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Politik

Grundgesetz für Afrika

Antonio Cascais
23. Mai 2019

Vor siebzig Jahren, am 23. Mai 1949, wurde das Grundgesetz verkündet - es wurde ein Symbol für den Neuanfang. Ein halbes Jahrhundert später brachten deutsche Verfassungsrechtler Südafrikas Verfassung mit auf den Weg.

Apartheid-Museum in Johannesburg, Südafrika
Bild: imago images/Camera4/Lightfoot

Die Würde des Menschen ist unantastbar: Gleich im ersten Artikel des Grundgesetzes findet sich einer der Kerngedanken der deutschen Verfassung. Menschenwürde, individuelle Freiheit und rechtliche Gleichheit, aber auch die Dezentralisierung der Staatsmacht seien Werte, die dem Grundgesetz in Deutschland eine starke Legitimität verliehen, sagt der Verfassungsrechtler und ehemalige CDU-Abgeordnete Ulrich Karpen. "Das alles sind Werte, die auch auf dem afrikanischen Kontinent hoch im Kurs stehen". Das Rechtssystem der Bundesrepublik gelte international als überaus erfolgreich - und habe daher auch diverse afrikanische Verfassungen inspiriert. 

Verfassungsgeber Südafrikas: vom deutschen Grundgesetz inspiriert

Ulrich Karpen war einer von drei deutschen Verfassungsrechtlern, die nach dem Ende der Apartheid die südafrikanische verfassungsgebende Versammlung berieten. "Ab 1994 hatten wir sowohl mit dem ANC von Nelson Mandela zu tun als auch mit der Inkatha-Partei und mit der Democratic Alliance." Die deutschen Berater hätten sich bemüht, den Südafrikanern keinen parteiischen Rat zu geben, sondern ein überparteiliches Verständnis der verfassungsrechtlichen Ideen in die afrikanischen Länder einzubringen.

Nach dem Ende des Apartheidsystems arbeitete das demokratische Südafrika zwischen 1994 und 1996 zunächst eine Übergangsverfassung aus, die die Gleichberechtigung aller Bürger sicherstellen und die sogenannten Homelands - die von der Apartheid vorgeschriebenen Siedlungsgebiete für verschiedene ethnische Gruppen - wieder in den neuen südafrikanischen Staat eingliedern sollte. Die endgültige Verfassung Südafrikas trat im Februar 1997 in Kraft.

Deutschland beriet Verfassungsrichter Südafrikas

Der Südafrikaner James Fowkes, Professor für Internationales Recht an der Universität Münster, erinnert im DW-Interview daran, dass eine der ersten Sitzungen des neuen südafrikanischen Verfassungsgerichts nach der Apartheid-Ära auf Einladung der Bundesregierung in Karlsruhe, dem Sitz des Bundesverfassungsgerichts, abgehalten wurde: "Das Interesse Deutschlands, Südafrika bei der Ausarbeitung seiner neuen Verfassung zu unterstützen, war überaus groß. Die Gesetzesformulierung an sich haben die Südafrikaner zwar weitestgehend in die eigene Hand genommen, aber viele der Ideen sind durchaus im Zuge informeller Treffen mit deutschen Experten in die Verfassung eingeflossen", so Fowkes.

Das Verfassungsgericht in Johannesburg steht für das neue Südafrika. Doch zuerst traf man sich in KarlsruheBild: picture alliance/Bildagentur-online/Schickert

Einer der Verfassungsrichter aus Südafrika, die damals an der Studienreise nach Karlsruhe teilnahmen, ist der inzwischen pensionierte Johann Kriegler. "Noch bevor unser neues Verfassungsgericht überhaupt erstmals in Südafrika tagte, wurden wir Verfassungsrichter für 10 Tage an den Sitz des deutschen Bundesverfassungsgerichts eingeladen. Eine sehr wertvolle Erfahrung, wir lernten eine Menge von unseren deutschen Kollegen", erinnert sich der 86-Jährige im DW-Gespräch. Er habe damals einige Parallelen festgestellt zwischen Westdeutschland nach dem Krieg und seinem eigenen Land Südafrika nach Überwindung der Apartheid, so Kriegler weiter: "Beide Länder wollten mit ihren jeweiligen Verfassungen vor allem zum Aufbau von rechtsstaatlichen Demokratien beitragen. Der verfassungsmäßige Rechtsstaat sollte niemals wieder außer Kraft gesetzt werden können."

"Deutschlands Verfassung steht für Neuanfang"

In Südafrika habe man aus der Ferne erkannt, dass der gelungene Aufbruch der Bundesrepublik ohne das stabile Fundament des Grundgesetzes nicht möglich gewesen wäre, meint der deutsche Professor Ulrich Karpen. "Auch die Afrikaner wollten eine Epoche abschließen: die Epoche des Kolonialismus. Und man versuchte, eine Ordnung herzustellen, die bereits in anderen Ländern der Welt Erfolge gezeichnet hatte. Und in den Augen dieser Länder galt das eben für die Bundesrepublik Deutschland."

Tatsächlich sei es Deutschland nach der Hitler-Diktatur gelungen, mit dem Grundgesetz ein neues Kapitel von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aufzuschlagen. "Der grundgesetzliche Impetus des 'nie wieder' inspirierte die Verfassungsarbeiten in Südafrika", bestätigt James Fowkes von der Universität Münster: "Sowohl Deutschland Ende der 1940er Jahre als auch Südafrika Mitte der der 1990er begriffen ganz klar ihre Verfassungen als Antworten auf die vorangegangenen historischen Verfehlungen." Der Erfolg dieses Ansatzes habe eine große Strahlkraft auch auf andere afrikanische Staaten entwickelt.

Grundgesetz inspiriert unterschiedliche afrikanische Verfassungen

Neben Südafrika beriet der deutsche Verfassungsrechtler Ulrich Karpen auch Namibia und später Äthiopien. Es sei bekannt, dass Deutschland auch in anderen Ländern Afrikas - etwa in Kamerun, Tansania oder Malawi - engagiert gewesen sei, unterstreicht er. Die Auswirkungen dieser Zusammenarbeit seien heute in den Verfassungen einiger afrikanischer Länder nachzulesen.

Parallelen zum Grundgesetz fänden sich etwa zwischen Artikel eins des Grundgesetzes ("Die Würde des Menschen ist unantastbar") und Kapitel drei der Verfassung Malawis, wo es heißt, der Staat müsse "die Würde und den Wert jedes Menschen schützen".

Kenia gehört zu den Ländern, die mit ihrem Föderalismus indirekt vom Grundgesetz inspiriert sindBild: DW/D. Braun

Exportschlager Föderalismus

Ganz weit oben auf der Liste international rezipierter Ideen stünden "der Grundsatz der Gewaltenteilung, die Wächterrolle des Bundesverfassungsgerichts sowie die Prinzipen des Föderalismus", meint Verfassungsrechtler Karpen: "In Südafrika gibt es Provinzen, bei uns gibt es Länder, und diese führen ein eigenes Leben innerhalb des staatlichen Rahmens. Das soll sich niederschlagen in der Verfassung, damit die Länder oder Provinzen Raum haben, sich selbst zu entfalten. So ist es in der Bundesrepublik, in den Vereinigten Staaten von Amerika, und eben in Südafrika."

Ein weiteres afrikanisches Land, das sein föderales System jüngst ausgebaut hat, ist Kenia. Mit der Verfassung von 2010 sei das Land von einem zentralistisch regierten Staat in einen Bundesstaat verwandelt worden, sagt James Fowkes. Auch hier dürfte das deutsche Grundgesetz Pate gestanden haben, wenn auch indirekt, meint der südafrikanische Verfassungsrechtler: "Der deutsche Föderalismus war eine entscheidende Vorlage beim Aufbau des modernen föderalen Südafrika. Die kenianische Verfassung übernahm das und vieles andere von der südafrikanischen Verfassung und damit auch vom deutschen Grundgesetz."

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