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Afrikanische Migranten in Tunesien: "Wir brauchen Hilfe"

Jennifer Holleis | Tarak Guizani (Tunis)
13. Juli 2023

Tunesiens harter Kurs gegen Migranten und Flüchtlinge aus Subsahara-Afrika hat eine neue Eskalationsstufe erreicht. Hunderte Migranten wurden ausgesetzt, in der Stadt Sfax kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen.

Eine Flüchtlingsfrau aus Subsahara-Afrika, fotografiert von hinten
Eine Migrantin aus Guinea in der tunesischen Stadt Sfax, Juli 2923Bild: Wahid Dahech

Unwirtlicher könnte sie kaum sein, die entlegene militarisierte Zone zwischen Tunesien und Libyen. Der Zutritt zu der aus praktisch nichts außer Sand und Meerwasser bestehenden Region ist Besuchern, Vertretern humanitärer Organisationen und sonstigen Unbefugten untersagt.

Doch genau in diesem Gebiet hatten die tunesischen Behörden rund 800 Migranten aus Subsahara-Afrika für mehrere Tage ausgesetzt. Erst am späten Montag (10.07.) griffen sie sie wieder auf. Angaben mehrerer Nachrichtenagenturen zufolge waren die Menschen während dieser Zeit auf sich selbst gestellt. Ein Reporter des Nachrichtensender Al Jazeera vor Ort berichtete sogar von einigen Todesopfern, doch ließ sich dies nicht unabhängig bestätigen. Internationale Nachrichtenagenturen wiederum berichten von mindestens zwei gestorbenen Migranten in einer anderen Grenzregion nahe Algerien.  

"Unter den Flüchtlingen und Migranten befanden sich Kinder, Frauen, Schwangere", sagt Monica Marks, Tunesien-Expertin an der New York University in Abu Dhabi, die sich bis vor kurzem einen Monat lang im Lande aufgehalten und zum Thema Migration recherchiert hatte. "Sie hatten keinen Zugang zu Schatten, Nahrung und Wasser. Eine furchtbare Situation. Präsident Kais Saied war bereit, schwarze Flüchtlinge und Migranten in Tunesien sterben zu lassen."

Erst nachdem Menschenrechtsorganisationen das Thema publik machten, reagierte Saied: "Im Gegensatz zu dem, was koloniale Kreise und ihre Agenten verbreiten, erfahren die Migranten eine humane, von unseren Werten und Charaktereigenschaften geprägte Behandlung", beteuerte er Anfang der Woche.

Das trifft offenbar nicht durchweg zu. "Eine weitere aus mehreren Hundert Migranten bestehende Gruppe aus Subsahara-Afrika wurde mit Bussen an die algerische Grenze gebracht. Dort erhalten sie weiterhin keine Hilfe ", so Lauren Seibert, bei der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) auf die Rechte von Flüchtlingen und Migranten spezialisiert, kürzlich im DW-Interview. Auch die von Agenturen gemeldeten Todesfälle beziehen sich auf diese Region.

Demonstration gegen Migranten aus der Subsahara in der tunesischen Stadt Sfax, Juni 2023Bild: Houssem Zouari/AFP/Getty Images

Steigende Spannungen

Ausgelöst wurde das harte Vorgehen der tunesischen Behörden durch den Tod eines 41-jährigen Tunesiers Anfang des Monats. In der Stadt Sfax wurde er bei einer Schlägerei zwischen Tunesiern und Migranten erstochen. Das Video von seiner Beerdigung ging in den sozialen Medien viral.

Sfax ist die zweitgrößte Stadt Tunesiens und eine bekannte Drehscheibe für Migranten aus Ländern südlich der Sahara. Von dort aus beträgt die Distanz zu den nächstgelegenen italienischen Inseln nur etwa 130 Kilometer.

Da die kostspielige und gefährliche Reise jedoch meist über Schlepper organisiert wird, arbeiten viele Flüchtlinge Wochen, Monate oder gar Jahre auf Baustellen oder in privaten Haushalten, um die Kosten für die Überfahrt zusammenzusparen. Andere warten einfach auf eine sich bietende Gelegenheit, um das Meer zu überqueren. Nur sehr wenige entscheiden sich, in Tunesien zu bleiben.

Seit mehreren Jahren halten sich die tunesischen Behörden bei der Erteilung von Visa oder Aufenthaltsgenehmigungen auch deshalb sehr zurück, weil die meisten Migranten das nordafrikanische Land vor allem als Drehscheibe für die Ausreise Richtung Europa nutzen.

Hetze gegen Migranten

Allerdings sind  Migranten aus Subsahara-Afrika in Tunesien nicht zum ersten Mal gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt.

Bereits im vergangenen Februar hatte der zunehmend autoritär regierende tunesische Präsident Saied eine Welle der Gewalt gegen Migranten ausgelöst. Damals erklärte er öffentlich, das unausgesprochene Ziel der Einwanderungsbewegungen bestehe darin, Tunesien zu einem "afrikanischen" Land werden zu lassen. Tunesien drohe in diesem Kontext seinen Charakter als "arabisch-muslimisches" Land zu verlieren.

"Offenbar hatte die tunesische Regierung keinen Plan, wie sie auf die Unruhen in Sfax reagieren sollte", sagt Matt Herbert, Experte für Nordafrika bei der Schweizer Organisation 'Global Initiative Against Transnational Organized Crime', der DW. "Stattdessen hat sie improvisiert."

Ausschreitungen in Sfax, Juli 2023. Dort kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Einheimischen und Migranten aus Subsahara-AfrikaBild: REUTERS

Allerdings sei zu befürchten, dass es zu weiteren Unruhen zwischen Migranten und tunesischen Bürgern sowie zu weiteren Abschiebungen kommen werde. Indem sie auf die nordafrikanischen Länder Druck ausübe, die irreguläre Migration nach Europa zu stoppen, erhöhe die Europäische Union dieses Risiko zusätzlich, so der Schweizer NGO-Aktivist. "Wenn das Ziel sein soll, das Vorgehen gegen Migranten in Nordafrika weiter zu verstärken, müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten diese Spannungen einkalkulieren und mit den Regierungen der Transitländer entsprechende Reaktionsmöglichkeiten erörtern", so Herbert.

Italien als Ziel

Unterdessen hielten sich zuletzt weiterhin rund 300 Subsahara-Migranten auf dem von Sicherheits- und Militärkräften umstellten Bab al-Jabali-Platz in Sfax auf.

Nachdem er Senegal, Mali und Algerien durchlaufen habe, sei er vor einigen Monaten nach Tunesien gekommen, sagt dort Lamine Mané, ein junger Mann aus Gambia, der DW. Vier Tage halte er sich nun bereits auf der Straße auf. "Alle Menschen hier auf dem Platz wollen nach Italien, denn dort gibt es Freiheit und Arbeitsmöglichkeiten."

"Ich selbst bin vor vier Tagen aus Guinea gekommen", sagt die 26-jährige Francisca. "Wir haben hier auf dem Platz unter freiem Himmel geschlafen. Das einzige, was ich will, ist, das hier zu überleben", sagt sie der DW. "Wenn Tunesien uns erlaubt, nach Italien zu gehen, wird niemand bleiben."

Neben ihr steht Ahmed Adam aus Mali. Er kam vor etwa sechs Jahren nach Tunesien. "Ich hatte noch nie irgendwelche Probleme. Das passiert jetzt zum ersten Mal. Aber nun bin ich hungrig und obdachlos. Wir brauchen Hilfe", sagt er.

Und Martina aus Kamerun klagt im Gespräch mit der DW: "Die Tunesier wollen uns nicht hier haben, weil wir schwarz sind. Dabei haben wir uns unsere Hautfarbe nicht ausgesucht, und Tunesien ist selbst ein afrikanisches Land!"

Gestrandet in Tunesien: Lamine Mané aus Gambia, Juli 2023Bild: Wahid Dahech

Solidarität von Tunesiern

In den vergangenen Tagen gab es jedoch auch einige Zeichen der Solidarität. So protestierten mehrere Tunesier gegen die Behandlung der Flüchtlinge und versuchten, den Migranten auf dem Platz Lebensmittel und Wasser zu bringen.

Das ist allerdings wohl nicht leicht. Sie habe mit Tunesiern im ganzen Land gesprochen, die versucht hätten, obdachlosen Subsahara-Flüchtlingen mit dem Nötigsten zu versorgen, sagt Monica Marks der DW. Doch die Polizei habe sie vielfach daran gehindert, so die Expertin. "Sie dürfen Flüchtlinge und Migranten nicht mit dem Auto mitnehmen. Auch die öffentlichen Verkehrsmittel dürfen sie nicht transportieren."

Auch Ramadan Ben Omar von der Menschenrechtsorganisation 'Tunisian Forum for Economic and Social Rights' hat derzeit keine große Hoffnung. "Die Anwesenheit einer großen Zahl von Einwanderern ohne klare Perspektive wird zu einer weiteren Eskalation der sozialen Spannungen führen", sagt er der DW.

Mitarbeit: Wahid Dahech, Sfax, Tunesien.

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

Hetze gegen Migranten aus Subsahara

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Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.
Tarak Guizani Freier Korrespondent Tunesien