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Politik

Afghanistans Friedensprozess am Scheideweg 

26. März 2020

Der Machtkampf in Kabul könnte die Umsetzung des Friedensplans torpedieren. Während die US-Regierung die Taliban lobt, droht sie Afghanistans Regierung mit einer Kürzung der Hilfen. Die Folgen wären verheerend.

Männer im afghanischen Dschalalabad feiern Ende Februar das bevorstehende Friedensabkommen
Männer im afghanischen Dschalalabad feiern Ende Februar das bevorstehende FriedensabkommenBild: Reuters/Parwiz

Fehlschlag für US-Außenminister Mike Pompeo in Kabul, wo vor knapp sechs Jahren sein Amtsvorgänger John Kerry zumindest befristet Erfolg hatte. Kerry, Außenminister unter Präsident Barack Obama, hatte es im September 2014 tatsächlich geschafft, die beiden afghanischen Konkurrenten um die Führung des Landes, Aschraf Ghani und Abdullah Abdullah, zu einem Kompromiss zu bewegen. Ghani wurde zum Sieger der Präsidentschaftswahl erklärt, sein Konkurrent erhielt das neugeschaffene Amt des "Regierungsgeschäftsführers".

Dass diese Machtteilung nicht von Dauer sein würde, war den meisten Beobachtern klar. Und in der Tat: Nach der Präsidentschaftswahl vom vergangenen September beanspruchen jetzt dieselben Kontrahenten von damals erneut das Amt des Präsidenten. Trotz achtstündiger Gespräche mit beiden Politikern am Montag in Kabul kehrte Pompeo mit leeren Händen nach Washington zurück. Zuvor hatte er einen Zwischenstopp in Doha eingelegt, um mit der Taliban-Führung Gespräche zu führen.

Mike Pompeo (l.) und Aschraf Ghani am Montag in KabulBild: picture-alliance/dpa/Afghan Presidential Palace

Auf dem Rückflug nach Washington kündigte Pompeo energische Maßnahmen als Reaktion auf das "Versagen" der afghanischen Führung an, sich auf eine Einheitsregierung zu einigen. Letzteres sei Voraussetzung für Fortschritte bei der Umsetzung des Friedensabkommens mit den Taliban. Pompeo nannte das Verhalten der beiden afghanischen Spitzenpolitiker eine "direkte Bedrohung der nationalen Interessen der USA". Deshalb würden die USA den Umfang ihrer Zusammenarbeit mit Afghanistan überprüfen, so Pompeo, und für dieses Jahr die Entwicklungshilfe um eine Milliarde US-Dollar kürzen. "Wir sind auch bereit, um eine weitere Milliarde im Jahr 2021 zu kürzen", teilte Pompeo mit. Das wäre knapp ein Viertel der amerikanischen Hilfe für Afghanistan. Er deutete an, dass diese Maßnahmen überdacht werden könnten, wenn sich die Beteiligten in Kabul doch noch auf eine Lösung für eine funktionsfähige Regierungsbildung einigen.

Zerstritten: Abdullah Abdullah und Aschraf GhaniBild: picture-alliance/dpa/EPA/J. Jalali

Trotz der ungeklärten Verhältnisse in Kabul wollen die USA an dem mit den Taliban vereinbarten Abzug festhalten, also die Truppenstärke innerhalb von 135 Tagen um etwa ein Drittel auf rund 8600 Soldaten reduzieren. Binnen 14 Monaten sollen alle Soldaten der USA und ihrer Verbündeten abgezogen werden, sofern sich die Taliban an ihre Verpflichtungen halten, keine Angriffe auf Koalitionstruppen zu verüben und bei der Bekämpfung von IS und Al Kaida zu kooperieren.

Ghani gibt sich unbeeindruckt

Für das wirtschaftlich schwache Land könnte es weitreichende Folgen haben, sollte es zu den angedrohten Kürzungen der amerikanischen Hilfe kommen. Der afghanische Staatshaushalt sei zu einem Großteil von ausländischen Geldern abhängig, sagt Michael Kugelman, Südasien-Experte am Wilson-Center in Washington. "Die Drohung, Gelder zurückzuhalten, zeigt, dass die USA einen dramatischen letzten Versuch wagen, damit Ghani und Abdullah ihre Differenzen beilegen", so Kugelman gegenüber der DW. Das sei sozusagen die "nukleare Option" der USA.

Der Taliban-Vertreter Mullah Abdul Salam Zaeef im Gespräch mit der Presse in DohaBild: Getty Images/AFP/G. Cacace

Von der Drohung Pompeos zeigte sich Ashraf Ghani unbeeindruckt. "Ich kann Ihnen versichern, dass die Reduzierung der Hilfe keinen direkten Einfluss auf die entscheidenden Schlüsselsektoren hat", sagte er in einer vom Staatsfernsehen ausgestrahlten Ansprache. Für solche Fälle habe jede Regierung einen Ausweichplan. Man wolle nun den Staatshaushalt neu bewerten und anpassen. Gleichzeitig dankte er den USA für eine Zusicherung von finanzieller Hilfe in Höhe von 15 Millionen US-Dollar im Kampf gegen das neuartige Coronavirus.

Bevölkerung fühlt sich im Stich gelassen

Viele Afghanen sehen die angedrohten Kürzungen der amerikanischen Hilfe jedoch nicht so gelassen. Sie befürchten, dass sich das arme und von Korruption geplagte Land ins Abseits stellt. 80 Prozent der Bevölkerung leben nach Angaben der Welthungerhilfe unterhalb der Armutsgrenze. 9,8 von insgesamt 36 Millionen Einwohnern benötigen dringend humanitäre Hilfe. Trotz der Vermittlungsbemühungen der USA und der internationalen Gemeinschaft geht der Krieg in Afghanistan weiter. "Kann es sich Afghanistan leisten, eine Milliarde US-Dollar abzulehnen?", fragen sich viele.

US-Soldaten in AfghanistanBild: picture-alliance/Getty Images/T. Watkins

Die innerafghanischen Verhandlungen hätten Mitte März starten sollen. Davon sind alle Beteiligten weit entfernt. Jahrelang sei die Fragmentierung der Taliban von den USA und der afghanischen Regierung hochgespielt worden, so Thomas Ruttig, Afghanistan-Experte und Mitbegründer des Afghanistan Analysts Network. "Das war Teil ihrer psychologischen Kriegsführung." Tatsächlich hätten die Taliban es aber immer wieder geschafft, ihre Reihen zu schließen. Von der afghanischen politischen Elite könne man dasselbe heute nicht behaupten.

Taliban profitieren von Uneinigkeit

Während Pompeo mit den Spitzenpolitikern in Kabul scharf ins Gericht ging, lobte er das Verhalten der Taliban. "Es hat keine Angriffe auf amerikanische Soldaten gegeben, seit der Friedensvertrag unterzeichnet wurde", betonte der US-Außenminister.

Wie so oft in den letzten 20 Jahren profitierten die Taliban von den innerafghanischen Konflikten, erklärt Kugelman. Die jüngste Erklärung der USA würde der ohnehin geschwächten afghanischen Regierung weiter schaden. "Die Drohung Washingtons mit dem Stopp von Finanzhilfe ist ein wichtiger propagandistischer Erfolg für die Taliban", so Kugelman. Sollte es zwischen den Kontrahenten in Kabul zu keiner Einigung kommen, würden die USA vielleicht noch im Hintergrund vermitteln, aber ansonsten die Idee der innerafghanischen Friedensgespräche aufgeben und ihren Truppenabzug wie gehabt fortsetzen.

"Die Taliban ernten die Früchte der Uneinigkeit in Kabul", sagt auch Thomas Ruttig. Die eigentlichen Verlierer seien jedoch wieder diejenigen, die es am meisten betrifft, die Menschen in Afghanistan.

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