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Politik

Afrodeutsche Politiker: Die Unbekannten

Daniel Pelz
8. Mai 2020

Im Januar schossen Unbekannte auf das Büro des Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby. Deutschland war schockiert. Doch sonst stehen afrodeutsche Politiker selten im Fokus. Welche Erfahrungen machen sie in der Politik?

Angela Merkel mit Sylvie Nantcha Integrationsgipfel Berlin Deutschland
CDU-Frauen unter sich: Bundeskanzlerin Angela Merkel und TANG-Vorsitzende Sylvie NantchaBild: picture-alliance/AP Photo/M. Schreiber

Sie ist daran gewöhnt, die erste zu sein. Die erste afrodeutsche Stadträtin, die erste afrodeutsche Abgeordnete im Europarlament. Einst kam Pierrette Herzberger-Fofana, in Mali geboren, im Senegal aufgewachsen, nach Deutschland, um zu promovieren. In Erlangen arbeitete sie als Lehrerin und Dozentin an der Universität. Vor zwanzig Jahren ging sie in die Politik. "Es gab damals Menschen, die begeistert waren, aber die meisten waren sehr skeptisch", sagt sie im DW-Interview. Vor einem Jahr wurde sie ins Europaparlament gewählt - mit 70. Viele andere in dem Alter treten kürzer, um die Enkelkinder aufzupassen oder um die Welt zu reisen. Pierrette Herzberger-Fofana will für die Themen streiten, die ihr am Herzen liegen: Bildung, Entwicklung, ein Ende der weiblichen Genitalverstümmelung.

Bei ihren Wählern kommt das gut an, sagt sie. Gerade bei den jungen: "Die jetzige Generation ist anders als vor 20 Jahren. Sie akzeptiert vieles, was man damals merkwürdig fand. Eine schwarze Frau als Politikerin - das passte damals nicht in das Bild vieler Menschen." Und doch merkt sie immer wieder, dass afrodeutsche Politiker noch immer keine Selbstverständlichkeit sind. "Wenn jemand kommt und dreimal fragt 'Sind Sie eine deutsche Politikerin' und die Person insistiert immer weiter. Wenn jemand dreimal fragt, woher wir kommen und wie lange wir bleiben - das sind Erfahrungen, die wir Politiker genauso machen wir Bürger anderer Herkunft." Fünf schwarze Frauen gebe es im Europaparlament, sagt Pierrette Herzberger-Fofana: "Fünf Frauen für 500 Millionen europäische Bürgerinnen und Bürger."

Pierrette Herzberger-Fofana ist Stellvertretende Vorsitzende der Ausschüsse des Europaparlaments für Entwicklung sowie für die Beziehungen zum Parlament der Afrikanischen UnionBild: European Union 2019/F. Marvaux

In Deutschland leben mehr als eine Million Menschen afrikanischer Herkunft - trotzdem sind nur sehr wenige von ihnen in politischen Ämtern. Ein bekanntes Beispiel ist die Grünen-Politikerin Aminata Touré, die im Landtag von Schleswig-Holstein sitzt und 2019 mit 26 Jahren zur jüngsten Landstagsvizepräsidentin der deutschen Geschichte gewählt wurde. Im Bundestag ist der SPD-Mann Karamba Diaby in dieser Legislaturperiode unter 709 Abgeordneten der einzige Afrodeutsche. "Ich will nicht dafür berühmt sein, dass ich schwarz bin", sagte er einmal der "Zeit". Doch zur Bildungspolitik, seinem Fachgebiet, wird er selten gefragt.

Rassismus gehört zum Alltag

Im Januar feuerten Unbekannte auf sein Büro in Halle. Das Entsetzen war groß: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und zahlreiche weitere Politiker stellten sich hinter ihn. Die Beschädigung seines Wahlkreisbüros, Beleidigungen und Bedrohungen von rechts gehören für Diaby, der vor 58 Jahren im Senegal geboren wurde und einst als Student in die DDR kam, zum Alltag.

Diaby selbst reagierte bemerkenswert ruhig - und dankte für die vielen guten Wünsche. "Wir leben nicht in einem Zeitalter des Zorns, sondern der Solidarität und des Mitgefühls", sagt er in einer Rede vor dem Bundestag.

"Ich lasse mich nicht einschüchtern"

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Auch Sylvie Nantcha musste in ihrer politischen Karriere immer wieder mit Drohungen und Anfeindungen fertig werden. 2009 wurde sie in den Gemeinderat von Freiburg gewählt - als erste afrikanischstämmige CDU-Gemeinderätin in Deutschland. "Ich habe mich dafür entschieden, dass unsere Gesellschaft vielfältig ist, aber dass sich diese Vielfalt nicht in unseren Parlamenten und Gremien wiederspiegelt", sagt sie im DW-Interview. "Ich bin ein Mensch, der gerne Dinge bewegt und dieses politische Engagement als Chance sah, unsere Zukunft zu gestalten."

"Es war der absolute Wahnsinn"

Mit 17 kam Nantcha aus Kamerun nach Deutschland, studierte Germanistik. Anschließen arbeitete sie an der Universität, gründete eine Familie und mit ihrem Mann ein Beratungsunternehmen. 2009 wurde sie Mitglied des CDU-Landesvorstandes in Baden-Württemberg - wieder als erste gebürtige Afrikanerin. "Wie das in der Bevölkerung angekommen ist, war der absolute Wahnsinn", erinnert sie sich heute. "Eine Bekannte sagte mir, dass ich meinen Namen mal bei Google eingeben sollte: Es gab 89.000 Einträge".

Als Sylvie Nantcha sich 2009 für den CDU-Landesvorstand bewarb, bootete sie so manchen Alphamann ausBild: picture-alliance/dpa/M. Murat

Nach zehn Jahren im Freiburger Gemeinderat ist Nantcha nicht wieder angetreten - für ihre politischen Überzeugungen kämpft sie inzwischen als Vorsitzende von TANG - "The African Network of Germany", das nach eigenen Angaben rund 800 afrodeutsche Vereine vertritt. Heute berät sie die Bundesregierung in Migrationsfragen, setzt sich für die afrodeutsche Community ein. "Ich freue mich sehr und bin stolz auf mein Heimatland Deutschland, dass ich diese Möglichkeit bekomme, mich mit meiner Geschichte, meinen Erfahrungen und meinem Wissen einzusetzen, um diese Themen voranzubringen", sagt sie heute.

Sie kennt aber auf die andere Seite: "Unsere Gesellschaft hat ein Problem: Rassismus", sagte sie beim Integrationsgipfel der Bundesregierung im März diesen Jahres. Die Bundeskanzlerin saß neben ihr. Gilt das auch für die Politik? Die Welle traf sie in voller Wucht, als sie 2009 in den Landesvorstand gewählt wurde: Drohbriefe, Hassmails, sogar Morddrohungen. "Ich habe Angst gehabt, vor allem um meine Kinder", sagt Nantcha. Die durften zeitweilig nicht mehr draußen spielen, die Familie zog um, die neue Privatadresse blieb geheim.

Zur besten Sendezeit im kenianischen Fernsehen

Njeri Kiyanjui dürfte wohl die einzige deutsche Stadträtin sein, die bisher zur besten Sendezeit im kenianischen Fernsehen interviewt wurde. Kiyanjui, kam 1983 nach Deutschland. Die damals 20-Jährige studierte Volkswirtschaft in Berlin und Tübingen. Trotz Abschluss fand die Kenianerin keinen Job - also machte Kiyanjui sich selbstständig. Mit ihrer Firma Hottpott-Saucenmanufaktur verkauft sie selbstgemachte Chutneys, Pasten und Konfitüren.

Die Unternehmerin und Reutlinger Stadträtin Njeri Kinyanjui hofft, dass ihr weitere Migrantinnen in die Politik folgenBild: Njeri Kinyanjui

Für die Grünen sitzt sie seit 2014 im Stadtrat von Reutlingen - als erste Ratsfrau, die außerhalb Europas geboren wurde. Nun sitzt sie im Integrationsrat und im Ausschuss für Wirtschaft und Finanzen. "Ich habe sehr viele Kompetenzen. Ich werde als jemand wahrgenommen, der nicht nur für Integration da ist, sondern der in sehr vielen Bereichen mitreden kann. Schließlich bin ich Unternehmerin bin und vieles anders sehe", sagt sie zur DW.

Doch hat sie als Afrodeutsche einen anderen Blick auf die Lokalpolitik? Bei der Frage muss sie lachen: "Ich lebe hier schon sehr lange. Ich stehe nicht morgens auf und denke 'Oh, ich bin Afrikanerin, wie wird man mich wahrnehmen? Ich habe meine Agenda im Kopf, was ich bewegen möchte." Ihr Wunsch für die Zukunft: "Viele Migranten scheuen sich, in die Politik zu gehen. Ich wünsche mir, dass sich mehr politisch engagieren. Die Politik in Deutschland berührt jeden Lebensabschnitt von jedem, der hier lebt. Von der Wiege bis zur Bahre."

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