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Politik

Hass bekämpfen, Freiheit einschränken

Antonio Cascais
19. Februar 2020

Immer mehr afrikanische Länder haben Gesetze gegen Hass im Internet. Doch in der Praxis führen die Regeln häufig zu Zensur. Ausgerechnet ein deutsches Gesetz dient vielen Regierungen in Afrika dabei als Vorbild.

Nigeria Jumia-Mitarbeiter
Bild: Getty Images/AFP/P. Utomi Ekpei

Ethnische Unruhen, bewaffnete Aufstände und gewaltsame Proteste gehören in vielen Teilen Äthiopiens derzeit zur Tagesordnung. Nicht selten wird die Gewalt dabei befeuert durch Hass, Hetze und Desinformation im Internet. Dagegen wollte das Parlament in Addis Abeba nach eigenem Bekunden vorgehen und hat vergangene Woche ein Gesetz verabschiedet, das Hassreden und Desinformation im Netz eindämmen soll. Demnach drohen Internetnutzern und Plattformbetreibern, die gegen die neuen Regeln verstoßen, Gefängnisstrafen von bis zu drei Jahren und Bußgelder von bis zu 100.000 Birr (rund 2900 Euro).

Doch nicht erst seit das Gesetz Realität geworden ist, hagelt es Kritik. Journalisten, Aktivisten und Blogger sind alarmiert: Nur wenige Monate vor den landesweiten Wahlen in Äthiopien, die für den 29. August anberaumt sind, gebe das Gesetz der Regierung und den Sicherheitskräften die Möglichkeit, unter dem Vorwand der Bekämpfung von Hass im Netz nicht-regierungskonforme Stimmen zu verfolgen und abzustrafen.

Äthiopien: Sollen kritische Stimmen mundtot gemacht werden?

"Die Regierung kann jetzt praktisch jeden Blogger und User von Social Media daran hindern, seine Meinung im Netz kundzutun. Ich habe große Probleme mit dem neuen Gesetz", sagt Befeqadu Hailu, ein äthiopischer Blogger und Aktivist. Schon die Signalwirkung sei fatal: Das Gesetz werde voraussichtlich viele Journalisten davon abhalten, ihre Inhalte zu veröffentlichen und ihr Recht auf Pressefreiheit auszuüben, so der Leiter des Zentrums für die Verbesserung von Recht und Demokratie.

Das äthiopische Parlament in Addis Abeba: Im Schnellverfahren wurde das Anti-Hassrede-Gesetz verabschiedetBild: DW/Y. Gebrezihaber

Dabei ist Äthiopien längst nicht das einzige Land, das ein solches Gesetz verabschiedet hat. Ähnliche Gesetze gegen Internet-Hass gibt es in Europa schon seit längerem, etwa in Deutschland, wo bereits 2018 das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet verabschiedet wurde. Dieses und ähnliche Gesetze aus Europa hätten den Machthabern in Addis Abeba als Vorlage gedient, sagt Befeqadu Hailu.

Doch ein Gesetz, das in Europa vielleicht Sinn mache, könne sich in Afrika unter Umständen sehr negativ auf die Pressefreiheit auswirken, erklärt der äthiopische Blogger. Das liege vor allem an der fehlenden Rechtssicherheit in Ländern wie Äthiopien: "Hier gibt keine funktionierende Gewaltenteilung, die Justiz funktioniert nur eingeschränkt. Es gibt keine Instanzen, an die sich Blogger oder Journalisten wenden können, wenn die Sicherheitsbehörden übers Ziel hinausschießen und Gesetze, die sich eigentlich gegen Hass richten, gegen die Presse- und Meinungsfreiheit anwenden."

Deutscher Exportschlager NetzDG

Ohnehin steht es in Äthiopien schlecht um die Freiheit im Internet. In internationalen Rankings schneidet das Land regelmäßig äußerst negativ ab: Der "Freedom on the Net Report 2019", der jährlich vom Think Tank "Freedom House" herausgegeben wird, weist Äthiopien als Land "ohne Internetfreiheit" aus. Hier, wie auch in den meisten anderen untersuchten Ländern in Subsahara-Afrika - darunter Nigeria, Kenia und Uganda - stellen die Forscher sogar eine Verschlechterung der Situation im Vergleich zu den Vorjahren fest.

Ausgerechnet das deutsche NetzDG könnte dabei zum Vormarsch der Internetzensoren in Afrika beigetragen haben. Das zumindest legt eine Studie der dänischen Denkfabrik für Bürgerrechte "Justitia" nahe. Schon der Titel der Studie spricht Bände: "Die digitale Berliner Mauer: Wie Deutschland versehentlich einen Prototyp für globale Internetzensur schuf"

Beispiel Kenia: Dort habe das Parlament schon im Juni 2017, kurz nach der ersten Vorlage des NetzDG im deutschen Bundestag, ein Gesetz gegen Hass im Internet erlassen, erklärt Jacob Mchangama, ein Jurist mit komorischen Wurzeln und Direktor von "Justitia". "Das deutsche Gesetz diente den kenianischen Gesetzgebern eindeutig als Vorlage für die sogenannten Richtlinien zur Verhinderung der Verbreitung unerwünschter politischer Massen-SMS und Social-Media-Inhalte in Kenia", so Mchangama.

"Im Zweifel mehr als weniger löschen"

Es sei vor allem bemerkenswert, dass die kenianischen Regeln so zeitnah, kurz nach Vorstellung des deutschen Gesetzes, erlassen worden seien und praktisch die gleichen Instrumente und Maßnahmen zur Regulierung von Social-Media-Plattformen aufwiesen, so der Jurist im DW-Interview.

Ähnlich wie das deutsche Gesetz fordern die kenianischen Richtlinien Social-Media-Dienstleister auf, innerhalb von 24 Stunden "unerwünschte politische Inhalte und Hass-Posts, die auf ihren Plattformen verwendet werden, zu löschen. Netzwerkbetreiber, die ihrer Pflicht zur Löschung von strafbaren Inhalten und Hasskriminalität nicht nachkommen, werden mit hohen Bußgeldern belegt. Auch das deutsche NetzDG besage im Kern, dass "offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden" gelöscht werden müssten. Andernfalls drohen in wiederholten Fällen oder bei "systemischem Versagen" Strafen von bis zu 50 Millionen Euro.

Der Jurist Jacob Mchangama leitet den dänischen Thinktank "Justitia"Bild: Jacub Mchangama

Man müsse weder juristisch noch seherisch begabt sein, um zu erahnen, dass Plattformen, sowohl in Europa als auch in Afrika, die mit solch hohe Bußgeldern bedroht werden, im Zweifel lieber ein bisschen mehr löschen als zu wenig, so Mchangama.

Nigeria: Todesstrafe für Hass im Internet?

Ist Deutschland also mit Schuld an der Internetzensur in Afrika? Nein, sagt Jacob Mchangama. Deutschland habe schließlich nicht beabsichtigt, einen Gesetzes-Prototypen für Internetzensur zu liefern. Zur Wahrheit gehöre auch, dass die meisten afrikanischen Regime früher oder später wohl sowieso ihre eigenen Gesetze zur Kontrolle des Internets erlassen hätten - mit oder ohne deutscher Hilfe.

Dass es noch strenger und radikaler geht, beweist das Beispiel Nigeria: Der nigerianische Senat erwägt derzeit zwei strenge Gesetzesvorlagen zur Online-Meinungsfreiheit. Beide geben den Behörden weitreichende Befugnisse, das Internet zu schließen, den Zugang zu sozialen Medien zu beschränken und Kritik an der Regierung mit Strafen von bis zu drei Jahren Gefängnis zu belegen. Eine der Gesetzesvorlagen geht sogar noch weiter: Sollte sie Realität werden, droht für den Tatbestand Hassrede im Internet künftig schlimmstenfalls die Todesstrafe.

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