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Gesellschaft

Afrikas Kampf gegen Depression und Suizid

Martina Schwikowski
8. Juni 2019

Viele afrikanische Länder haben mit hohen Suizidraten zu kämpfen. Einfache Erklärungen dafür gibt es nicht. Klar ist aber: Es mangelt an intensiver Ursachenforschung und professioneller Beratung.

Symbolbild Einsamkeit Depression Selbstmord
Bild: picture-alliance/Godong

Hiram Chomba ist Psychotherapeut - und das aus Leidenschaft. Er scheut keine Mühen, um zu seinen Patienten in den weiter entfernten, ländlichen Gemeinden zu gelangen. Mal ist er mit dem Motorrad unterwegs, mal sitzt er im Matatu, wie die Kleinbusse in Kenia heißen. Chomba wohnt in Embu, einer kleinen Stadt in der Nähe der Hauptstadt Nairobi. Seit vier Jahren arbeitet er bei der Organisation "Befrienders Kenya". Dort hilft er Menschen, die unter Depressionen leiden, auch Selbstmordgedanken haben. Und er unterstützt diejenigen, die häufig mit psychisch Kranken in Kontakt kommen. "Momentan konzentriere ich mich auf das Training von Bewährungshelfern, die haben sehr viel mit selbstmordgefährdeten Menschen zu tun", sagt Chomba.

Kenia: "Eine echte Krise"

"Die Zahlen sind besorgniserregend - in Kenia ist das bereits eine echte Krise." Chomba zitiert aus einem Bericht des Gesundheitsministeriums, wonach in dem ostafrikanischen Land täglich vier Menschen durch Selbstmord sterben. Aber nicht nur Kenia, auch andere afrikanische Länder haben laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit hohen Suizidraten zu kämpfen. In einigen Ländern, etwa in Nigeria oder in der Elfenbeinküste, liegen die Zahlen mit mehr als 15 Selbstmorden pro 100.000 Einwohner sogar höher als in den meisten europäischen Ländern, in den USA oder China.

Der Psychotherapeut Chomba fürchtet, dass die offiziellen Zahlen in Kenia nur die Spitze des Eisbergs seien. Es gebe schlicht keine verlässlichen Daten für Selbstmorde im Land. "In Kenia wird psychische Gesundheit nicht als Priorität eingestuft, es gibt kaum Zugang zu ausgebildeten Kräften", so Chomba. 100 Psychiater seien für rund 45 Millionen Kenianer zuständig, Psychologen gebe es noch weniger.

Männer eher gefährdet

Chombas Organisation "Befrienders Kenya" hat eine kostenlose psychologische Beratungsstelle in der Hauptstadt eingerichtet. Dort suchen meist Frauen Hilfe, die im städtischen Zentrum leben. Doch landesweit gesehen sei die Mehrheit der Betroffenen männlich, sagt Chomba. Er sieht einen der Gründe für die psychischen Probleme vieler Menschen im gesellschaftlichen Wandel.

Hiram Chomba beim einem Workshop zur Suizidprävention an einer Schule in NairobiBild: Privat

"Die Desintegration von Teilen der traditionellen Kultur hat zum Anstieg der Selbstmordraten beigetragen", ist sich Chomba sicher. Die wirtschaftliche Entwicklung habe zum Verschwinden kultureller Normen und Gepflogenheiten geführt, die gesellschaftlichen und kulturellen Erwartungen vor allem an Männer hätten sich gewandelt. Das afrikanische Mantra 'Ich bin, weil wir sind' verliere laut Chomba in modernen afrikanischen Gesellschaften an Bedeutung.

Aufklärung gegen Stigmatisierung

Alkoholmissbrauch sei ebenfalls weit verbreitet und ein Frühwarnzeichen für Depressionen. "Da wollen wir entgegenwirken. Wir sind in Kontakt mit lokalen Unternehmen, Religionsführern, Politikern, Stammesältesten und der Polizei." Durch Aufklärungskampagnen wollen Chomba und seine Mitstreiter gegen die Stigmatisierung von Depression ankämpfen und Angehörigen, Nachbarn und Kollegen dabei helfen, die Symptome von Suizidgefährdeten besser zu erkennen.

Dass Depression und Suizid in Afrika häufig immer noch Tabu-Themen seien, bestätigt auch Megan Vaughan. Sie ist Professorin für Afrikanische Geschichte und Gesundheit am University College London. Doch das Bewusstsein, Depression als Krankheit zu verstehen, wachse. In Südafrika zum Beispiel sei durch die HIV-Krise das Thema psychische Gesundheit stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt, inzwischen seien professionelle psychologische Beratungsstellen keine Seltenheit mehr. "In der Vergangenheit waren es die Alten, die Rat gaben. Doch die jungen Leute brauchen andere Hilfsformen, die ihren Lebensumständen besser entsprechen", so Vaughan im DW-Interview.

"Niemals nur einen Grund"

Auch sie sieht einen Grund für die hohen Selbstmordraten in den gesellschaftlichen Umbrüchen. "Das Leben verändert sich schnell, auch in Afrika. Die Urbanisierung nimmt in rasantem Tempo zu, Menschen leben nicht mehr in Dorfstrukturen und familiären Bindungen", sagt Vaughan. Doch sei diese Betrachtungsweise alleine zu vereinfachend. Auch in traditionellen afrikanischen Gesellschaften habe es früher Suizide gegeben, so die Historikerin. "Es gibt niemals nur einen Grund, weshalb Menschen Selbstmord begehen, das gilt für alle Weltregionen."

Es müsse noch viel mehr zu Depressionen und Suiziden in Afrika geforscht werden, um klare Schlüsse ziehen zu können und die Prävention entsprechend anzupassen, fordert Vaughan. Auch der Psychotherapeut Hiram Chomba sieht dringenden Handlungsbedarf. Für ihn ist das fehlende Bewusstsein für psychische Erkrankungen der Antrieb, weiterhin in die Gemeinden zu gehen und die Menschen aufzuklären. "Auch ich habe Angehörige durch Selbstmord verloren", erzählt er. "Wir müssen früher handeln."

Die Deutsche Welle berichtet zurückhaltend über das Thema Suizid, da es Hinweise darauf gibt, dass manche Formen der Berichterstattung zu Nachahmungsreaktionen führen können. Sollten Sie selbst Selbstmordgedanken hegen oder in einer emotionalen Notlage stecken, zögern Sie nicht, Hilfe zu suchen. Wo es Hilfe in Ihrem Land gibt, finden Sie unter der Website https://www.befrienders.org/.

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