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Afghanistan: Kein Platz für Vielfalt unter den Taliban

Shabnam von Hein | Ahmad Waheed Ahmady
15. Mai 2025

Frauenrechte, kulturelle und religiöse Pluralität werden immer weiter eingeschränkt. Die Taliban dulden kaum etwas außerhalb ihrer religiösen und ethnischen Ordnung. Doch Abschiebungen nach Afghanistan gehen weiter.

Afghanistan | Ort wo die zerstörte Buddha Statue im Bamian-Tal stand
Vor 24 Jahren zerstörten die Taliban die berühmten Buddha-Statuen von BamiyanBild: Naqeeb Ahmed/EPA/dpa/picture alliance

Im Schatten globaler Krisen gerät die Menschenrechtslage in Afghanistan zunehmend in Vergessenheit. Dabei leiden Millionen Menschen weiterhin unter den gravierenden Folgen systematischer Menschenrechtsverletzungen durch die De-facto-Behörden, wie der aktuelle Bericht der UNAMA zeigt.

Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) ist eine politische Mission mit Mandat des UN-Sicherheitsrats. Sie beobachtet unter anderem die Menschenrechtslage im Land und berichtet regelmäßig darüber.

In ihrem aktuellen Bericht zur Lage im ersten Quartal 2025, dem Zeitraum von Januar bis März, dokumentiert UNAMA nicht nur Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt und regelmäßiger öffentlicher Auspeitschungen. Auch der Druck auf eine der letzten religiösen Minderheiten, die Ismailiten, hat zugenommen.

Die Ismailiten gehören zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam und leben vor allem in den nördlichen Provinzen wie Badachschan, Baghlan und im Wakhan-Korridor. In Badachschan wurden Mitglieder der Gemeinde unter Androhung von Gewalt und Tod zur Konversion gezwungen.

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"Erst wenn sie sich unter Gewalt zur sunnitischen Konfession bekennen, werden sie als Muslime akzeptiert", sagt Professor Yaqoob Yasna im Gespräch mit der DW. Yasna, der selbst Ismailit ist, wurde nach der Machtübernahme der Taliban der Blasphemie beschuldigt, weil er sich für Aufklärung und Toleranz in der Gesellschaft einsetzte. Er sah sich gezwungen, seine Professur an der Universität aufzugeben, und musste aus Angst vor Repressalien das Land verlassen.

Gewalt gegen Minderheiten

Die Toleranz gegenüber der Minderheit der Ismailiten in der Gesellschaft sei weiter gesunken, betont Yasna. Bereits vor der Machtübernahme der Taliban sei diese Toleranz begrenzt gewesen, doch das damalige politische System habe zumindest ihre Bürgerrechte geschützt.

"Wenn ihre Rechte heute verletzt werden, wissen sie nicht, an wen sie sich wenden können. Ihre Kinder werden mit Gewalt gezwungen, sich zum sunnitischen Glauben zu bekennen", sagt Yasna und betont weiter: "Unter der Herrschaft der Taliban gilt nur eine Glaubensrichtung als legitim. Alles, was von ihrer Auslegung des Islam abweicht, wird abgelehnt und schafft damit den Nährboden für Gewalt gegen religiöse Minderheiten." 

Auch der afghanische Menschenrechtsaktivist Abdullah Ahmadi bestätigt den zunehmenden Druck auf eine der letzten verbliebenen religiösen Minderheiten des Landes: "Uns liegen mehrere Berichte vor, die zeigen, wie Kinder der ismailitischen Gemeinschaft gezwungen werden, religiöse Schulen unter sunnitischer Leitung zu besuchen. Wenn sie sich weigern oder nicht regelmäßig am Unterricht teilnehmen, müssen ihre Familien hohe Strafzahlungen leisten."

Die internationale Gemeinschaft reagiere nur zögerlich auf die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen, beschwert sich Ahmadi und fordert gezielte Sanktionen gegen Taliban-Funktionäre: "Die Taliban müssen für diese Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen werden."

In Afghanistan gibt es heute nur noch sehr wenige Angehörige anderer Religionen als des Islam. Dabei war das Land historisch ein bedeutendes Zentrum religiöser Vielfalt. Der Buddhismus hinterließ unter anderem die berühmten Buddha-Statuen von Bamiyan, die im Jahr 2001 von den Taliban zerstört wurden. Die jüdische Gemeinde löste sich mit der Ausreise ihres letzten Mitglieds im September 2021 auf, und Christen praktizieren ihren Glauben nahezu ausschließlich im Verborgenen. Gewalt gegen die Hazara, eine schiitische Volksgruppe, hat ebenfalls zugenommen. 

Unter den Taliban gilt nur eine religiöse Auslegung als zulässig, auch kulturelle Feste und Rituale werden unterdrückt. Sie haben sogar das Frühlingsfest Nowruz verboten. Das Fest wurde als "unislamisch" eingestuft und aus dem afghanischen Feiertagskalender gestrichen.

Angst, Armut, Abschiebung

Die Lage der Frauen verschärft sich zudem weiter. Die Hälfte der Gesellschaft ist damit systematischer Unterdrückung ausgesetzt. Laut dem aktuellen UNAMA-Bericht bleiben auch im Jahr 2025 weiterführende Schulen für Mädchen ab der 6. Klasse geschlossen. Der Zugang zu Universitäten und dem Arbeitsmarkt bleibt Frauen verwehrt, ihre Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum wird zunehmend eingeschränkt.

In der Stadt Herat etwa haben die Taliban mehrere Rikschas beschlagnahmt und die Fahrer gewarnt, keine Frauen ohne einen sogenannten Mahram, einen männlichen Begleiter aus der Familie, zu transportieren.

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Trotz dieser desaströsen Lage werden geflüchtete Afghaninnen und Afghanen in den Nachbarländern weiterhin massenhaft abgeschoben, darunter zahlreiche Frauen und Kinder. Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden allein innerhalb eines Monats rund 110.000 Menschen aus Pakistan ausgewiesen. Auch aus dem Iran erfolgen Abschiebungen in großer Zahl.

"Wir leben täglich in Angst, nach Afghanistan abgeschoben zu werden. Was soll ich dort mit meinen Kindern anfangen?", sagt die afghanische Journalistin Marzia Rahimi im Gespräch mit der DW. "Niemand hört unsere Stimme." In Afghanistan, sagt sie, warteten Elend und Terror. Unter der Herrschaft der Taliban konnte sie ihre Arbeit als Journalistin nicht fortsetzen und ihrer Tochter keine Bildung ermöglichen. Unabhängige Medien wurden weitgehend verboten oder unter staatliche Kontrolle gestellt. Journalistinnen wie Marzia Rahimi riskieren Verhaftung oder Folter, wenn sie regimekritisch berichten.

Seit der Machtübernahme der Taliban ist das Land in eine dramatische sozioökonomische Krise gestürzt. Nach Angaben der Vereinten Nationen leben rund 64 Prozent der Bevölkerung in Armut. Etwa die Hälfte der 41,5 Millionen Afghaninnen und Afghanen ist auf humanitäre Hilfe angewiesen, um zu überleben. 14 Millionen Menschen leiden unter akutem Hunger.

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