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"Viel erreicht"

Abdul Bari Hakim27. September 2012

Die afghanische Menschenrechtlerin und Trägerin des Alternativen Nobelpreises, Sima Samar, spricht im DW-Interview über ihr Leben, ihre Arbeit und die Situation der Menschenrechte in ihrem Land.

Sima Samar (Foto: Getty Images)
Sima Samar in Kabul 2011Bild: Shah Marai/AFP/Getty Images

Deutsche Welle: Frau Samar, erst einmal herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Auszeichnung mit dem Alternativen Nobelpreis 2012.

Sima Samar: Vielen Dank! Offiziell wusste ich noch gar nicht, dass ich den Preis gewonnen habe. Sie sind also tatsächlich meine ersten Gratulanten. Ich bin sehr stolz darauf, diesen Preis zu bekommen, und ich widme die Auszeichnung den afghanischen Frauen, vor allem denen, die ihre Stimme selbst nicht erheben können. Ich bin sehr stolz, dass die internationale Gemeinschaft das Leiden der afghanischen Frauen anerkennt, genauso wie ihren Kampf für Gleichberechtigung, Gerechtigkeit und Menschenrechte in diesem Land. Ich selbst habe eigentlich nichts Außergewöhnliches geleistet, aber die Umgebung, in der ich arbeite, ist schon sehr schwierig.

DW: Seit wann kämpfen Sie als Menschenrechtsaktivistin vor allem für die Frauenrechte in Afghanistan?

Schon sehr lange. Bereits als junge Ärztin habe ich bei der medizinischen Grundversorgung und beim Aufbau von Einrichtungen für Bildung und Gesundheit mitgearbeitet – besonders für afghanische Frauen und Kinder. Seit elf Jahren leite ich die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission (AIHRC), und ich bin stolz darauf, dass wir mit dieser Kommission etwas außergewöhnliches für diese Region erreicht haben. Keiner unserer Nachbarstaaten, weder Pakistan, noch Tadschikistan, Usbekistan oder Turkmenistan, besitzt eine solche Kommission und niemand in diesen Staaten kann so offen über Menschenrechtsverletzungen berichten wie wir. Auch wenn Afghanistan noch immer in einer schwierigen Situation steckt und vom Krieg zerrissen ist, haben wir es doch geschafft, Büros im ganzen Land zu eröffnen.

Sima Samar demonstriert mit einigen Mitstreiterinnen in Kabul gegen Gewalt an Frauen.Bild: DW/H.Sirat

DW: Aus Ihrem Land erreichen uns beinahe täglich Nachrichten über Gewalt - auch gegen Frauen. Was beunruhigt Sie in dieser Hinsicht am meisten?

Erst einmal glaube ich, dass wir schon viel erreicht haben. Folter zum Beispiel war in Afghanistan lange Zeit an der Tagesordnung. Niemand, der je dieses Land regiert hat, wurde dafür jemals zur Rechenschaft gezogen. Zumindest das hat sich geändert. Natürlich gibt es auch heute noch Folterungen im Land, aber zumindest muss man sie jetzt vor unseren Beobachtern verstecken, das ist schon ein kleiner Fortschritt. Ich finde, alleine die Einrichtung einer Menschenrechtskommission in einem Krisenstaat wie Afghanistan ist schon eine große Errungenschaft. Durch uns wissen viele Afghanen erst, dass sie Grundrechte besitzen. Auf der Welt gibt es viele Krisenstaaten, aber keiner davon besitzt so eine starke Menschenrechtskommission wie Afghanistan.

DW: Trotzdem kommt es immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen. In ihrem Geburtsort Ghazni zum Beispiel wurde erst vor zwei Wochen ein junges Mädchen ausgepeitscht. Dabei wird das Gebiet nicht von den Taliban kontrolliert. Die Tat wurde von einem ganz normalen Polizeibeamten durchgeführt. Fürchten Sie, dass Afghanistan zum Rechtssystem der Taliban-Ära zurückkehren könnte?

Ich glaube, da hat jemand Selbstjustiz verübt und daran geglaubt, dass er dafür nicht zur Rechenschaft gezogen wird. Das Mädchen wurde ja ohne Gerichtsbeschluss ausgepeitscht. Wir haben dazu eine Stellungnahme abgegeben und die Regierung aufgefordert, den Fall zu untersuchen. Diejenigen, die die Auspeitschung verfügt haben, sitzen bereits in Untersuchungshaft. So wie sie denkt nur eine Minderheit. Die Zivilgesellschaft und die junge Generation aus Jaghori haben bereits gegen die Auspeitschung demonstriert. Es ist sehr traurig, dass so etwas ausgerechnet dort vorkam, denn in Jaghori leben mehr Menschen mit Schulbildung als in irgendeiner anderen afghanischen Provinz, sogar mehr als in Kabul. Wir verlangen, dass die Drahtzieher dieser Auspeitschung vor Gericht gestellt werden.

Afghanen in einem Krankenhaus in KabulBild: AP

DW: Frau Samar, jetzt, da Sie den Alternativen Nobelpreis gewonnen haben: Welche Botschaft haben Sie für die afghanischen Frauen?

Frauen sind immer dann in Gefahr, wenn es keinen Rechtsstaat gibt. In dieser Hinsicht haben die Frauen in Afghanistan nach dem Sturz der Taliban viel erreicht. Nur: die Rechte, die sie besitzen, werden in der Praxis nicht respektiert. Ich glaube, die einzige Lösung für Afghanistan liegt in der Förderung von Gleichberechtigung und Menschenrechten. Niemand steht über dem anderen, und niemand steht über dem Gesetz! Deshalb kämpfen wir weiter für den Rechtsstaat, die Menschenrechte und die Menschenwürde in Afghanistan, und das geht nur mit viel Unterstützung aus der Bevölkerung und von der internationalen Gemeinschaft, die uns beim demokratischen Aufbau unseres Landes helfen muss. Denn Demokratie funktioniert nur dann, wenn man auch die Menschenrechte achtet.

Die Fragen stellte Abdul Bari Hakim.

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