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Politik

Noch immer ärmer, kränker, bildungsferner

4. Juni 2020

Die anhaltende Diskriminierung von Afroamerikanern ist ein wesentlicher Grund für die Massenproteste nach dem Tod von George Floyd in den USA. Noch immer gibt es Gesetze, die die Ungleichheit zementieren.

Global Ideas USA Bleiverschmutzung East Chicago
Bild: Getty Images/J. Lott

"Ich möchte, dass du weißt, dass du wichtig bist", so spricht der ehemalige US-Präsident Barack Obama junge Afroamerikaner an. "Ich möchte, dass du weißt, dass dein Leben wichtig ist, dass deine Träume wichtig sind", sagt er am Mittwochabend in einer live übertragenen Videoansprache zu den Protesten nach der Tötung des Afroamerikaners George Floyd durch Polizeigewalt.

Dass sie wichtig sind und dass sie ihre Träume verwirklich können - das glauben viele Afroamerikaner in den USA nicht, denn bei den Massenprotesten von Menschen aller Hautfarben geht es um mehr als Polizeigewalt. Es geht auch darum, Rassismus und die daraus resultierende soziale Ungleichheit zu beseitigen.

Doch müsste die Jahrhunderte zurückreichende Diskriminierung nicht inzwischen überwunden sein? Seit dem Civil Rights Act, dem Bürgerrechtsgesetz von 1964, sind schwarze US-Amerikaner gesetzlich gleichgestellt und die "Rassentrennung" ist illegal. Viele Programme der sogenannten Affirmative Action sollten die Benachteiligungen der Afroamerikaner kompensieren, indem sie ihnen beispielsweise Studienplätze reservierte. Doch bis heute ist die weiße Mehrheitsbevölkerung im Schnitt wohlhabender, höher gebildet und gesünder.

Ein Viertel weniger Einkommen

In den vergangenen zehn Jahren lag das mittlere Einkommen der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA zwischen 20 und 25 Prozent unter dem der weißen US-Amerikaner. Und das liegt nicht an einigen Superreichen wie den Multimilliardären Bill Gates oder Jeff Bezos. Denn gemessen wird hier, beim sogenannten Medianeinkommen, wie viele Haushalte über bzw. unter der mittleren Einkommenshöhe liegen.

Und nur wenige Schwarze aus armen Familien schaffen es, dieser Lage zu entkommen: Afroamerikaner, deren Eltern zum untersten Fünftel der Einkommensskala gehören, steigen nur halb so oft wie weiße Kinder in eine höhere Einkommensgruppe auf, so eine Studie der Brookings Institution. Warum ist das so, wenn es offiziell keine rechtliche Schlechterstellung gibt?

Struktureller Rassismus

"Es gibt eine Reihe von Gesetzen und Rechtspraktiken, die sich für Afroamerikaner negativer auswirken als für andere Bevölkerungsgruppen", sagt Christian Lammert, Politologe am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin. "Dazu gehören die Strafverfolgung, die Bildung und die Gesundheitsversorgung."

Dieser strukturelle Rassismus habe in den USA eine lange Tradition, so Lammert. Als die Regierung 1935 Sozialversicherungen einführte, schloss sie unter anderem Landarbeiter, Hausangestellte und Gelegenheitsarbeiter davon aus - Berufsgruppen mit niedrigen Einkommen, in denen Schwarze überproportional vertreten waren.

​​​​​​Schlechtere Schulen, schlechtere Jobs für Afroamerikaner - Arbeitsamt in Brooklyn, New York CityBild: Reuters/A. Kelly

Als aktuelles Beispiel nennt Lammert die Drogenpolitik: "Vergehen im Zusammenhang mit Drogen, die vor allem Schwarze konsumieren, werden deutlich härter bestraft, als das bei Designerdrogen der Fall ist, wie sie vor allem an der Wall Street konsumiert werden." Dies sei ein wichtiger Grund dafür, dass Schwarze mit dreifach höherer Wahrscheinlichkeit im Gefängnis landen als Weiße - was sich auf die Bildungschancen und das berufliche Fortkommen auswirkt.

Sozioökonomischer Teufelskreis

Ähnlich sieht es in der Gesundheitspolitik aus: Eine allgemeine Krankenversicherung gibt es in den USA nicht. Nur wer gut verdient oder einen Arbeitgeber hat, der sie zahlt, besitzt auch eine Krankenversicherung. 2018 waren laut einer Studie der Kaiser Family Foundation 11,5 Prozent der Afroamerikaner nicht krankenversichert, aber nur 7,5 Prozent der weißen Amerikaner. Hinzu kommt, dass das Gesundheitssystem der USA zu den teuersten der Welt gehört. Bis zu zwei Drittel der Privatinsolvenzen in den USA sind eine Folge von Gesundheitsausgaben, und auch hiervon sind schwarze US-Amerikaner häufiger betroffen als weiße.

Auch die Corona-Pandemie trifft Afroamerikaner härter - hier ein Fahrer bei der Essenauslieferung für BedürftigeBild: AFP/S. Platt

Auch wenn die "Rassentrennung" offiziell verboten ist, besteht sie faktisch vielerorts fort: Afroamerikaner leben nach wie vor häufig in afroamerikanischen Gemeinden und Weiße in weißen. "Die Gesundheitsversorgung ist in den schwarzen Gemeinden ungleich schlechter als in überwiegend weiß bevölkerten Gegenden", erklärt Lammert. Ähnlich sehe das bei den Schulen aus: "Die Qualität der Schulen in schwarzen Vierteln ist unterm Strich wesentlich schlechter als in weißen. Entsprechend steht es um die Chancen von Schwarzen am Arbeitsmarkt." Da beißt sich die Katze in den Schwanz - die Einkommensunterschiede zwischen den ethnischen Gruppen der USA sind Ursache und Wirkung zugleich, sie schreiben sich fort.

Geringere Lebenserwartung

Aber Wohnort, Gesundheit und Bildung hängen auch auf andere Weise zusammen, sagt Lammert: "Schwarze leben oft in Vierteln mit hoher Luftverschmutzung, wo sie zudem weniger gesunde Nahrung kaufen können, sie ernähren sich dann häufig von tiefgefrorenem Fastfood." Dies sei ein wesentlicher Grund dafür, dass sie häufiger von chronischen Krankheiten betroffen sind. Erwachsene Afroamerikaner leiden fast doppelt so häufig unter Diabetes wie weiße Erwachsene. Die erworbene Form Typ 2 - ihn haben etwa 95 Prozent der Diabetiker - entsteht meist infolge falscher Ernährung und tritt verstärkt in bildungsfernen Schichten auf.

Der im Durchschnitt schlechtere Gesundheitszustand spiegelt sich auch in einer niedrigeren Lebenserwartung wieder: Für Afroamerikaner liegt sie laut offiziellen Zahlen des National Center for Health Statistics derzeit fast vier Jahre unter der von Weißen. Das zeigt sich auch daran, dass in der COVID-19-Pandemie überproportional viele Afroamerikaner sterben - aufgrund ihrer schwächeren Gesundheit ebenso wie aufgrund der schlechteren Gesundheitsversorgung in ihren Wohnvierteln - oder weil sie sich einfach nicht leisten können, ihrem Job fernzubleiben.

Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.
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