschland legt etwa Wert auf guten Schulunterricht und auf die Wahrung von Frauenrechten. Es kommt bei der künftigen Hilfe sehr darauf an, inwiefern diese Anliegen umgesetzt werden."

Doha in Katar ist die Bühne für die diplomatischen Aktivitäten der TalibanBild: Staatsministerium für Frieden Afghanistan

"Taliban wollen keinen Bürgerkrieg"

Allerdings können Afghanistans westliche Partner das Land auch auf andere Weise unterstützen, sagt Ellinor Zeino, Leiterin des Kabuler Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung. Deren Mitarbeiter wurden wie die der anderen politischen Stiftungen gebeten, zum 1. Mai für ein bis zwei Wochen präventiv auszureisen. Aber dies bedeute nicht das Ende des Engagements, erklärt sie im DW-Gespräch mit Verweis auf die Interessen der Taliban. Diese strebten nämlich durchaus eine politische Lösung an. Denn nur so könnten sie ihre beiden wichtigsten Ziele, den vollständigen Truppenabzug und die Regierungsbeteiligung, langfristig erreichen. "Würden sie versuchen, ihre Ziele mit Gewalt zu erzwingen, könnte das in einen Bürgerkrieg münden. Den wollen auch die Taliban nicht."

Außerdem strebten die Taliban nach internationaler Anerkennung. "Sie wollen als eine Staatsmacht wahrgenommen werden, nicht als eine Guerillagruppe. Entsprechend können auch westliche Staaten den Prozess moderierend unterstützen", meint Ellinor Zeino. Eine Vermittlung oder Moderation könne ohnehin nur von ausländischen Akteuren - etwa den internationalen Partnerstaaten oder den Vereinten Nationen - geleistet werden. "Denn jede Gruppe aus Afghanistan selbst wäre in der Moderatorenrolle interessensgebunden, fände nur schwierig eine gesamtafghanische Akzeptanz oder könnte weitere innerafghanische Konflikte schüren."

Protest junger Männer und Frauen in Kabul gegen anhaltende Gewalt Bild: Ghazanfar Adeli/DW

"Es gibt durchaus Möglichkeiten für Dialog"

In gewisser Weise sei der Boden für eine Gesprächskultur längst bereitet, sagt Nadia Nashir, Vorsitzende des deutschen Afghanischen Frauenvereins. Deutschland sei es immer darum gegangen, eine verlässliche Staatlichkeit in Afghanistan aufzubauen. "Darum muss es auch weiter gehen. Dafür besteht auch in Teilen eine gute Grundlage, denn sehr viele Afghanen sind liberal und gemäßigt."

Aus den vielen Projekten ihres Vereins wisse sie, dass Vertrauen vor allem auch in konkreter Zusammenarbeit der Afghanen untereinander geschaffen werden könne, so Nashir weiter. "Unser Prinzip ist es, ausschließlich mit den Menschen vor Ort zusammenzuarbeiten, mit denen, die genau da leben, wo die Projekte umgesetzt werden. Das schafft Vertrauen und Akzeptanz, und zwar auch auf Seiten der Männer. Auch sie unterstützen unsere Arbeit."

Die Adenauer-Stiftung habe diesen Verständigungsprozess bislang auf zivilgesellschaftlichen Ebene unterstützt, sagt Ellinor Zeino. Man habe dazu ein überparteiliches Dialogforum eingerichtet. Darin bitte man Vertreter der Konfliktparteien an einen Tisch. So komme es etwa zu Gesprächen zwischen Frauengruppen aus der Mittelschicht und Vertretern religiöser Gruppen. "Während beide Seiten zunächst erhebliche Vorbehalte gegeneinander hegen, stellen sie im Lauf der Gespräche oft Gemeinsamkeiten fest." So werde beiden Seiten bewusst, dass auch die jeweils andere Seite Leid erlebt haben. Oft hätten sich beide Seiten vom politischen Prozess auch ausgeschlossen gefühlt. "Auf dieser Grundlage kommen sie dann miteinander ins Gespräch, oft zum ersten Mal überhaupt."

Optimismus mit Blick auf verbreiteten Wunsch nach Bildung für MädchenBild: O. Khan

Bildungshunger und religiöser Rahmen

Nadia Nashir setzt Hoffnung in den großen Bildungshunger vieler Afghanen. "Wir sehen das an unseren Schulprojekten. Dort wollen so viele Menschen ihre Kinder anmelden, dass wir große Schwierigkeiten haben, entsprechend viele Plätze anzubieten." Gerade den Frauen liege die Ausbildung ihrer Kinder am Herzen. "Dafür nehmen sie erhebliche Risiken auf sich. Sie laufen über Wege, die noch nicht restlos von Minen geräumt sind. Das zeigt, wie viel ihnen die Bildung wert ist."

Allerdings gebe es Grenzen, sagt Ellinor Zeino. Die Frauen, die von der Adenauer-Stiftung unterstützt würden, lernten, auf religiöser Ebene zu argumentieren. Angesichts der derzeitigen Machtkonstellation sei keine andere Argumentationsgrundlage möglich. "Man darf sich keine Illusionen machen: Frauen und Freiheitsrechte kommen in Afghanistan in absehbarer Zeit nur voran, wenn sie auf religiöser Grundlage erörtert werden und der religiöse Diskurs nicht allein den Taliban überlassen wird. Dazu tragen wir durch entsprechende Gesprächsforen bei."

Die Waffen sprechen unvermindert weiter, während die NATO abziehtBild: Sanaullah Seiam/XinHua/dpa/picture alliance

Zwischen Optimismus und Furcht

Insgesamt habe er für Afghanistan durchaus Hoffnung, sagt auch Jürgen Hardt. "So ist etwa die Akzeptanz der Einbindung von Frauen ins öffentliche Leben gewachsen. Ebenso nehmen viel mehr Menschen nun die Ausweitung des Schulunterrichts wie auch Kontakte zu Vertretern des Westens hin, und zwar auch bei den Taliban." Aber der außenpolitische Sprecher fügt auch hinzu: "Natürlich sind wir keine Utopisten."

Bei allem Willen zu Veränderung plagten viele Afghanen derzeit eines: große Sorgen angesichts einer ungewissen Zukunft. "Alle unsere Mitarbeiter haben Angst, dass es zu einem Krieg kommen könnte, sollten die nun anstehenden Verhandlungen scheitern", sagt Nadia Nashir und bittet darum um Unterstützung: "Lassen Sie Afghanistan nicht im Stich!"

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen