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PolitikAfrika

Afrikas Demokratien in der Krise?

Antonio Cascais
16. September 2022

Viele Staaten haben in den letzten Jahren autokratische Züge angenommen. In Afrika sind Staatsoberhäupter gerne mehrere Jahrzehnte an der Macht und biegen dafür die Verfassung zurecht.

Eine Hand wirft einen Wahlzettel in eine Wahlurne - der Zettel wird zerschreddert
Viele afrikanische Staaten haben ein Demokratie-Problem

Putsche, intransparente Wahlprozesse, autokratische und totalitäre Reflexe, keine Gewaltenteilung, schwache Justiz- und Kontrollsysteme - nur einige von vielen Faktoren, die die Demokratien weltweit, und vor allem in Afrika, gefährden. Die DW hat in einer großangelegten Datenanalyse auf Demokratien weltweit geschaut. 

Auf dem afrikanischen Kontinent gelten lediglich Botswana und die Seychellen als liberale Demokratien, so das Forschungsprojekt V-Dem, das Staaten weltweit auf ihre Demokratietauglichkeit untersucht. Als liberale Demokratien gelten Staaten mit einem funktionierenden Rechtsstaat sowie Gewaltenteilung und Rechten für Minderheiten. Wahlen sind frei und fair.

Weitere 14 Staaten wie Burkina Faso, Kap Verden, Ghana, Guinea-Bissau, Lesotho, Liberia, Malawi, Mauritius, Namibia, Niger, Sao Tome und Príncipe, Senegal, Sierra Leone und Südafrika gelten hingegen als Wahldemokratien. Dort sind Wahlen zwar frei und fair, aber die Gewaltenteilung ist nicht besonders ausgeprägt, sodass das Staatsoberhaupt etwa wenig bis gar keiner Kontrolle unterliegt. 

Die restlichen Staaten gelten entweder als Wahlautokratien, bei der etwa gewählt wird, diese Wahlen aber nicht frei und fair sind, oder als geschlossene Autokratien, also klassische Diktaturen. 

Die DW erinnert an die Gefahren für die Demokratie und Demokratiedefizite in Afrika anlässlich des von der UN-Generalversammlung ausgerufenen "Tags der Demokratie", der zum 15. Mal gefeiert wurde.

Militärputsche nehmen zu

2021 wurde der afrikanische Kontinent von einer Welle von Staatsstreichen erfasst: Innerhalb weniger Monate gab es Militärputsche und Putschversuche in Burkina Faso, in Guinea, in Mali, im Tschad und im Sudan. Die Afrikanische Union verurteilte "die verfassungswidrigen Regierungswechsel".

Doch die Putschisten hielten sich hartnäckig an der Macht und verschoben immer wieder aus fadenscheinigen Gründen die Rückkehr zu verfassungskonformen Machtverhältnissen. Dabei stießen sie, zumindest bei Teilen der Bevölkerungen, auf keinen Widerstand. Ein Zeichen für fehlenden Rückhalt der demokratischen Systeme seitens der Bürger?

Präsidenten, die an der Macht kleben

Afrika gilt auch Kontinent mit den langlebigsten Autokraten. Viele afrikanische Staatsoberhäupter versuchen, sich länger als es die Verfassung des jeweiligen Landes erlaubt an der Macht zu halten: Wie etwa Paul Biya, der Kamerun bereits seit vierzig Jahren regiert. Teodoro Obiang Nguema aus Äquatorialguinea regiert sein Land sogar schon seit 43 Jahren diktatorisch. Die verstorbenen Staatsoberhäupter Robert Mugabe aus Simbabwe und José Eduardo dos Santos aus Angola hielten sich aufgrund von Verfassungsänderungen ebenfalls jeweils fast vier Jahrzehnte an der Macht. Der 2020 verstorbene Präsident Pierre Nkurunziza aus Burundi kandidierte 2015 für eine dritte Amtszeit, obwohl umstritten war, ob er erneut kandidieren könnte. Die Opposition boykottierte die Abstimmung und Nkurunziza gewann.

Ruandas Präsident Paul Kagame ließ die Verfassung ändern, um weiter im Amt bleiben zu könnenBild: Giscard Kusema

Ruandas Präsident Paul Kagame, der seit dem Jahr 2000 im Amt ist, änderte die Verfassung seines Landes, um bei einer später angesetzten Wahl erneut zu kandidieren. Die Änderungen bedeuten, dass Kagame bis 2034 an der Macht bleiben könnte. In der Demokratischen Republik Kongo herrschte eine anhaltende Krise, nachdem Präsident Joseph Kabila die geplanten Wahlen in 2017, an denen er nicht mehr teilnehmen durfte, immer wieder verschob. Er trat erst 2019 ab. Die Liste von afrikanischen Staats- und Regierungschefs, die an ihren Regierungssesseln kleben, lässt sich fortsetzen. 

Regierungswechsel bleiben die Ausnahme

Ein für Afrika typisches Demokratiedefizit, auf das internationale Beobachter, wie die Mo Ibrahim Foundation, immer wieder aufmerksam machen, kommt in diesem Zusammenhang dazu: Nur selten wechselt die Macht in Afrika aufgrund von Wahlen den Besitzer. Einmal an die Macht, nutzen Parteien die Möglichkeiten und Mittel des Staates, um dort auch zu bleiben. Staatsparteien instrumentalisieren Polizei, Armee, staatliche Medien, sowie finanzielle Mittel von Staatsbetrieben, aber auch Mittel aus den Staatshaushalten, um sich in den Wahlkämpfen durchzusetzen.

Beispiele dafür sind Mosambik oder Angola, wo sich die Staatsparteien und ehemaligen "Befreiungsorganisationen" FRELIMO und MPLA seit der Unabhängigkeit der Länder 1975 ununterbrochen an der Macht halten. Beide Parteien haben im Laufe der Jahrzehnte nicht nur ihre politische, sondern auch und vor allem ihre wirtschaftliche Macht, vor allem im Vergleich zu den konkurrierenden Oppositionsparteien systematisch ausgebaut. Kein Einzelfall in Afrika. 

Erodierende Demokratien – ein globales Problem

Die beschriebenen Demokratiedefizite beschränken sich bei weitem nicht auf den afrikanischen Kontinent. DW-Autor Rodrigo Menegat Schuinski beschreibt in einer Daten-Analyse anlässlich des UN-Tages der Demokratie mehrere Fälle etablierter Demokratien weltweit, die sich in den vergangenen Jahren in Autokratien verwandelt haben: Die Erosion von Demokratie spiele sich auch in Ländern ab, die noch demokratisch sind, sich aber auf einem "schiefen Weg" befinden. Die schärfsten Hinwendungen zur Autokratie fielen oft mit der Wahl illiberaler Führer wie Jair Bolsonaro in Brasilien, Andrzej Duda in Polen, Viktor Orban in Ungarn, Recep Tayyip Erdogan in der Türkei und Narendra Modi in Indien zusammen. 

Fernando Bizzarro, ein brasilianischer Forscher für Regierungsinstitutionen an der Harvard University, sagte jedoch, der Aufstieg antidemokratischer Politiker könne oft auch auf die Verschärfung bestehender Probleme zurückgeführt werden.

"Damit diese Führer an die Macht kommen, braucht es andere Elemente, wie zum Beispiel eine Krise traditioneller Parteien", sagte Bizzarro und fügte hinzu, dass auch eine zunehmende politische Radikalisierung und Polarisierung eine Rolle spielen könne. "Polarisierung erzeugt das Gefühl, dass, obwohl Sie Ihren Gegner so sehr verabscheuen, alles möglich ist, um ihn loszuwerden – einschließlich der Zerstörung der Demokratie."

Entsprechend bauen sich die Verschiebungen zur Autokratie oft eher allmählich und schrittweise auf, bis zu dem Punkt auf, an dem nur noch wenig vom alten System übrig ist.

Lösungsansätze für Afrikas Demokratien

Wie können nachhaltige Demokratien in Afrika und weltweit sichergestellt werden? Greg Mills von der Brenthurst Foundation in Südafrika, Co-Autor des Buches "Democracy works: Rewiring Politics to Africa's Advantage" betonte, dass eine Demokratie eine "dynamische Zivilgesellschaft" brauche, zumal zwei Drittel der Afrikaner in einer Demokratie leben möchten. Mills weiter: "Ich denke, wir waren in Afrika ein bisschen zu apathisch. Ich denke, wir haben die Politiker zu leicht davonkommen lassen." Der Autor äußerte die Hoffnung, dass junge Afrikaner, die die Zukunft des Kontinents repräsentieren, davon inspiriert werden, sich aktiv an Afrikas Demokratien zu beteiligen.

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