Jan D. Walter | Wesley Dockery | Adeli Ghazanfar Kabul
16. August 2021
Ein islamischer Staat nach den Vorstellungen der Taliban - vor allem den Frauen des Landes droht damit ein riesiger Rückschritt. Viele müssen um ihr Leben fürchten, weil sie sich für Frauenrechte eingesetzt haben.
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Frauen in Afghanistan fürchten Herrschaft der Taliban
01:28
Bisher geben sich die Taliban gemäßigt, auch nachdem sie die afghanische Hauptstadt Kabul eingenommen haben. Doch viele Beobachter warnen, dass dies täusche: Spätestens, wenn sich die internationale Aufmerksamkeit von Afghanistan abwende, würden die Islamisten ihre reaktionären Vorstellungen von einer muslimischen Gesellschaft radikal durchsetzen.
Zurück in die 1990er Jahre?
"Taliban 2.0 ist genau das Gleiche wie die Vorgängerversion, sie haben sich nicht geändert", sagte Saad Mohseni, Chef des größten afghanischen Medienunternehmens Moby Group, in einem Interview mit DW-TV. "Frauen und Mädchen werden wieder so leben müssen wie in den 1990er-Jahren."
"Der Krieg in Afghanistan ist vorbei"
Der Staatschef ist geflohen, die radikal-islamischen Taliban sind in den Präsidentenpalast in Kabul eingerückt. In der Bevölkerung herrscht große Unsicherheit. Ausländer werden in Sicherheit gebracht.
Bild: Kyodo/picture alliance
Sorge der Frauen
Nach dem Vormarsch der Taliban auf Kabul herrscht Anspannung in der afghanischen Hauptstadt. Die Situation könnte sich vor allem für Frauen schnell verschlechtern. Unter der Taliban-Herrschaft waren Schulen für Frauen tabu. Mohammed Naeem, Polit-Sprecher der Taliban, erklärte jetzt, dass sie die Rechte von Frauen und Minderheiten,
achten würden, aber nur, wenn sie der Scharia entsprächen.
Bild: Kyodo/picture alliance
Geschlossene Tore
Nach dem Rückzug der alliierten Truppen aus Afghanistan, hatten die Taliban leichtes Spiel, zurück an die Macht zu gelangen. Die USA haben begonnen, ihr Botschaftspersonal in Kabul auszufliegen - nur wenige Mitarbeiter sollen in einer diplomatischen Einrichtung am Flughafen bleiben. Die Bundeswehr hat auch mit der Evakuierung deutscher Staatsbürger und afghanischer Ortskräfte aus Kabul begonnen.
Bild: WAKIL KOHSAR/AFP
Dramatische Szenen am Flughafen
Die einzige Möglichkeit, das Land zu verlassen, ist der internationale Flughafen in Kabul.
Tausende Menschen versuchen zu fliehen. Der Zugang zum Flughafen ist unübersichtlich. Immer wieder kommt es zu dramatischen Szenen.
Bild: AFP
Taliban im Machtzentrum
Nach dem überraschend schnellen Eroberungsfeldzug in Afghanistan haben die radikal-islamischen Taliban ihren Sieg erklärt. Nur gut ein Vierteljahr nach Beginn des internationalen Truppenabzugs aus dem Land am Hindukusch besetzten sie den Palast von Präsident Aschraf Ghani.
Bild: Zabi Karim/AP/picture alliance
Islamisten wollen "Probleme lösen"
"Der Krieg in Afghanistan ist vorbei", sagte Mohammad Naeem (Archivbild), Sprecher des Taliban-Politbüros. "Wir bitten alle Länder und Organisationen, sich mit uns zusammenzusetzen, um alle Probleme zu lösen", fügte er hinzu. Die Form der künftigen Regierung werde bald feststehen.
Bild: Sefa Karacan/AA/picture alliance
Symbol der neuen Herrscher
Vielerorts haben die Taliban ihre Flagge gehisst - wie hier am zentralen Platz von Kundus. Die Eroberung der Provinzhauptstadt im Nordosten Afghanistans vor wenigen Tagen war ein Schock für die westliche Gemeinschaft. In Kundus waren deutsche Soldaten zehn Jahre lang stationiert.
Bild: Abdullah Sahil/AP Photo/picture alliance
Polizeifahrzeug in den Händen der Taliban
Zig Milliarden Dollar haben die USA in den vergangenen Jahren in die Ausbildung und Ausrüstung des afghanischen Militärs und der Polizei investiert. Mit der vielerorts nahezu kampflosen Kapitulation der Regierungstruppen fallen Waffen und Ausrüstung nun in die Hände der Islamisten. Hier patrouillieren Talibankämpfer in einem Polizeifahrzeug vor dem Flughafen von Kabul.
Bild: REUTERS
Ghani schon im Ausland
Der afghanische Präsident - hier bei einer Fernsehansprache am Samstag - soll nach Usbekistan geflüchtet sein. Ghani habe sich gemeinsam mit seinem Stabschef in die usbekische Hauptstadt Taschkent abgesetzt, berichtete der Sender Al Dschasira unter Berufung auf einen Leibwächter.
Staus auf Kabuls Straßen am Sonntag: Viele Afghanen möchten ihr Land rasch verlassen. Laut Medienberichten haben die Taliban angeordnet, niemanden an der Ausreise zu hindern. Viele Menschen schlagen sich auch zu Fuß zum Flughafen durch. Etliche Länder haben ihre Bürger aufgerufen, umgehend aus Afghanistan auszureisen.
Bild: Khodaiberdi Sadat/AA/Getty Images
Evakuierungsaktion angelaufen
"Wir setzen jetzt alles daran, unseren Staatsangehörigen und unseren ehemaligen Ortskräften eine Ausreise in den kommenden Tagen zu ermöglichen", erklärte Außenminister Heiko Maas. Flugzeuge der Bundeswehr starteten am Sonntagabend in Richtung Afghanistan, um die Evakuierung zu unterstützen.
Bild: Moritz Frankenberg/dpa/picture alliance
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Die Taliban kontrollierten Afghanistan ab 1996 weitgehend, bis sie 2001 mit Unterstützung der US-geführten Mission "Enduring Freedom" gestürzt wurden. Unter ihrer Herrschaft durften Frauen nicht ohne Burka und männliche Begleitung auf die Straße. Mädchen durften nicht zur Schule gehen.
Genau das, prophezeit Mohseni, stehe nun dem ganzen Land bevor: "Sie werden nicht arbeiten dürfen und nicht einmal ins Krankenhaus, wenn sie nicht von einem männlichen Verwandten begleitet werden."
Frauen berichten von Heiratszwang
Berichten zufolge ist dies in mehreren Provinzen, die die Taliban unter ihre Kontrolle gebracht haben, bereits eingetreten. "Ich will studieren, aber die Taliban haben uns nicht erlaubt zur Schule zu gehen", sagte eine Jugendliche der DW in Kabul. Sie war aus der Provinz Tachar geflohen, die seit Anfang August von den Taliban kontrolliert wird.
In der Provinz Kandahar sollen Taliban-Kämpfer neun Mitarbeiterinnen einer Bank von deren Arbeitsplatz nach Hause gebracht haben. Ihre Anweisung: Sie müssten zu Hause bleiben, ein männlicher Angehöriger könne ihre Posten besetzen.
"Die Taliban kamen in die Moscheen und sagten allen, ihre Kämpfer würden Witwen und junge Frauen heiraten", sagte eine Frau in Burka der DW in Kabul, deshalb seien sie in die Hauptstadt geflohen.
UN-Generalsekretär Antonio Guterres nannte es in einem Tweet "besonders grauenhaft und herzzerreißend", wie den Frauen und Mädchen ihre hart erkämpften Rechte wieder entrissen würden.
Öffentliche Strafen für Verstoße
Verstöße gegen ihre Anordnungen ahnden die Taliban mit drakonischen Strafen: In den 1990er-Jahren wurden Frauen eingesperrt, gefoltert und sogar getötet. Oftmals fanden Auspeitschungen und Exekutionen öffentlich statt. Das könnte sich nun wiederholen, fürchten auch Frauenrechtlerinnen - besonders gefährdet seien diejenigen, die sich für größere Freiheiten für Frauen eingesetzt oder diese auch nur genutzt haben.
Am vergangenen Freitag sagte die Journalistin und Menschenrechtlerin Mariam Atahi der DW, sie fürchte um ihr Leben, wenn die Taliban Kabul erobern würden. Am selben Tag sagt Victoria Fontan, Professorin für Konfliktstudien an der Amerikanischen Universität von Kabul, der DW über ihre Studentinnen: "Sie sind sehr besorgt um ihre Zukunft, ob sie weiter studieren können, ob sie weiter Teil der Gesellschaft bleiben können."
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Sicherheitslage in Kabul spitzt sich zu
Mittlerweile haben die Taliban die Hauptstadt eingenommen. Von Mariam Atahi hat die DW seither nichts gehört. Die Französin Victoria Fontan sprach jedoch noch am Montag mit mehreren Medien ihres Heimatlandes: Derzeit befindet sie sich demnach im Quartier der kanadischen Sicherheitsfirma GardaWorld. Zum Hauptstadtflughafen, von wo aus auch Frankreich seine Bürger in Sicherheit bringt, können sie derzeit nicht gelangen, weil sie keinen Geleitschutz habe, sagte sie dem Radiosender RTL. Sie wolle aber ohnehin so lange wie möglich in Kabul bleiben, um ihre Studentinnen zu beschützen und - wenn möglich - direkt mit den Taliban über deren Sicherheit verhandeln.