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ErnährungssicherheitAfrika

Afrikas Krisen ins Licht gerückt

Martina Schwikowski
12. Januar 2024

Afrikas humanitäre Krisen waren 2023 erneut von internationalen Themen überschattet: Das zeigt das jüngste Ranking von CARE International. Die Problematik ist nicht neu - und hat auch ganz praktische Gründe.

Schwere Regenfälle überschwemmen Luanda
In Angola verursachen Fluten und Dürren große Not. Sieben Millionen Menschen brauchen humanitäre Hilfe.Bild: Borralho Ndomba/DW

Krisen in Afrika geraten aus dem Blick, das ist der nüchterne Befund von CARE International. Gemessen an der Berichterstattung im Internet tauchten humanitäre Notlagen auf dem Kontinent 2023 kaum auf, bilanziert die Hilfsorganisation. Der Hunger in Angola, die chronische Unterernährung in Burundi oder auch die hohe Kindersterblichkeit in der Zentralafrikanischen Republik würden so kaum wahrgenommen.

Für Analyst Fredson Guilengue von der Rosa Luxemburg Stiftung im südafrikanischen Johannesburg ist das geringe Interesse an Afrikas Not auch darin begründet, dass zwei Konflikte im Westen eskaliert sind: "Der erste ist die Fortsetzung des Russland-Ukraine-Krieges, der weltweit viel Aufmerksamkeit erhält - insbesondere auf dem europäischen Kontinent, weil der Krieg nach Europa zurückkehrt", sagt Guilengue im DW-Gespräch. Der Konflikt zwischen Israel und Gaza habe dieses Dilemma noch verschärft: Das, was in anderen Teilen der Welt geschehe, finde jetzt kaum Beachtung. 

Klimawandel verschärft die Notlagen der Menschen: In Sambia unterstützt Care ein Projekt, in dem Bäume angepflanzt werdenBild: Peter Caton/CARE

Im aktuellen Bericht "Breaking the Silence" - "Das Schweigen brechen" - weist CARE auf die "vergessene Krisen" hin - und das bereits zum achten Mal. Jährlich listet die Organisation zehn humanitäre Krisen auf, über die besonders wenig berichtet wurde. 2023 wie auch schon 2022 fanden sie alle in Afrika statt, angeführt wurde die Liste im zweiten Jahr in Folge von Angola. Die Zentralafrikanische Republik habe bisher in jedem Jahr einen Platz in diesem traurigen Ranking belegt, sagt David Mutua, CARE-Sprecher für die Regionen Afrikas.

Angola in extremer Notlage

CARE hatte den Medienbeobachtungsdienst Meltwater beauftragt, fünf Millionen Online-Artikel in den Sprachen Arabisch, Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch vom 1. Januar bis 30. September 2023 zu untersuchen. Aus einer Liste von 48 humanitären Krisen, die mehr als eine Million Menschen betreffen, wurden die zehn Krisen mit der geringsten medialen Präsenz ermittelt.

Nur 77.000 der ausgewerteten Artikel hatten die humanitären Katastrophen Afrikas zum Thema, im Gegensatz dazu toppte der neue Barbie-Film mit 273.279 veröffentlichten Beiträgen, sagte CARE-Afrika-Sprecher Mutua bei der Vorstellung des Berichts.

Auf Angola entfielen demnach nur knapp 1000 Veröffentlichungen, obwohl Trockenheit, Überschwemmungen und Hunger dazu führten, dass dort 2023 mehr als sieben Millionen Menschen humanitäre Hilfe benötigten.

Schon seit 40 Jahren kämpfen Angolaner mit Dürre, es fehlt an sauberem Trinkwasser und der fast dreißigjährige Bürgerkrieg (1975 bis 2002) hat ein von Minen übersätes Land hinterlassen. Obwohl es reich an Erdöl und Diamanten ist, leben die meisten der rund 37 Millionen Angolaner in Armut.

Klimawandel treibt Krisen an

2024 benötigten weltweit fast 300 Millionen Menschen humanitäre Hilfe - knapp die Hälfte davon in Afrika. David Mutua nennt den Klimawandel als einen entscheidenden Faktor. Von verheerenden Dürren bis hin zu extremen Überschwemmungen - die Auswirkungen des Klimawandels sind hier besonders stark spürbar, obwohl die Region mit am wenigsten dazu beiträgt. In Burundi etwa kämpft die Bevölkerung regelmäßig gegen Überschwemmungen. Fast 70.000 Menschen wurden dadurch vertrieben, fast 5,6 Millionen Kinder sind chronisch unterernährt.

Klimabedingte Ernteausfälle führen auch in Uganda zu großer HungersnotBild: Badru Katumba/AFP/Getty Images

Deepmala Mahla, humanitäre Direktorin von CARE, nennt die Auswirkungen des Klimawandels auf Menschen und auf die Ernährungssicherheit im Pressegespräch gravierend und weitgehend vermeidbar. "Der Klimawandel ist eine humanitäre Krise. Er treibt Hungersnöte voran, er macht Probleme mit dem Wasser noch schlimmer, er zerstört die Lebensräume der Menschen und vertreibt sie aus ihrem Zuhause, er hindert Kinder daran, in die Schule zu gehen," sagt Mahla. Die Folgen seien dramatisch. So habe eine Somalierin ihr in Kenia erzählt: "Das Klima, die Dürre, die Waffen haben mich nicht getötet, aber ich fühle mich innerlich tot."

Krisen eskalieren im Schatten von Krisen

Für Mahla ist es nicht überraschend, dass Katastrophen in Afrika zu wenig Aufmerksamkeit erhalten: "Wir haben eine noch nie dagewesene Reihe von humanitären Krisen und Naturkatastrophen erlebt", bilanziert Mahla - und verweist auf das Erdbeben im syrisch-türkischen Grenzgebiet, Überschwemmungen in Libyen, aber auch die Kriege in Nahost und in der Ukraine. Viele der humanitären Krisen in Afrika würden es so nicht in die Nachrichten schaffen: "Sie bestehen bereits, manchmal eskalieren sie im Schatten der großen Krisen", fügt Mahla hinzu. "Es gibt nichts Neues zu berichten, so traurig das auch klingt." 

Müdigkeit, den zahlreichen Krisen in Afrika zu folgen, das ist auch für Fred Guilengue ein Faktor, der die Aufmerksamkeit hemmt: "Aber die Müdigkeit hat nicht erst jetzt eingesetzt. Ende der 1990-er und Anfang der 2000-er Jahre war diese Ermüdung bereits eingetreten. Die westlichen Länder waren bereits müde, keine Ergebnisse zu sehen, wenn es um die Demokratie auf dem afrikanischen Kontinent und die Auslandshilfe ging", betont er im DW-Interview.

Extreme Armut in Simbabwe: Ein Mädchen durchsucht Müll nach Nahrung nahe der Hauptstadt HarareBild: picture-alliance/dpa

Zudem sei die Berichterstattung aus Afrika für ausländische Journalisten sehr teuer, führt Deepmala Mahla als weiteren Grund an. Viele dieser humanitären Krisen lägen in unsicheren Regionen, die von den Regierungen mit zahlreichen Beschränkungen belegt seien, so dass der Zugang für Medienvertreter zu diesen Gebieten eingeschränkt oder sehr schwer sei.

Zum Beispiel in der Zentralafrikanischen Republik. Seit 2013 tobt dort ein bewaffneter Konflikt, "der immer wieder eskaliert und Familien bereits mehrmals vertrieben hat", sagt die humanitäre Direktorin. Zwanzig Prozent der Bevölkerung seien intern vertrieben oder in Nachbarländer geflüchtet. „Zwei Drittel der Bevölkerung, also mehr als drei Millionen Menschen, benötigen humanitäre Hilfe, und das schon seit Jahren", kritisiert Mahla.

Viele sind von dort in das Nachbarland Kamerun geflüchtet - die siebte vergessene Krise auf der CARE-Liste. Auch dort benötigt jeder sechste Mensch humanitäre Hilfe - das sind rund 4,7 Millionen Menschen.

Menschen sind krisenmüde

Um Leben zu retten, fehlt laut CARE eine ausreichende Finanzierung für humanitäre Hilfe: 2023 wurden nur 35 Prozent der benötigten finanziellen Mittel von Spendern bereitgestellt.

„Wir sind uns auch bewusst, dass die Menschen nicht die ganze Zeit Nachrichten über Katastrophen konsumieren wollen oder können, die Menschen sind krisenmüde", bilanziert Deepmala Mahla. Eine bessere Zusammenarbeit mit Medien und Politikern sei notwendig, um solche Notlagen dennoch ins Licht der Weltöffentlichkeit zu rücken.

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