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PolitikAfrika

Afghanistan und die Lehren für Mali

14. September 2021

Die Taliban haben mit ihrem schnellen Sieg in Afghanistan auch die deutsche Regierung überrascht. Ist der Einsatz der Bundeswehr in Mali noch sinnvoll?

Mali Bundeswehr-Soldaten
Bundeswehrsoldat im Norden MalisBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Nach dem demütigenden Ende des westlichen Afghanistan-Einsatzes hat Angela Merkel eine gründliche Aufarbeitung zugesagt. Von den Ergebnissen werde "abhängen, welche politischen Ziele wir uns realistischerweise für zukünftige und für aktuelle weitere Einsätze im Ausland setzen dürfen", sagte die Bundeskanzlerin.

Also auch für die Mission der Bundeswehr im westafrikanischen Mali. Sie ist dort mit mehr als 1000 Soldaten an zwei unterschiedlichen Einsätzen beteiligt: einmal seit 2013 an der UN-Mission MINUSMA zur Stabilisierung des Nordens, wo islamistische Rebellen immer wieder versuchen, die Gegend unter ihre Kontrolle zu bringen. Dieser Einsatz gilt als gefährlichster der Bundeswehr überhaupt. Erst im Juni waren bei einem Selbstmordanschlag zwölf Soldaten verletzt worden.

Außerdem an der EU-Ausbildungsmission EUTM, im Moment unter deutscher Führung. Sie soll die einheimischen Kräfte Malis und der angrenzenden Staaten Mauretanien, Niger, Burkina Faso und Tschad in die Lage versetzen, selbst für Sicherheit und Stabilität zu sorgen. In Afghanistan war dieses Ziel allerdings desaströs gescheitert: Das 20 Jahre lang ausgebildete und aufgerüstete Militär hatte kaum Widerstand gegen die Taliban geleistet.

Daneben gibt es in Mali die französische Anti-Terror-Operation "Barkhane" und Operationen der G5-Sahelstaaten. Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich ist mit Abstand der wichtigste ausländische Einzelakteur in Mali.

"Man kann nicht von Fortschritten sprechen"

Für Thomas Schiller, Vertreter der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Region, sind die Ergebnisse der ausländischen Intervention bescheiden: "Trotz jahrelanger internationaler Aktionen, trotz der Ausbildung der malischen Streitkräfte bleibt der malische Staat sehr schwach und sind die malischen Truppen zum großen Teil ineffizient." Man könne "einen Einsatz nicht ewig fortsetzen, der keinen Erfolg hat".

Die Sicherheitslage verschlechtert sich zusehends: Menschen aus Mali auf der Flucht vor Gewalt durch IslamistenBild: imago images/Joerg Boethling

Ähnlich sieht es der Sicherheitsexperte Markus Kaim von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Bei den entscheidenden Zielen Ausbildung der Sicherheitskräfte, Terrorismusbekämpfung und Stabilisierung des Landes "kann man nicht von Fortschritten sprechen".

Der frühere NATO-General Hans-Lothar Domröse hatte nach der Einnahme von Kabul durch die Taliban in der ARD gesagt, ohne Mali ausdrücklich zu nennen, das gesamte Konzept des Westens von Ausbildung, Unterstützung und Beratung einheimischer Streitkräfte funktioniere außerhalb Europas offenbar nicht.

Das Thema Demokratieexport hat sich erledigt

Von politischen Zielen einer Demokratisierung scheint sich die Politik ohnehin verabschiedet zu haben. Außenminister Heiko Maas sagte nach dem Taliban-Sieg, Militäreinsätze seien nicht geeignet, "um langfristig eine Staatsform zu exportieren". Auch Markus Kaim glaubt, das sei "auf absehbare Zeit" vom Tisch, "weil die Bilanz nach Afghanistan einfach zu ernüchternd ist".

Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem Besuch der Bundeswehr in Mali im Mai 2019Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Demokratieexport stand in Mali allerdings auch nie im Vordergrund. Der CDU-Politiker Johann Wadephul beschreibt das Interesse Deutschlands so: "In Mali und der gesamten Sahelzone geht es um die Sicherheit Europas." Europa sei unmittelbar betroffen von den Risiken der Region, "vom internationalen islamistischen Terror über die organisierte Kriminalität bis hin zu großen Migrationsbewegungen".  

Putsch der westlich ausgebildeten Soldaten gegen die eigene Regierung

Katja Keul von den Grünen unterscheidet: Der MINUSMA-Einsatz der Vereinten Nationen sei "legitim, durchaus realistisch und teilweise erfolgreich", schränkt jedoch ein, eine Befriedung der Konflikte allein dadurch sei nicht zu erwarten. Dagegen könne die Ausbildungsmission EUTM gar keinen Erfolg haben, "da wir nicht wissen, wo die ausgebildeten Kämpfer verbleiben und wem sie am Ende dienen". Entsetzt sind Wadephul und Keul, dass die von der EU ausgebildeten Soldaten in Mali bereits zweimal gegen die eigene Regierung geputscht haben. "Diese Mission darf so nicht weiter fortgeführt werden", findet Keul.

Wem dienen die ausgebildeten Soldaten? Assimi Goita, Anführer der Militärjunta, erklärte sich nach dem Putsch von August 2020 erst zum Vizepräsidenten, später zum ÜbergangspräsidentenBild: ORTM TV/dpa/picture-alliance

Generalleutnant a.D. Rainer Glatz, früherer Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, beklagte kürzlich in der Wochenzeitung "Die Zeit", ebenso wie in Afghanistan fehle in Mali eine Koordination der verschiedenen militärischen und zivilen Operationen: also der EU, der UN, Frankreichs und der G5-Sahelstaaten. Ohne eine Gesamtkoordination könne man aber keinen Erfolg haben. Der Sicherheitsexperte Markus Kaim glaubt sogar, die Aufgaben der verschiedenen Akteure seien nicht unbedingt "komplementär, sondern eher diametral entgegengesetzt".

Es geht auch um Bündnissolidarität

Zeit also für einen Abzug, wie ihn im Bundestag die Linkspartei und die rechtspopulistische AfD fordern?

Johann Wadephul will an dem Einsatz trotz aller Probleme festhalten, "auch wenn es länger dauert". Dafür hat sich auch Unionskanzlerkandidat Armin Laschet ausgesprochen. Katja Keul würde zwar EUTM beenden. Doch für MINUSMA gelte: "Solange die Blauhelme ihren Auftrag erfüllen, hat die Schutzkomponente der Bundeswehr noch einen Sinn."

Die Ausbildungsmission EUTM (European Union Training Mission) würde die Grünen-Politikerin Keul gerne beendenBild: Imago Images/photothek/T. Wiegold

Bei der Frage bleiben oder abziehen geht es aber auch um Bündnisfragen, so wie die deutsche Afghanistan-Mission zunächst aus Solidarität mit den USA nach den Anschlägen vom 11. September 2001 begründet wurde. In Mali stellt sich die Bundesregierung demonstrativ an die Seite Frankreichs, das in Mali die Hauptlast trägt, und will mit der EU-Ausbildungsmission europäische Handlungsfähigkeit beweisen.

Während der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen inzwischen meint, Bündnissolidarität reiche als Grund fürs Weitermachen in Mali nicht aus, gibt sein Parteifreund Johann Wadephul zu bedenken, es werde "in Paris sehr genau geschaut, was Berlin macht. Das unterstreicht, wie eng und wichtig die deutsch-französische Zusammenarbeit ist".

Die Franzosen zweifeln an ihrer Rolle in Mali

Allerdings denken die Franzosen inzwischen selbst darüber nach, den Kampfeinsatz "Barkhane" wegen mangelnder Erfolge zu beenden und gut 2000 der zurzeit rund 5100 Soldaten aus Mali abzuziehen. Die französische Regierung hofft, dass MINUSMA im Gegenzug aufgestockt wird. Das hat auch UN-Generalsekretär António Guterres gefordert. Deutschland steht damit vor der Frage, ob es seine Truppen in Mali vergrößert und damit teilweise in die Lücke springt, die Frankreich hinterlässt, oder ob es zu dem Schluss kommt, dass das gesamte Mali-Unternehmen sinnlos geworden ist.

Französische Militärhubschrauber in Mali: Paris überlegt, den Kampfeinsatz "Barkhane" bald einzustellenBild: Michele Cattani/AFP/Getty Images

Geht es nach der deutschen Bevölkerung, ist die Sache ziemlich klar: Nach einer Anfang September veröffentlichten YouGov-Umfrage sind 44 Prozent der Befragten für einen Abzug der Bundeswehr, nur 23 Prozent sprechen für eine Fortsetzung des Einsatzes aus. Eine neue Bundesregierung nach der Wahl am 26. September wird eine Antwort geben müssen, welche Konsequenzen sie aus dem Afghanistan-Desaster für den Mali-Einsatz ziehen will.

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