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PolitikAsien

Afghanistans Frauen befürchten das Schlimmste

Jan D. Walter | Wesley Dockery | Adeli Ghazanfar Kabul
16. August 2021

Ein islamischer Staat nach den Vorstellungen der Taliban - vor allem den Frauen des Landes droht damit ein riesiger Rückschritt. Viele müssen um ihr Leben fürchten, weil sie sich für Frauenrechte eingesetzt haben.

Vertriebene Afghaninnen aus den nördlichen Provinzen
Vertriebene Afghaninnen aus den nördlichen ProvinzenBild: Rahmat Gul/AP Photo/picture alliance

Frauen in Afghanistan fürchten Herrschaft der Taliban 

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Bisher geben sich die Taliban gemäßigt, auch nachdem sie die afghanische Hauptstadt Kabul eingenommen haben. Doch viele Beobachter warnen, dass dies täusche: Spätestens, wenn sich die internationale Aufmerksamkeit von Afghanistan abwende, würden die Islamisten ihre reaktionären Vorstellungen von einer muslimischen Gesellschaft radikal durchsetzen. 

Zurück in die 1990er Jahre? 

"Taliban 2.0 ist genau das Gleiche wie die Vorgängerversion, sie haben sich nicht geändert", sagte Saad Mohseni, Chef des größten afghanischen Medienunternehmens Moby Group, in einem Interview mit DW-TV. "Frauen und Mädchen werden wieder so leben müssen wie in den 1990er-Jahren."

Die Taliban kontrollierten Afghanistan ab 1996 weitgehend, bis sie 2001 mit Unterstützung der US-geführten Mission "Enduring Freedom" gestürzt wurden. Unter ihrer Herrschaft durften Frauen nicht ohne Burka und männliche Begleitung auf die Straße. Mädchen durften nicht zur Schule gehen.  

Genau das, prophezeit Mohseni, stehe nun dem ganzen Land bevor: "Sie werden nicht arbeiten dürfen und nicht einmal ins Krankenhaus, wenn sie nicht von einem männlichen Verwandten begleitet werden." 

Frauen berichten von Heiratszwang 

Berichten zufolge ist dies in mehreren Provinzen, die die Taliban unter ihre Kontrolle gebracht haben, bereits eingetreten. "Ich will studieren, aber die Taliban haben uns nicht erlaubt zur Schule zu gehen", sagte eine Jugendliche der DW in Kabul. Sie war aus der Provinz Tachar geflohen, die seit Anfang August von den Taliban kontrolliert wird. 

In der Provinz Kandahar sollen Taliban-Kämpfer neun Mitarbeiterinnen einer Bank von deren Arbeitsplatz nach Hause gebracht haben. Ihre Anweisung: Sie müssten zu Hause bleiben, ein männlicher Angehöriger könne ihre Posten besetzen.

"Die Taliban kamen in die Moscheen und sagten allen, ihre Kämpfer würden Witwen und junge Frauen heiraten", sagte eine Frau in Burka der DW in Kabul, deshalb seien sie in die Hauptstadt geflohen.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres nannte es in einem Tweet "besonders grauenhaft und herzzerreißend", wie den Frauen und Mädchen ihre hart erkämpften Rechte wieder entrissen würden. 

Öffentliche Strafen für Verstoße 

Verstöße gegen ihre Anordnungen ahnden die Taliban mit drakonischen Strafen: In den 1990er-Jahren wurden Frauen eingesperrt, gefoltert und sogar getötet. Oftmals fanden Auspeitschungen und Exekutionen öffentlich statt. Das könnte sich nun wiederholen, fürchten auch Frauenrechtlerinnen - besonders gefährdet seien diejenigen, die sich für größere Freiheiten für Frauen eingesetzt oder diese auch nur genutzt haben.

Am vergangenen Freitag sagte die Journalistin und Menschenrechtlerin Mariam Atahi der DW, sie fürchte um ihr Leben, wenn die Taliban Kabul erobern würden. Am selben Tag sagt Victoria Fontan, Professorin für Konfliktstudien an der Amerikanischen Universität von Kabul, der DW über ihre Studentinnen: "Sie sind sehr besorgt um ihre Zukunft, ob sie weiter studieren können, ob sie weiter Teil der Gesellschaft bleiben können." 

Sicherheitslage in Kabul spitzt sich zu

Mittlerweile haben die Taliban die Hauptstadt eingenommen. Von Mariam Atahi hat die DW seither nichts gehört. Die Französin Victoria Fontan sprach jedoch noch am Montag mit mehreren Medien ihres Heimatlandes: Derzeit befindet sie sich demnach im Quartier der kanadischen Sicherheitsfirma GardaWorld. Zum Hauptstadtflughafen, von wo aus auch Frankreich seine Bürger in Sicherheit bringt, können sie derzeit nicht gelangen, weil sie keinen Geleitschutz habe, sagte sie dem Radiosender RTL. Sie wolle aber ohnehin so lange wie möglich in Kabul bleiben, um ihre Studentinnen zu beschützen und - wenn möglich - direkt mit den Taliban über deren Sicherheit verhandeln. 

Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.