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PolitikAfrika

Afrika: Schuldenerleichterungen? Nein danke!

Jan Philipp Wilhelm
8. August 2020

Um verschuldeten Ländern im Kampf gegen COVID-19 zu helfen, wollten die G20 Zinszahlungen in Milliardenhöhe aussetzen. Doch trotz drohendem Bankrott haben viele Länder in Afrika das Angebot gar nicht angenommen - warum?

Angola Stadtbild von Luanda Finanzviertel
Angola, hier das Finanzviertel der Hauptstadt Luanda, kommen die Erleichterungen zuguteBild: Getty Images/AFP/S. de Sakutin

Den Finanzministern von Ländern wie Deutschland oder den USA dürften die gigantischen Corona-Schuldenberge im Moment wenig schlaflose Nächte bereiten: Investoren und Ratingagenturen sind sich einig, dass sie die Schulden problemlos zurückzahlen werden. Deshalb ist es ihnen möglich, Staatsanleihen zu teils historisch niedrigen Zinsen auszugeben und auf den Finanzmärkten auch noch Abnehmer dafür zu finden.

Anders stellt sich die Lage für viele afrikanische Länder dar: Die Pandemie mit ihren Wirtschaftseinbrüchen und hohen Gesundheitskosten rückt sie einen guten Schritt näher an den finanziellen Kollaps. Und von Kreditbedingungen wie Deutschland und die USA können sie nur träumen.

 "Die Situation sieht so aus, dass viele Länder immer größere Schwierigkeiten haben, Zins- und Tilgungszahlungen auf bereits bestehende Schulden zu leisten und  gleichzeitig steigen die Kosten für neue Kredite", sagt Iolanda Fresnillo vom Europäischen Netzwerk für Staatsschulden und Entwicklung (eurodad), einem Zusammenschluss mehrerer NGOs aus der Entwicklungszusammenarbeit. Demnach seien mehrere Länder inzwischen von der Zahlungsunfähigkeit bedroht.

Schnelle Hilfe, schlecht umgesetzt?

 Bereits im April haben deshalb die Finanzminister der 20 größten Industrienationen (G20) 68 Ländern die Möglichkeit eingeräumt, ihre im Jahr 2020 auf bilaterale Kredite fälligen Zinszahlungen in die Jahre 2022 bis 2024 zu verschieben. Insgesamt mehr als 17 Milliarden Euro sollten durch die sogenannte Debt Service Suspension Initiative (DSSI) für den Kampf gegen COVID-19 und für kurzfristige Konjunkturhilfen verfügbar gemacht werden.

Viele Staaten brauchen Unterstützung während der Corona-Krise - hier eine Hilfslieferung der EU nach Guinea-BissauBild: DW/B. Darame

Die Initiative stieß zunächst auf Wohlwollen, doch inzwischen zeigen offizielle Daten der Weltbank: In Afrika haben viele Staaten durch DSSI nur wenig zusätzlichen finanziellen Spielraum gewonnen - und manche Länder, darunter Nigeria, Kenia, Ghana und Ruanda, haben das Angebot trotz der finanziellen Notlage gar nicht erst in Anspruch genommen. Warum?

28 afrikanische Länder sind bis Anfang August der Initiative beigetreten, bis Ende des Jahres werden diese Länder voraussichtlich Zinszahlungen in Höhe von rund fünf Milliarden Euro aufgeschoben haben. Kein kleiner Betrag, doch die Summe der insgesamt fälligen Zahlungen für diese Länder im selben Zeitraum liegt weit höher, bei rund 15 Milliarden Euro. Der Grund dafür: Die DSSI deckt lediglich bilaterale Schulden ab - also Kredite, die ein Staat von einem anderen Staat bekommen hat, der an der Initiative teilnimmt. Schulden, die über Staatsanleihen auf den Finanzmärkten aufgenommen wurden, oder Kredite von multilateralen Gebern wie der Weltbank sind nicht eingeschlossen.

Vorteile sind ungleich verteilt

Wie sehr Staaten also von der DSSI profitieren können, hängt entscheidend davon ab, wie groß der Anteil von bilateralen Schulden an ihrer Gesamtverschuldung ist. Angola etwa spart durch die DSSI dieses Jahr 57 Prozent aller Zinszahlungen ein, rund 2,2 Milliarden Euro. Die Demokratische Republik Kongo hingegen spart nur knapp 10 Prozent ihrer gesamten Zinslast für 2020, rund 88 Millionen Euro. "Wir müssen anerkennen, dass die Initiative manchen Ländern etwas Spielraum verschafft hat", sagt Iolanda Fresnillo im DW-Interview. "Doch jetzt zeigt sich, dass offenbar einige Details nicht besprochen wurden."

In Nigeria stellt man sich darauf ein, ohne DSSI-Erleichterungen mit der Krise fertig zu werdenBild: AFP/P.U. Ekpei

Für manche Länder, darunter Nigeria, Benin und Guinea-Bissau, sind die potenziellen Einsparungen sogar so gering, dass sie die Teilnahme an der DSSI ganz ablehnen. Zu überschaubar sind die kurzfristigen Vorteile, um den hohen Verwaltungsaufwand zu rechtfertigen und den Bedingungen der DSSI Folge zu leisten.

Sorge um langfristige Folgen

Und es gibt noch ein weiteres Problem, wie das Beispiel Kenia zeigt: Weil 33 Prozent der Schulden des Landes von bilateralen Gläubigern stammen, würde Kenia von einer Aufschiebung der dieses Jahr fälligen Zinszahlungen eigentlich stark profitieren. Doch weil Ratingagenturen mit der Herabstufung der Kreditwürdigkeit bei einer Teilnahme an der DSSI drohen, verzichtet das Land lieber auf die kurzfristigen Erleichterungen. Zu groß ist die Gefahr, wegen einer schlechteren Bewertung künftig noch höhere Zinsen an private Kreditgeber zahlen zu müssen, auf die Kenia auch in den kommenden Jahren angewiesen sein wird.

Moody's traut der senegalesischen Volkswirtschaft - hier ein Archivbild aus Zeiten vor Corona - weniger zuBild: picture-alliance/robertharding

Was Kenia fürchtet, scheint für Kamerun, Äthiopien, Senegal und die Elfenbeinküste bereits einzutreffen. Kurz nachdem die Länder ihre jeweiligen DSSI-Anträge eingereicht hatten, leitete die Ratingagentur Moody's für alle vier Länder ein Prüfverfahren zur Herabstufung der Kreditwürdigkeit ein . Die Begründung: Weil die G20 auch an private Kreditgeber appellieren würden, ebenfalls Schuldenerleichterungen zu gewähren, steige mit einer Teilnahme an der DSSI das Risiko von Kreditausfällen für private Investoren.

Ratingagenturen im Fokus

Wie auch schon in früheren Finanzkrisen rücken die Ratingagenturen zunehmend in den Fokus der Kritik. Denn auch multilaterale Kreditgeber wie die Weltbank begründen ihre Nichtteilnahme an der DSSI mit einem Verweis auf die eigene Kreditwürdigkeit. Erlaubt die Weltbank ihren Schuldnern, Zinszahlungen zu stunden, würde sie dafür von den Ratingagenturen abgestraft, fürchtet Weltbank-Präsident David Malpass - und dadurch gerate die Finanzierung von künftigen Krediten an Entwicklungsländer in Gefahr.

Edwin Ikhuoria, Exekutivdirektor für Afrika bei der Entwicklungsorganisation ONE, will das allerdings nicht gelten lassen. "Es gibt tausend Gründe, keine Schuldenerleichterungen zu gewähren, wenn man sich die reinen Zahlen anschaut. Aber wir sagen: Das ist keine normale Situation, also können wir auch nicht nach der normalen Vorgehensweise arbeiten. Wir müssen armen Ländern aus dieser Situation heraushelfen."

eurodad fordert langfristige Lösungen für arme StaatenBild: Reuters/Z. Bensemra

Reform des Finanzsystems

Kurzfristig fordert Ikhuoria deshalb eine Einbindung von privaten und multilateralen Kreditgebern in die DSSI und eine Verlängerung der Initiative über 2020 hinaus. Langfristig, betont er im DW-Interview, müsse allerdings die Rolle der Ratingagenturen überdacht werden. Es könne nicht sein, dass eine Handvoll Firmen mit ihren eigenen Bewertungsmethoden über die Zinssätze auf Anleihen souveräner Staaten entscheiden. "Es gibt ein Sprichwort in Nigeria: Du kannst meine Haare nicht schneiden, wenn ich nicht da bin", sagt Ikhuoria. Afrikanische Länder müssten mit an den Tisch geholt und in die Bewertungsmethoden eingebunden werden.

Iolanda Fresnillo von eurodad geht noch einen Schritt weiter: Sie fordert eine Reform des gesamten internationalen Finanzsystems. "Wir brauchen einen Mechanismus, der für alle Gläubiger verpflichtend ist, der die finanziellen Lasten fair verteilt und auch die Menschenrechte miteinbezieht", so Fresnillo. Die aktuelle Situation zeige, wie dringend notwendig eine solche Reform sei, die statt kurzfristiger Notfallmaßnahmen langfristige Lösungen für hochverschuldete Staaten biete.

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