Illegaler Organhandel - Geschäft auf den Rücken der Ärmsten
12. November 2024Der Handel mit menschlichen Organen "hat ein epidemisches Ausmaß erreicht, wird aber von der Öffentlichkeit weitgehend totgeschwiegen" - das ist die Bilanz des nigerianischen Menschenrechtsanwalts Frank Tietie. Er sagte der DW: "Man sollte glauben, die öffentliche Missbilligung wäre sehr viel größer, aber das ist nicht der Fall."
Der Washingtoner Thinktank Global Financial Integrity (GFI) befasst sich mit Korruption, illegalem Handel und Geldwäsche. GFI schätzt, dass jährlich zwischen 840 Millionen und 1,7 Milliarden Dollar (755 Millionen bzw. 1,5 Milliarden Euro) mit dem Menschenhandel zur Organentnahme verdient werden.
Organspende und -transplantation sind etablierte medizinische Verfahren, die für die Versorgung von Patienten mit versagenden Organen lebenswichtig sind. Die Verfahren können sehr erfolgreich sein, wenn sie mit informierter Zustimmung und Transparenz durchgeführt werden. Es besteht jedoch die Sorge, dass Organtransplantationen in Afrika oft "hauptsächlich von Armut getrieben sind und nicht von der edlen Motivation, ein Leben zu retten oder dem Gesundheitszustand einer Person zu helfen", so Tietie gegenüber DW. "Entweder verkaufen die Menschen ihre Organe oder es gibt medizinisches Personal, vor allem Ärzte, die entsprechend skrupellos sind."
"Wie viel für meine Niere?"
Der Verkauf von menschlichen Organen ist in ganz Afrika illegal. Im Jahr 2022 sah sich das Kenyatta National Hospital in Nairobi jedoch gezwungen, einen Facebook-Post mit der Aufschrift "Wir kaufen keine Nieren!" zu veröffentlichen. Denn die Frage "Wie viel für meine Niere?" hatte das Krankenhaus als die meistgestellte bezeichnet.
Laut Willis Okumu, einem leitenden Forscher am Institut für Sicherheitsstudien, sind jedoch nicht alle "irregulären" Transplantationen erzwungen. Bei einer Untersuchung des Organhandels in Eldoret, einer Stadt im Westen Kenias, fand Okumu bereitwillige Verkäufer: Junge Männer waren einverstanden, ihre Nieren für "schnelles Geld" zu verkaufen. "Sie wurden in keiner Weise gezwungen", sagte Okumu und fügte hinzu, dass den Spendern "bis zu 6.000 Dollar" (rund 5520 Euro) geboten wurden. Um diese Summe ins Verhältnis zu setzen: Wer über den illegalen Organhandel eine Niere kauft, zahlt dafür nicht selten über 150.000 Euro, wie aus einem Dokument des Europäischen Parlaments hervorgeht.
Laut Okumu erhalten Spender selten deutlich größere Geldbeträge. Er erinnert sich daran, dass er "eine Reihe junger Leute mit Narben auf dem Bauch" gesehen hat - Anzeichen, dass sie sich dem Verfahren unterzogen hatten. Sie zeigten keine Angst vor strafrechtlicher Verfolgung, da die Behörden das Gesetz nur mit Schwierigkeiten durchzusetzen konnten. Die meisten von ihnen hätten sich etwa ein Motorrad gekauft oder ein neues Haus gebaut. Die Spender würden auch andere junge Männer anwerben, ihre Nieren zu spenden, um einen wachsenden Schwarzmarkt außerhalb Kenias zu versorgen.
Wachstum des Organhandels
Obwohl Einzelheiten über die illegale Welt des Organhandels unklar sind, gehen Experten davon aus, dass Ägypten, Libyen,Südafrika, Kenia und Nigeria die am stärksten betroffenen Länder in Afrika sind. Die Gründe dafür sind komplex, Vorschriften für Transplantationen und Organspenden von Region zu Region unterschiedlich. Das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) verwendet den Begriff Transplantations-Tourismus. UNODC äußerte auch Bedenken, dass illegal transplantierte Organe von vulnerablen Bevölkerungsgruppen zu wohlhabenderen Empfängern gelangten.
Dass reichere Patienten mitunter auf illegalem Wege Organe beschaffen wollen, hängt auch mit einem eklatanten Mangel zusammen: Nach Angaben des Global Observatory on Organ Donation and Transplantation werden weltweit weniger als zehn Prozent der medizinisch notwendigen Transplantationen durchgeführt.
In Afrika gibt es besonders wenige medizinische Zentren, die legale Transplantationen durchführen. So zählt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in einem Bericht aus dem Jahr 2020 beispielsweise nur 35 Nierentransplantationszentren auf dem gesamten Kontinent . Diese unzureichenden Kapazitäten werden auf mangelnde Zugänglichkeit, begrenztes Fachwissen und finanzielle Unterstützung zurückgeführt.
Eine ausgeklügelte Operation
Der illegale und lukrative Charakter des Organhandels bringt mit sich, dass seine Akteure gut organisiert sind. Um komplexe Operationen durchzuführen und Verbindungen zwischen Käufern und Verkäufern herzustellen, müssen die Netzwerke Operateure mit guten medizinischen Kenntnissen, lokale kriminelle Gruppen und sogar Politiker einbeziehen.
Okumu glaubt, im kenianischen Eldoret handelt es sich um einen Teil eines größeren Syndikats von internationalen Händlern menschlicher Körperteile. Die jungen Männer, die er traf, "sprachen von Ärzten, die kein Suaheli sprachen und indischer Herkunft waren". Daher müsse es sich um ein internationale Operation handeln.
Ein Gericht in London hat im vergangenen Jahr den nigerianischen Senator Ike Ekweremadu, seine Ehefrau und einen Arzt verurteilt. Sie hatten es gemeinsam auf die Niere eines jungen Mannes aus Lagos abgesehen. Es war das erste Urteil nach den britischen Gesetzen zur modernen Sklaverei, das Verdächtige wegen eines Komplotts zur Organentnahme bestrafte.
Der nigerianische Menschenrechtsanwalt Tietie warnt indes auch vor der "engen Verbindung zwischen Menschenhandel und Organentnahme": So könnten Organhändler auch auf sogenannte Babyfabriken in Nigeria zurückgreifen - darunter versteht man Syndikate, die Mädchen und junge Frauen entführen, gegen ihren Willen schwängern und die Babys auf dem Schwarzmarkt verkaufen.
Für den Anwalt steht fest, dass auch die medizinischen Zentren vor Ort die Verantwortung tragen, keine schutzbedürftigen Menschen auszubeuten: "Was passiert, wenn medizinisches Personal, vor allem Ärzte in elitären Krankenhäusern in Abuja und Lagos, ihren reichen Patienten sagen, sie bräuchten sich keine Sorgen zu machen." Sie würden sicherlich einen armen Menschen finden, der das benötigte Organ verkaufen würde.
Adaptiert aus dem Englischen von Martina Schwikowski