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PolitikAsien

Afghanistans Not verstärkt Terror-Gefahr

21. Februar 2022

Die Taliban zwingen der Bevölkerung ihre Ideologie auf, können aber zur Linderung der Not nichts beitragen. Auf diesem Boden wächst neue Terror-Gefahr.

Afghanistan | Anschlag auf eine Moschee in der Provinz Kundus
Nach dem Anschlag auf eine Moschee der Schiiten in Kundus im Oktober 2021Bild: Abdullah Sahil/AP Photo/picture alliance

Die afghanischen Taliban haben unter anderem mittels blutiger Anschläge auf NATO-Truppen und deren Kabuler Verbündete, sowie auf Angehörige der Zivilgesellschaft, die Macht im Land übernommen. Nun müssen sie ihrerseits jener Terroristen Herr werden, die weiterhin Anschläge in Afghanistan verüben. Selbst die Bewohner von Kabul sind vor dschihadistischen Angriffen nicht sicher, wie ein Doppelanschlag mit zwei Autobomben im vergangenen November zeigte.

Im aktuellen UN-Bericht an den Sicherheitsrat von Anfang Februar, den das UN-Team zur Überwachung der Sanktionen gegen den IS und Al Kaida zusammengestellt hat, heißt es, Afghanistan könne nach dem Taliban-Sieg "potentiell zu einem sicheren Rückzugsort für Al Kaida und andere Terrororganisationen mit Verbindungen nach Zentralasien und darüber hinaus werden." Der IS-Ableger in Afghanistan ("Islamischer Staat in Chorasan", IS-K) kontrolliere zwar nur  begrenzte Gebiete in Afghanistan, habe aber seine dauerhafte Fähigkeit unter Beweis gestellt, aufwendige Anschläge zu verüben.

Rekrutierung enttäuschter Ex-Taliban

Dem IS-K gehören dem UN-Bericht zufolge rund 4000 Kämpfer an, unter ihnen bis zu 2000 Personen ausländischer Staatsangehörigkeit, die nach der Öffnung der afghanischen Gefängnisse nach dem Taliban-Sieg in Freiheit gelangt seien. Der Großteil der Kämpfer rekrutiere sich aber aus den Reihen der Afghanen, vor allem solchen, die bis vor einiger Zeit noch den Taliban angehörten, sagt der Afghanistan-Experte Conrad Schetter, Mitglied im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Afghanistan (AGA), im DW-Interview.

Taliban-Kämpfer im Siegesgefühl am Kabuler Flughafen Bild: Wakil Kohsar/AFP/Getty Images

Die Stärkung des IS-K gehe vor allem auf ehemalige Kämpfer der Taliban zurück, von denen sich viele nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im August 2021 den Dschihadisten angeschlossen hätten. "Diese Leute waren unzufrieden mit dem, was ihnen ihr Einsatz gebracht hat." Nach der Machtübernahme hätten den Taliban die Mittel gefehlt, ihre Kämpfer materiell oder durch einflussreiche Positionen zu belohnen. "So gab es viele junge Männer, die ihre Erwartungen nach dem Sieg enttäuscht sahen. So wurden sie auf den IS-K aufmerksam, der sie mit neuen Angeboten lockte", so Schetter, Autor eines im Mai erscheinenden Buchs über Geschichte, Politik und Ideologie der Taliban.

Ein weiteres Ereignis habe die Verbreitung des IS-K in Afghanistan begünstigt, so Schetter. "Sie fällt mit dem Zeitpunkt zusammen, an dem die Friedensverhandlungen in Doha begannen und ihren Abschluss mit dem Friedensabkommen im Februar 2020 fanden. In dem Moment, da die Taliban signalisierten, sie seien bereit, mit den Amerikanern zu reden, wuchs - das lässt sich auf Wochen und Monate genau rekonstruieren - der Islamische Staat in Afghanistan."

Checkpoint der Taliban in Kabul nach der MachtübernahmeBild: Haroon Sabawoon/AA/picture alliance

Vor allem die militärisch wie ideologisch kompromisslosen Kämpfer hätten sich vom IS-K angezogen gefühlt, sagt Schetter. "Da steckt in gewisser Weise eine Gewaltökonomie dahinter, ein Leben im Krieg. Diese Personen kennen nichts als den Kampf und können sich auf ein friedliches Miteinander und auf Kompromisse nicht einlassen."

Zivile Opfer des Konflikts von IS und Taliban

Zu dieser Kompromisslosigkeit haben sich ISK-Dschihadisten wiederholt bekannt. "(Die Taliban) setzen den Islam und die Scharia nicht angemessen um und arbeiten stattdessen für Ungläubige", erklärte  ein IS-K-Kämpfer im vergangenen November gegenüber dem Online-Magazin "The Diplomat". Mit den "Ungläubigen" wollte er vor allem den pakistanischen Staat verstanden wissen, zu dem die Taliban seit jeher enge Beziehungen unterhalten. Der IS-K sei entschlossen, die Taliban mit allen Mitteln zu bekämpfen, so der Dschihadist, der sich einer Gruppe in Dschalalabad, rund 160 Kilometer östlich von Kabul, zurechnet. "Wir töten die Taliban mit allen erdenklichen Mitteln: Pistolen, Gewehren, Sprengstoff. Wir tun das oft von Auto-Rikschas aus."

Aufgegeben - IS-Kämpfer in Nangarhar übergaben im November 2019 ihre Waffen an die Kabuler Regierung Bild: Noorullah Shirzada/AFP/Getty Images

Am vergangenen Samstag kamen bei der Kontrolle eines solchen Gefährts eine Frau und zwei weitere Zivilisten durch Schüsse der Taliban ums Leben. Nach offizieller Darstellung hatte das Auto-Rikscha an einem Kontrollposten in Kandahar trotz Aufforderung nicht angehalten. Laut der Nachrichtenagentur DPA kam es seit vergangenem Dezember zu mindestens sieben weiteren solchen Vorfällen mit getöteten Zivilisten, darunter einem Kind, in verschiedenen Provinzen.

Die Taliban versichern, mit aller Härte gegen die Dschihadisten des ISK vorzugehen. Man habe über 670 Kämpfer der Organisation verhaftet, erklärte im Dezember der Taliban-Sprecher Sabihullah Mudschahid der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge. Auch habe man 25 ihrer versteckten Lager zerstört.

Warnt vor Terror-Gefahr in instabilem Afghanistan: Pakistans Sicherheitsberater Moeed YusufBild: Anjum Naveed/AP/picture alliance

Allerdings sei zweifelhaft, wie verlässlich diese Zahlen seien, so das Magazin "The Diplomat". Denn bei den gegen den IS-K gerichteten Aktionen der Taliban kämen immer wieder Unbeteiligte ums Leben. Unbestritten sei aber auch, dass die Zahl der Anschläge seit dem vergangenen Dezember deutlich zurückgegangen sei, was für die Effektivität der Maßnahmen der Taliban sprechen könnte.

Gefahren über die Grenzen hinaus

Unterdessen steuert Afghanistan auf eine humanitäre Katastrophe zu. Durch die Dürre des vergangenen Jahres wie auch infolge des Stopps der ausländischen Finanzhilfe, der nur zum Teil durch humanitäre Nothilfe ausgeglichen wird, drohen dem Land Hungersnot und wirtschaftlicher Zusammenbruch. Dies könnte auch Auswirkungen auf die Zukunft des IS-K in Afghanistan haben. Es sei nicht auszuschließen, "dass sich afghanische und ausländische Extremisten, falls Afghanistan im Chaos versinkt, dem IS-K anschließen", heißt es in dem UN-Papier. Pakistans nationaler Sicherheitsberater Moeed Yusuf sagte in einem Beitrag aus Islamabad auf der Münchner Sicherheitskonferenz: Die in Afghanistan bestehende Terrorismus-Gefahr werde sich nicht auf dessen Staatsgebiet begrenzen lassen, wenn sich die humanitäre Lage dort nicht verbessere.

 

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika