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Afghanistan: Verzögerte Hilfe nach Erdbeben

Masood Saifullah
18. Oktober 2023

Bei den jüngsten Erdbeben im Westen Afghanistans starben über 1000 Menschen. Unzählige sind obdachlos. Die Hilfe läuft schleppend an. Die Taliban sind mit dem Krisenmanagement überfordert.

Eine Frau läuft mit ihren Kindern nach dem Erdbeben durch Trümmer eingestürzter Häuser
In der westafghanischen Provinz Herat läuft eine Frau mit ihren Kindern nach dem Erdbeben durch Trümmer eingestürzter HäuserBild: /Save the Children/AP/dpa/picture alliance

Eine Reihe von Erdbeben hat die westliche Provinz Herat in Afghanistan verwüstet. Nach Angaben der Taliban-Regierung sind dabei über 1000 Menschen ums Leben gekommen. Das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) dokumentiert 1384 Todesopfer. Die Erdbeben hätten ganze Familien ausgelöscht und die meisten Dörfer in der Region dem Erdboden gleichgemacht, so OCHA.

"Neun Mitglieder meiner Familie sind getötet worden", sagte Mahmud der DW, der wie viele Afghanen nur mit seinem Vornamen angesprochen wird. "Mein Vater, zwei meiner Töchter, zwei meiner Schwägerinnen und deren Kinder wurden bei dem Erdbeben getötet", sagte er vor der Ruine seines Hauses.

Erneut schweres Erdbeben in Afghanistans Provinz Herat

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Frauen und Mädchen besonders betroffen

Die Vereinten Nationen (UN) berichten, dass mehr als 43.000 Menschen direkt vom Erdbeben der Stärke 6,3 am 7. Oktober in der westlichen Provinz Herat betroffen sind. Seither gab es mehrere Nachbeben, das letzte am 15. Oktober.

Nach Angaben der UN sind mehr als 90 Prozent der Opfer Frauen und Kinder. "Das Hauptbeben ereignete sich zu einer Zeit, in der die Männer normalerweise draußen arbeiten, um sich um ihre Höfe oder ihr Vieh zu kümmern, während die Frauen und Kinder zu Hause bleiben", sagte Lina Haidari der DW.

Die Aktivistin lebt in Herat und unterstützt die heimischen Frauen, die ihr Hab und Gut verloren. Sie fügte allerdings auch hinzu, dass die Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Frauen in diesem Teil Afghanistans üblich sei und nicht erst seit der Machtübernahme durch die extremistischen Taliban. Deswegen sei die Anzahl an Opfern unter Frauen und Kindern hoch gewesen.

Haidari zufolge haben es die Taliban in einem seltenen Fall sogar zugelassen, dass Frauen ohne männliche Begleitung in die vom Erdbeben betroffenen Distrikte reisen, und zwar um dort Frauen zu helfen. Es sei wichtig, so Lina Haidari gegenüber der DW, dass die Frauen nicht vergessen werden. "Sie haben alles verloren. Unsere Priorität ist die Bereitstellung von Hygieneartikeln für diese Frauen. Wir konzentrieren uns auf Schwangere und stillende Mütter."

Benachteiligte Region

Die Naturkatastrophe traf die ohnehin sehr armen Bezirke in Afghanistan. Dort herrschte zwei Jahrzehnte lang ein Krieg, bis die Taliban im August 2021 die Kontrolle über Afghanistan übernahmen. Zwar ging der Krieg zu Ende, aber die Wirtschaft hat sich seither nicht erholt. Die USA haben Wirtschaftssanktionen gegen die Taliban verhängt. Die meisten Hilfsorganisationen haben sich aus dem Land zurückgezogen und ihre Arbeit eingestellt.

Die UN fordern nun 93,6 Millionen US-Dollar zur Unterstützung der Überlebenden. Es ist unklar, wie viel Geld bisher bereitgestellt wurde. Neben den UN haben einzelne Länder, darunter China, Japan, die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate, Pakistan und Usbekistan, bilaterale Hilfe geleistet.

Männer bringen eine Person auf einer hölzernen Trage zum Krankenhaus in HeratBild: AFP/Getty Images

Kommt die Hilfe an?

Im Falle Afghanistans geht es allerdings nicht nur darum, das Geld aufzutreiben, sondern auch sicherzustellen, dass es die betroffenen Menschen erreicht. Aufgrund der von den USA verhängten Sanktionen dürfen die Gelder nicht in die Hände der Taliban fallen. Das macht die Hilfe kompliziert und langsam.

Die regierenden Taliban wollen selber eine zentrale Rolle bei der Koordinierung der Hilfe spielen. Sie haben zu diesem Zweck eine Kommission eingerichtet. "Diese Kommission ist dafür verantwortlich, dass jeder die Hilfe bekommt, die er braucht, und dass keine Korruption im Spiel ist", sagte Zabiullah Mujahid, Sprecher und ranghohes Mitglied der Taliban, im Interview mit der DW.

Zerstörte Häuser in der Nähe von Herat aus der LuftperspektiveBild: REUTERS

Schleppende Katastrophenhilfe

Der Sprecher behauptete außerdem, die Taliban seien nur eine Stunde nach dem Erdbeben in den betroffenen Gebieten eingetroffen. Viele Aktivisten und Freiwillige in der Region haben diese Behauptung jedoch zurückgewiesen und erklärt, dass es noch Stunden nach dem Erdbeben keine Informationen über das Ausmaß der Zerstörung gab. Nach Ansicht der Aktivisten hätte in diesen ersten Stunden die Chance bestanden, die unter den Trümmern Eingeschlossenen zu retten.

"Zwei bis drei Stunden nach dem Erdbeben gab es keinerlei Informationen", sagte Rashid Azimi, ein lokaler Hilfskoordinator, der nicht mit der Taliban-Regierung in Verbindung steht. Er fügte hinzu, dass die Anwohner selbst um Hilfe gerufen hatten, als niemand sonst verfügbar war. Er warf den Taliban ein "sehr schlechtes Krisenmanagement" vor.

Dorfbewohner bergen ÜberlebendeBild: Ebrahim Noroozi/AP/picture alliance

Überforderung und Selbsthilfe

Als radikalislamische Organisation haben die Taliban die meiste Zeit seit ihrer Gründung gekämpft. Sie hatten weder Regierungserfahrungen noch Expertise über zivilen Bevölkerungsschutz. Während der NATO-Präsenz in Afghanistan richteten die Taliban zwar eine Parallelregierung ein, die jedoch keinen Bürgerservice erbrachte. Der überstürzte Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan und der Zusammenbruch der von ihnen unterstützten Regierung zwangen die Taliban jedoch, die Verantwortung für ein Land zu übernehmen, das bereits durch jahrzehntelangen Krieg und extreme Armut gezeichnet war.

Die Taliban räumen ein, dass sie aufgrund schlechter Wirtschaftslage nicht alle notwendige Hilfe leisten können. "Afghanistan ist ein armes Land und kann Katastrophen nicht aus eigener Kraft bewältigen. Deshalb brauchen wir die Hilfe und Unterstützung anderer Länder", sagte Talibansprecher Mujahid.

Während die Taliban vergeblich auf internationale Spenden warten, haben die Afghanen innerhalb und außerhalb des Landes die Hilfe selbst in die Hand genommen. Jawid Hazrati, ein lokaler Aktivist, gehörte zu einer Gruppe, die in der östlichen Provinz Nangarhar mehr als drei Millionen Afghanis Hilfsgelder (rund 38.000 Euro) sammelte. "Einige Menschen, die gespendet haben, hatten selbst nicht viel. Das zeigt, wie sehr die Menschen in Afghanistan füreinander da sind", sagte er.

Aus dem Englischen adaptiert von Rodion Ebbighausen.