Afghanistan: Taliban kappen Glasfaser-Internet
18. September 2025
In Afghanistan wachsen die Sorgen über eine systematische Einschränkung der digitalen Freiheit. Per Dekret hat der Taliban-Anführer Hibatullah Achundsada das Glasfasernetz zunächst in der nordafghanischen Provinz Balkh abschalten lassen. Betroffen sind nun mehr als zehn Provinzen. Weitere sollen folgen.
Offiziell haben die radikalislamistischen Taliban bislang diesen Schritt nicht begründet. Der Sprecher des Gouverneurs von Balkh erklärte lediglich, dass das Ziel die "Verhinderung von Unsitten" sei. Experten sehen jedoch andere Gründe. Sie vermuten, dass die Taliban kritische Inhalte im Netzt blockieren und mögliche Proteste unterdrücken möchten.
Messdaten des unabhängigen Internet-Monitoring-Dienstes NetBlocks mit Sitz in London zeigen, dass die Internetnutzung in den betroffenen Provinzen beschränkt ist. Dies seien eindeutige Indizien für gezielte Eingriffe in die Netzinfrastruktur. "Die Unterbrechung des Internets ist der Beginn einer umfassenden Unterdrückungskampagne in ganz Afghanistan. Die Taliban könnten ihre Repression ausweiten und sich internationaler Kontrolle entziehen. Unsere Sorge ist sehr ernst", sagt Sicherheitsexperte Bismillah Taban gegenüber der DW.
Handelskammer alarmiert
Noch wurde keine Störung im Mobilfunknetz gemeldet. Geschäftsleute und Unternehmer warnen vor möglichen massiven Folgen, sollte auch dieser Zugang eingeschränkt werden. Zudem sind die Prepaidkarten in Afghanistan sehr teuer und das Internet über Mobilfunk vergleichsweise langsam. Die Glasfasern nutzen vor allem Firmen, Banken und Behörden.
"Derzeit laufen 80 Prozent der Geschäfte über das Internet. Schon jetzt stehen wir vor großen Herausforderungen. Bauen Sie die Distanz zwischen Volk und Regierung nicht weiter aus!", appelliert Khan Jan Alokozai, Vizepräsident der afghanischen Handelskammer, auf dem Kurznachrichtendiesnt X an die staatliche Verwaltung in Kabul.
Auf das Glasfasernetz seien die Menschen für Online-Bildung, Handel oder Bankgeschäfte angewiesen, sagt Sayed Ahmad Shah Sadat, afghanischer Minister für Kommunikations- und Informationstechnologie von 2016 bis 2018, im DW-Interview. "Die Abschaltung trifft alle öffentlichen und privaten Lebensbereiche negativ. Afghanistan steht eine dunkle Zeit bevor."
Auch viele Behörden sind von der Abschaltung betroffen, vor allem die Ämter für Bürgerangelegenheiten und Zoll. Rundfunkanstalten bleiben auch nicht verschont. "Das Verbot vom Breitbandinternet ist eine beispiellose Eskalation der Medienzensur, die die Arbeit von Journalisten und das Informationsrecht der Öffentlichkeit untergräbt. Die Taliban sollten ihre Repressionen sofort beenden und den Internetzugang bedingungslos wiederherstellen", fordert Beh Lih Yi vom Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) .
Ende des Online-Unterrichts für Mädchen?
Für Mädchen und Frauen könnte die Entscheidung besonders gravierende Folgen haben. In Afghanistan gilt nun die Regel, dass Mädchen ab der 6. Klasse keine weiterführenden Schulen besuchen dürfen. Sie sind auf Distanzunterricht angewiesen, bis jetzt.
"Meine Schülerinnen hatten schnellen Internetzugang. Jetzt funktioniert es nicht mehr", sagt Filmemacherin Sahraa Karimi, die ihre Schülerinnen aus dem Ausland unterrichtet. "Ich bin sehr traurig. Wie soll ich die Mädchen jetzt unterrichten?"
Aus dem Land selbst erreichen die DW viele besorgte Zuschriften. "Das Abschalten des Internets ist die letzte Stufe hin zu Rückständigkeit, Ignoranz und Zerstörung", sagt eine Afghanin in einem Handyvideo. Eine weitere Nutzerin nannte es "einen direkten Angriff auf die Würde und die Freiheit".
Die Taliban greifen auch "die Zukunft von Afghanistan" an, kritisiert Pashtana Durrani, Gründerin des Online-Schulnetzwerks LEARN Afghanistan. Für viele Schülerinnen sei das Internet der letzte Weg zum Wissen. "Jeder Blackout wirft afghanische Jugendliche weiter zurück, schwächt das geistige Fundament des Landes und vergrößert die Verzweiflung der Jugend."
Mitarbeit: Helay Asad