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Politik

Afrikas Statistiken: Daten verzweifelt gesucht

Martina Schwikowski
9. Januar 2020

Wie entwickelt sich die Kaufkraft in Mali oder die Geburtenrate im Tschad? Verlässliche Daten zu erheben ist in afrikanischen Ländern oft schwierig. Das bringt Nachteile und muss sich dringend ändern, fordern Experten.

Symbolbild: Computertechnologie und digitales Afrika
Bild: picture-alliance/Photoshot

Zahlen sind die Grundlage für Geschäfte und beeinflussen Prognosen. Doch in vielen afrikanischen Ländern seien die Möglichkeiten Daten zu erheben begrenzt, sagt Morten Jerven. Der Norweger ist Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Lund. "Das Hauptproblem ist: Länder mit geringem Einkommen haben weniger Kapazitäten", sagt Jerven in einem DW-Interview. Der Ökonom fordert:  "Wir sollten das zunächst einfach anerkennen, und die Idee von präzisen Vorhersagen in der Entwicklungspolitik fallen lassen." Doch auf lange Sicht brauchen afrikanische Länder verlässliche Statistiken.

Arbeit im informellen Sektor bleibt unberücksichtigt

Die Schwierigkeiten beginnen laut Jerven mit den Rohdaten. Die große Mehrheit der wirtschaftlichen Aktivitäten Afrikas finde in der Landwirtschaft oder in mittleren oder kleinen Unternehmen im informellen Sektor statt. Diese jedoch blieben in offiziellen Statistiken unberücksichtigt. "Oft führen die kleinen Händler oder Farmer nicht Buch. In vielen Ländern gibt es politisch instabile Gegenden bis hin zum Bürgerkrieg. Da ist es nicht leicht, an Daten zu gelangen", erklärt Jerven das Dilemma mit dem Zahlenwerk. Und wenn Daten vorlägen, fehle es häufig an umfassenden Informationen, auf welche Quellen und Annahmen sie beruhten. "Wenn wir keine Fakten haben, kommt es zu schnell zu bloßen Schätzungen", sagt der Ökonom.

Datenmangel: Straßenverkäufer führen oft kein Buch über ihre VerkaufszahlenBild: DW/J. Beck

Fehlende Daten - darin sieht auch der sudanesisch-britische Unternehmer Mo Ibrahim eine zentrale Herausforderung für Afrika. Im aktuellen Afrika-Bericht seiner gleichnamigen Stiftung fordert er erneut die Verbesserung der Datenerhebung durch den Aufbau von Statistikbehörden: "In acht von 54 afrikanischen Ländern gibt es Geburtsregister - das ist ein Witz." Die Länder müssten den Datenausbau vorantreiben, um festzustellen, was im Land zu tun ist.

Wichtig seien die Daten auch für die Entwicklungszusammenarbeit, sagt Ökonom Jerven. Denn andere Länder und Finanzinstitute wie die Weltbank knüpften Zahlungen häufig an bestimmte Ziele, die damit erreicht werden sollen. Und die sollen messbar sein. Dabei würden jedoch die Schwierigkeiten lokaler Statistiker vor Ort häufig ignoriert. Tatsächlich seien die vorhandenen Statistikbehörden in afrikanischen Staaten in den seltensten Fällen ausreichend finanziell und personell ausgestattet, um die globale Nachfrage nach Informationen bedienen zu können, sagt Jerven. "Wo es Ignoranz gibt, da ist auch Raum für Manipulationen."

Neugeborenes in der südsudanesischen Hauptstadt Juba. Nur wenige afrikanische Staaten haben ein GeburtenregisterBild: Getty Images/AFP/S. Glinksi

Glaubhafte Zahlen: ein universelles Problem

Diesen Vorwurf erhob die "Financial Times" im vergangenen Jahr gegenüber Ruanda: Die Londoner Finanzzeitung hatte nach einer Analyse Zweifel an Ruandas Zahlen zur Armutsentwicklung geäußert und damit an der Glaubwürdigkeit der rasanten Wirtschaftsentwicklung des Landes unter Präsident Paul Kagame gerüttelt.

Ein weiterer Fall: In Uganda fand das Hochkommissariat für Flüchtlinge der Vereinten Nationen (UNHCR) heraus, dass die Behörden 2016 die Zahl der Flüchtlinge aus dem Süd-Sudan absichtlich verfälscht hatten, um mehr Hilfsgelder zu kassieren. Aber mangelhafte Daten und Zahlenspielereien sind kein afrikanisches Problem: "Auch in der Europäischen Union gibt es Länder, die es schwer haben, bestimmte Kriterien zu erfüllen und die Zahlen dann etwas 'bearbeiten'", sagt Jerven.  Das habe zum Beispiel die Schuldenkrise in Griechenland gezeigt. "Das Problem ist universell."

Mehr Gelder für mehr statistische Daten in Afrika?

Das betont auch Yannick Lefang, Gründer der Datenfirma Kasi Insight, eine afrikanische Firma mit Sitz in Nairobi. "Es ist ein globales Problem, aber es betrifft Afrika als aufstrebenden Kontinent stärker. Wir brauchen verschiedene Daten-Quellen für robuste Messungen", sagt er in einem DW-Interview. "Daten bieten Ansätze für bessere politische Entscheidungen, Bekämpfung der Korruption und mehr Verantwortung. Wenn wir unzuverlässige Statistiken produzieren, schaden wir uns selbst."

Das müssen sich laut Lefang die politischen Entscheider klarmachen - und mehr investieren, um die Infrastruktur zu stärken, Internetverbindungen in ländlichen Gegenden aufzubauen und die Möglichkeiten zur Datenerhebung zu verbessern. "Daten sind entscheidend für Wirtschaftserfolg und Transparenz. Sie mögen nicht immer rosig sein, aber sie zeigen auf, was wir tun müssen", sagt Lefang.

Flüchtlinge aus dem Südsudan an der Grenze zu Uganda (Archivbild)Bild: DW/S. Schlindwein

Umfragen zur Preisentwicklung

Der junge Unternehmer und sein Team geben seit drei Jahren regelmäßig den Verbraucherpreisindex heraus, um die Inflation zu messen. Grundlage dafür sind Umfragen mit 5000 Menschen in sieben afrikanischen Ländern: Ghana, Südafrika, Nigeria, Kamerun, Elfenbeinküste, Kenia und Tansania. "Der Index hat auch auf den Plattformen der Wirtschaftsagenturen wie Bloomberg und Reuters einen festen Platz", sagt der junge Afrikaner stolz und ist überzeugt: "Wenn eine kleine Firma wie wir das schaffen kann, dann können Regierung das auch."

Afrikanische Länder sähen Daten oft als unerwünschtes Mittel zur Kritik, sagt Lefang. Aber sie seien unerlässlich, um effizient zu sein: "Man kann nicht richtig verwalten, was man nicht messen kann."

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