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Politik

Afghanistan: Langer Weg zu Frauenrechten

Barbara Wesel
5. Oktober 2016

In Brüssel berät eine internationale Geberkonferenz über die weitere Unterstützung für Afghanistan bis 2020. Dabei geht es auch um mehr Rechte für Frauen. Barbara Wesel berichtet aus der belgischen Hauptstadt.

Afghanistan Orzala Ashraf Nemat Frauenaktivistin
Die Frauenaktivistin Orzala Nemat in einer männerdominierten GesellschaftBild: Orzala Ashraf Nemat

In den Nachrichten tauchen afghanische Frauen nach wie vor fast ausschließlich als Opfer von Gewalt auf: Misshandlungen in der Familie, sogenannte Ehrenmorde oder Übergriffe und Tötungen durch die Taliban bestimmen weiter die Schlagzeilen. Dabei gehört die Verbesserung der Lage von Frauen seit 15 Jahren zu den Zielen internationaler Hilfsprogramme, und seit 2013 gibt es einen nationalen Aktionsplan, um die Geschlechtergleichheit und die Rolle von Frauen in Afghanistan zu verbessern. Wie viel ist davon in der Realität angekommen?

Es gibt erste Erfolge, aber sie reichen nicht aus

Es gibt im öffentlichen Dienst inzwischen 22 Prozent Frauen, und in den Auswahlverfahren sitzen Gleichstellungsbeauftragte. Die Präsenz von Frauen im Sicherheitsapparat ist von 2 Prozent im Jahr 2001 auf heute 5 Prozent gestiegen. Es gibt 3.300 Polizistinnen und 1400 Frauen im afghanischen Militär - dort startete man quasi bei null. 26 Prozent der Vertreter in beiden Kammern des Parlaments sind Frauen, 33 Prozent sind es in den Provinzräten. Im Kabinett der Regierung arbeiten vier Ministerinnen, es gibt die erste Frau als Gouverneurin. Ebenso sind Frauen inzwischen im Justizsystem vertreten, und es gibt ein spezielles Programm zum Schutz von Frauen vor Gewalt. Die Müttersterblichkeit ist in den vergangenen Jahren um die Hälfte gesunken. 33 Prozent der Lehrer im Land sind Frauen, und es gibt landesweit 10.000 Mädchenschulen. Das sind die Zahlen, die die Regierung in Kabul auflistet.

Präsident Aschraf Ghani selbst gilt als glaubwürdig mit seinem politischen Engagement für Frauenrechte, aber er räumt bei der Konferenz in Brüssel auch ein: "Für jede Frau, die ihre Rechte wahrnimmt, gibt es zehn, die unterdrückt werden." Die auf Männer fixierte Kultur sei in Afghanistan tief verwurzelt. Fortschritt könne es dabei nur in kleinen Schritten geben. Und Ghani nennt etwa Ausbildungsprogramme als Hebel, um den Zugang zum Arbeitsmarkt für Frauen zu verbessern. Nach wie vor sei für viele der Weg versperrt.

Und der Präsident, der jahrelang bei der Weltbank in Washington gearbeitet und eigentlich Entwicklungsspezialist ist, räumt auch ein, dass es mit der nominellen Beteiligung von Frauen in höheren Regierungsämtern nicht getan ist: Es gehe um Wandel für die Masse von Frauen, nicht nur für einige. Man müsse "neue Ziele setzen, ein neues nationales Programm" auf den Weg bringen. Als Beispiel nennt er Ausweise für Frauen: Die meisten haben keinen Nachweis über ihre bürgerliche Existenz, über Heirat oder Scheidung, über Erbfolge und andere Rechte. Es ist ein weiter Weg, so sagt Aschraf Ghani, "bis wir das Versprechen der Verfassung auf Gleichberechtigung" erfüllen können.

Rula Ghani, die afghanische First Lady, setzt sich für die Rechte der Frauen einBild: Esmat Mohib

Afghanische Frauen als Verlierer des Krieges

"Frauen waren die großen Verlierer der jahrzehntelangen Konflikte in Afghanistan", sagt Rula Ghani. Die Frau des Präsidenten engagiert sich vor allem für Frauenrechte und nennt sich deren "Cheerleaderin": "Frauen haben ihren Platz in der Gesellschaft verloren", ihre Würde und ihre Zukunft, sagt sie unumwunden. 80 Prozent der afghanischen Frauen können nach wie vor nicht lesen und schreiben, sie haben keinen Zugang zu den einfachsten Dienstleistungen wie Elektrizität oder öffentlichem Verkehr.

Unter den eine Million Afghanen, die innerhalb des Landes vertrieben sind, befänden sich besonders viele benachteiligte Frauen, ebenso unter den zurückkehrenden  Flüchtlingen. Und damit meint sie noch keine Rückkehrer aus der EU, sondern zunächst aus den Nachbarländern Iran und Pakistan.

Darüber hinaus aber plädiert Rula Ghani an die internationale Gemeinschaft, die afghanischen Frauen als ernsthafte Partner zu betrachten, die am besten wüssten, welche Programme sie voranbringen könnten. Vor allem plädiert sie dafür, nachhaltige Strukturen aufzubauen: "Wir wollen keine NGOs mehr, wir müssen Institutionen aufbauen. Wir haben zu viele internationale Helfer gesehen, die keine Spur hinterlassen haben."

Afghanistans Frauen wollen Partner sein

"Der Präsident selbst will das Leben von Frauen verändern", sagt Orzala Ashraf Nemat im Gespräch mit der DW. Sie hat in London studiert und ist inzwischen als Beraterin von Ghani nach Kabul zurückgekehrt. Aber "die Realität in Afghanistan ist die einer langen Reise, und auf der sind wir noch nicht sehr weit vorangekommen".

Die Sicherheit sei nach wie vor das Hauptproblem für Frauen. Darüber hinaus nennt Nemat Zugang zur Justiz, die Korruption oder ungesühnte Kriegsverbrechen als Probleme. "Fortschritt wird es geben, wenn eine Frau in einem Dorf Gerechtigkeit bekommen kann, wenn ihre Rechte verletzt wurden." Afghanistan sei weit davon entfernt, ein Land zu sein, wo Frauen ein gutes Leben führen könnten.

Als positives Zeichen sieht die Politologin, dass es inzwischen so viele Frauen gibt, die ihre Stimme erheben. Und dass so viele von ihnen aus dem Ausland zurückgekehrt sind, um das Land aufzubauen. "Wir brauchen die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft", sagt sie, aber die afghanischen Frauen wollten als Partner behandelt werden. "Wir wissen, was am besten funktioniert. Wir haben in den vergangenen 15 Jahren genug gelernt, um selbst über die notwendigen Hilfen und Programme zu entscheiden."

 

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