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PolitikEuropa

Kann die Türkei die Taliban bändigen?

Hilal Köylü
11. Juli 2021

Fast alle NATO-Truppen haben sich aus Afghanistan zurückgezogen. Die Türkei will die Lücke füllen und bietet sich als neue Schutzmacht an. Doch die Taliban senden klare Drohungen Richtung Ankara.

Männer mit Gewehren, teils vermummt mit beschrifteten Bannern vor einer Menschenmenge
Wieder auf dem Vormarsch: Kämpfer der Taliban (Archivbild)Bild: NOORULLAH SHIRZADA/AFP/Getty Images

Nachdem sich fast sämtliche westliche Soldaten aus Afghanistan zurückgezogen haben, ist die Zentralregierung im Kampf gegen die radikal-islamischen Taliban nun weitgehend auf sich allein gestellt. Militärische Unterstützung könnte Kabul nun aus Ankara bekommen. Entsprechende Pläne eröffnete der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seinem US-amerikanischen Amtskollegen Joe Biden am Rande des NATO-Gipfels in Brüssel im Juni. Im Mittelpunkt des Engagements soll offenbar Kabuls Flughafen Hamid Karzai stehen, den türkische Soldaten schützen könnten.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg betonte in Brüssel die Bedeutung der Türkei, die in Afghanistan eine "Schlüsselrolle" übernehmen könnte. Eine offizielle Entscheidung über das Vorhaben ist gleichwohl noch nicht gefallen, womöglich laufen derzeit hinter den Kulissen Verhandlungen zwischen Ankara und Washington.

Erstes Treffen zwischen Biden und Erdogan in Brüssel - Zeichen stehen auf AnnäherungBild: OLIVIER MATTHYS/AFP via Getty Images

Taliban dulden keine türkische "Besatzung"

Doch nicht nur westliche Akteure verteidigen bei einer möglichen Operation der Türkei in Afghanistan ihre Interessen. Seit dem weitgehenden Abzug der ausländischen Truppen machen auch die Taliban ihren Anspruch auf die Macht im Land deutlich - in zahlreichen Regionen sind ihre Einheiten auf dem Vormarsch. Zuletzt gelang es den Taliban, einen strategisch wichtigen Bezirk in der afghanischen Provinz Kandahar zu erobern. 

Ein türkisches Engagement wird von NATO-Vertretern begrüßt, weil die Türkei als mehrheitlich muslimisches Land eine Vermittlerrolle am Hindukusch einnehmen könnte. Taliban-Sprecher Suheyl Shaheen lehnte das Vorhaben indes gegenüber der BBC klar ab. Alle ausländischen Soldaten, die nach September im Land blieben, würden wie Besatzungstruppen behandelt. "Alle ausländischen Streitkräfte, Auftragnehmer, Berater, Trainer sollten sich aus dem Land zurückziehen."

Experten warnen vor Militäroperation

Experten, mit denen die Deutsche Welle gesprochen hat, warnen vor enormen Risiken eines türkischen Militäreinsatzes in Kabul. Ilhan Uzgel, Experte für internationale Beziehungen an der Universität Ankara, erinnert daran, dass die 60.000 Taliban einer nominell 300.000 Mann starken afghanischen Armee gegenüberstehen, die 20 Jahre lang von der NATO ausgebildet wurde. "Trotzdem werden afghanische Metropolen wieder zurückerobert. Die afghanische Armee, die auf dem Papier eigentlich stärker ist, macht sich auf dem Schlachtfeld nicht besonders bemerkbar", analysiert er.

Kein Weg führt an den Taliban vorbei, meint Ilhan UzgelBild: DW/A. Isık

Sezin Öney, Spezialistin für internationale Beziehungen, geht ebenfalls davon aus, dass der Siegeszug der Taliban nicht aufzuhalten ist. "Ausländische Soldaten müssen in Afghanistan von den Taliban geduldet werden", so Öney. Daher seien der türkischen Regierung die Hände gebunden. Auch Faruk Logoglu, pensionierter Botschafter, weist darauf hin, dass die Taliban in letzter Zeit ihre Dominanz ausgebaut hätten. "Wenn die Türkei das Risiko, das von den Taliban ausgeht, ignoriert, wird das schlimme Folgen haben, sowohl finanziell als auch moralisch." 

Ankara auf Kuschelkurs?  

Auch die türkischen Beziehungen zu vielen NATO-Partnern sind angespannt. Nicht nur in Washington herrscht Unverständnis darüber, dass die Türkei ihren Luftraum mit dem russischen Raketenabwehrsystem S-400 schützen will.

Ankara verärgert die NATO-Partner mit dem Kauf der russischen Luftverteidigung S-400Bild: picture-alliance/dpa/A. Pavlishak

Als Reaktion auf diese Entscheidungen haben die USA die Türkei aus dem Programm für den Tarnkappenbomber F-35 geworfen, der der türkischen Luftwaffe nun verwehrt bleibt. Die Beziehungen belastet hat auch die Entscheidung des US-Präsidenten, das Massaker an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs als Völkermord einzustufen.

Experten gehen davon aus, dass Staatspräsident Erdogan derzeit versucht, die Wogen zu glätten, auch um Sanktionen zu umgehen. Um die westlichen Partner zu besänftigen, sei Ankara nun sogar bereit, riskante Operationen in Afghanistan zu übernehmen, meint Experte Ilhan Uzgel. Ankara sende dem Westen die Botschaft, in Sicherheitsfragen stärker kooperieren zu wollen. "Erdogan versucht zu zeigen, dass er sich dem Westen nun zuwendet."

Aus dem Türkischen adaptiert von Daniel Derya Bellut

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