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PolitikAsien

Afghanistan: "Tod der Meinungsfreiheit" durch die Taliban

Hussain Sirat
30. September 2024

Die Taliban schränken die Pressefreiheit immer weiter ein: Nun sind Live-Übertragung von politischen Veranstaltungen nur noch mit Zustimmung der Machthaber möglich. Diese suchen auch die Studiogäste aus.

Afghanistan | Journalisten bei der Arbeit
(Archiv) Journalisten in Afghanistan im Februar 2021 vor der Machtübernahme durch die TalibanBild: Wakil Kohsar/AFP/Getty Images

In Afghanistan geraten die Medien immer weiter unter Druck, Medienschaffende sprechen bereits vom "Tod der Meinungsfreiheit". So dürfen ab sofort Rundfunkanstalten ohne Zustimmung der regierenden Taliban keine politischen Veranstaltungen mehr live übertragen. Das berichtet die unabhängige Organisation "Afghanistan Journalists Center"(AFJC). Die Taliban hätten diese Entscheidung allen Medienhäusern bei einem Treffen Ende September mitgeteilt. Kritik an den Taliban-Verordnungen sei verboten.

Demnächst muss auch für alle Studiogäste vor ihren Medienauftritten eine Genehmigung der Machthaber einholt werden. Die Taliban veröffentlichten in diesem Zusammenhang eine Liste mit 68 zugelassenen "Experten".

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"Die Richtlinie ist ein neuer Versuch, unabhängige Medien weiter zu schwächen", kritisiert das AFCJ in einer Erklärung. Die Organisation forderte die Taliban auf, die Pressefreiheit zu gewährleisten. Auf der Rangliste der Organisation "Reporter ohne Grenzen" zur Pressefreiheit steht Afghanistan derzeit auf dem drittletzten Platz der 180 darin aufgeführten Länder. Im Vergleich zum Vorjahr ist das Land am Hindukusch damit um 26 Plätze nach unten gerutscht.

(Archiv) Moderatorinnen am Mikrofon waren bis zur Machtübernahme durch die Taliban noch möglichBild: Mohammad Jan Aria/Imago Images

Journalist als Beruf mit hohen Risiken

Seit der Machtübernahme im August 2021 haben die Taliban Medienorganisationen in Afghanistan eine Reihe von Einschränkungen auferlegt. Die Rundfunkanstalten dürfen beispielsweise keine Frau ohne Gesichtsschleier zeigen oder keine Musik ausstrahlen. In einigen Provinzen sind sogar Frauenstimmen im Rundfunk verboten. Wenn Journalisten nach Ansicht der extremistischen Organisation gegen "nationale und islamische Interessen in Afghanistan" gehandelt haben, werden diese sofort festgenommen. 

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Die Taliban drohen damit, dass sie gegen Moderatoren, Produzenten, Redakteure und Studiogäste "nach den altbekannten Regeln" vorgehen würden, wenn die neuen Richtlinien vom September nicht eingehalten werden.

In Afghanistan sind derzeit 21 Verordnungen der Taliban für die Massenmedien in Kraft, die die freie Meinungsäußerung und die Pressefreiheit unterdrücken. Einige davon sind bestenfalls als bizarr zu bezeichnen. So gilt zum Beispiel ein Verbot, "Lebewesen" im Fernsehen zu zeigen. Was die Taliban genau darunter verstehen, ist nicht bekannt.

Meinungsfreiheit in GefahrBild: Thomas Koehler/photothek/picture alliance

"Tod der Meinungsfreiheit"

Die in Afghanistan aktiven Journalisten halten sich mit Kritik zurück, um sich selbst nicht in Gefahr zu bringen. Medienschaffende, die das Land verlassen konnten, verurteilen die Medienrichtlinien dagegen scharf.

"Die neue Richtlinie bedeutet den Tod der Meinungsfreiheit", sagte auch Nawid Ahmad Barakzai, ein afghanischer Journalist, der derzeit in Pakistan lebt, im DW-Interview. Er hatte auch noch unter der Taliban-Herrschaft journalistisch gearbeitet. "Die Medien in Afghanistan können nicht mehr nach journalistischen Grundsätzen arbeiten", fügt er hinzu. Schon in der Vergangenheit habe man nicht frei über die "Korruption, Dekadenz, Gesetzlosigkeit oder Gewalt durch Taliban" berichten dürfen.

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Ein Medienmanager sagt der DW, dass die Taliban solche Anweisungen in persönlichen Gesprächen erteilen. Die Intendanten würden direkt ins Ministerium für Kultur und Information der Taliban zitiert und mündlich über die neuen Regeln informiert.

"Journalisten müssen die Zustimmung der Taliban einholen, wenn sie bei Straßenumfragen nach der öffentlichen Meinung fragen", sagte Nawid. Er warnt davor, dass die Taliban die afghanischen Medien für ihre Propaganda nutzen könnten, wenn die neuen Richtlinien umgesetzt würden. "Die afghanischen Medien könnten zum Sprachrohr der Taliban werden."

(Archiv) So frei wie 2011 (Bild) darf die Presse heute nicht mehr berichtenBild: Ute Grabowsky/photothek/picture alliance

Flächendeckende Zensur

Ein Journalist, der noch in Afghanistan arbeitet und aus Sicherheitsgründen anonym bleiben möchte, sagt der DW, dass die Taliban keinem Journalisten erlauben, im Zusammenhang mit möglichen Straftaten über Explosionen, Diebstähle oder andere Vorfälle zu berichten. Er sagt, dass der Geheimdienst der Taliban die Medien mit Details versorgt, "wenn es ihnen nützt".

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Der Journalist fügt hinzu, dass Beamte der Taliban vor jedem Interview stets abfragen, welche Fragen gestellt werden. Nur wenn ihnen die Fragen passen würden, finde dann das Interview statt. Bei einer öffentlichen "Reaktion" nach der Ausstrahlung würden dann die Medienhäuser und -schaffende zur Rechenschaft gezogen.

"Ich habe einmal ein Taliban-Mitglied interviewt. Nach der TV-Ausstrahlung riefen mich mehr als 50 Taliban-Mitglieder an und fragten, warum ich die Stelle, an der der Geistliche lächelte, nicht rausgeschnitten habe", sagt der anonyme Journalist.

Aus dem Englischen adaptiert von Dang Yuan