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Gesellschaft

"Integration ist für uns das letzte Problem"

Nermin Ismail
10. September 2018

Die muslimische Ahmadiyya-Gemeinde in Deutschland lädt zur "Jalsa Salana" ein. Bis zu 50.000 Menschen wurden dieses Jahr zu dem Kongress erwartet. Es sind viele besorgte Bürger unter ihnen, vor allem muslimische.

Vortrag des Kalifen der Ahmadiyya Muslim Gemeinschaft
Bild: Nermin Ismail

Buchhandlung, Gepäckaufbewahrung, Bazar, Restaurant, Schlafplatz, Ausstellung. Die Jalsa Salana, die Jahresversammlung der muslimischen Ahmadiyya-Gemeinde, ist alles zugleich. Auf dem Bazar werden Mangos aus Pakistan verkauft. Daneben umarmen sich zwei Männer, die sich gerade zufällig getroffen haben. Jeder scheint jeden zu kennen, egal ob aus Afrika, Kanada oder Pakistan. Einer jungen Mutter in traditionell indischem Gewand, dem Salwar Khamiz, sieht man die Aufregung an.

Vernetzung, Austausch, Spiritualität. All das sind wichtige Ziele des Treffens. Doch auch Heiratsvermittlung gehört dazu. Auf dem Korridor zwischen dem Bereich der Männer und dem der Frauen treffen viele Ehepartner und ihre Familien erstmals aufeinander. So, sagt Ferhad Ghaffar, habe auch er seine Frau kennengelernt. Der Imam aus Wiesbaden ärgert sich über das einseitige Bild, dass die Medien vermittelten: "Immer wieder heißt es, wir sind konservativ und haben eine strikte Geschlechtertrennung." Dabei gebe es viele andere Aspekte, die man beleuchten könne.

Imam Ferhad Ghaffar aus Wiesbaden wünscht sich ein ausgewogeneres Bild über die Muslime in den MedienBild: Nermin Ismail

Islamische Reformbewegung mit Geschlechtertrennung

Die Ahmadiyya selbst versteht sich als Reformbewegung des Islam. 1889 wurde sie in Britisch-Indien von Mirza Ghulam Ahmad, der sich als Messias bezeichnete, gegründet. Die größten Ahmadi-Gemeinde leben weiterhin in Pakistan und Indien. 1974 allerdings sahen sich Zehntausende Ahmadis gezwungen, ihre Pakistan zu verlassen, nachdem sie der Staat zu Nichtmuslimen erklärt hatte. Bis heute werden sie von keiner muslimischen Autorität als islamisch anerkannt und zumeist als Sekte gesehen.

Inzwischen gibt es Ahmadiyya-Gemeinden in den meisten Ländern der Welt. In vielen von ihnen pflegt die Gemeinde gute Kontakte zu Politik und Medien. Sie ist die einzige muslimische Organisation überhaupt, die in Deutschland den gleichen Rechtsstatus wie die großen christlichen Kirchen genießt, wenn auch nur in Hessen und Hamburg.

Doch die viel zitierte Offenheit der Ahmadiyya hat offenbar ihre Grenzen. Zur Registrierung sitzen deutsche Gemeindemitglieder mit schwarzen Kappen vor ihren Laptops. Manche von ihnen senken ihre Blicke, wenn Frauen vor ihnen stehen, blicken sie nicht direkt an, selbst wenn sie mit ihnen sprechen. Eine Irritation für manche Gäste.

Gesprächsstoff Kopftuch: Wunsch nach Aufklärung

Nicht so für ein Mitglied der Frauenorganisation der Ahmadiyya. Diese sei unabhängig von den Männern und ermögliche den Frauen sich zu entfalten, sagt die Frau, die nicht namentlich genannt werden möchte. "Bei den Männern werden einem einfach immer Blicke hinterhergeworfen. Ich persönlich fühle mich so viel wohler." 

Nachdem das Kopftuch immer wieder Gesprächsstoff in der Öffentlichkeit geworden ist, hat die Ahmadiyya eine Kampagne gestartet, bei der die Frauen auf deutsche Mitbürger auf der Straße zugehen und ihnen ihre Fragen beantworten. "Ich fühle mich in der Pflicht, den Vorurteilen etwas entgegenzustellen", erklärt sie. "Deswegen wollen wir aufklären."

Austausch mit Andersgläubigen

Auch ein Softwareingenieur, der namentlich nicht genannt werden möchte, besucht das Jahrestreffen, weil er hier das Gefühl der Geschwisterlichkeit verspüre. Ob auch weltliche Themen hier Platz haben? "Wir haben eine Diskussion darüber, wie das muslimische Leben zu Deutschland passen kann. Ich bin absolut deutsch." Die Zugehörigkeit zu Deutschland stellen die deutschen Ahmadis nicht in Frage. Gerade deshalb besorgen die Geschehnisse in Chemnitz den jungen Mann: "Wir sehen immer wieder, wie viele Vorbehalte es gibt. Aber kaum kennen uns die Menschen, kommen ganz andere Gefühle zum Vorschein."

Anders als er bekommt Heike Obregon die islamfeindliche Stimmung nur über die Medien mit. Obwohl sie, wie sie sagt, mindestens einmal pro Woche am Infostand der Ahmadiyya in Hannover stehe. Seit 30 Jahren sei sie Ahmadi-Muslima, aber es sei ihr immer wichtig gewesen, mit Nicht-Muslimen in Kontakt zu treten: "Das gebietet der Islam. Es heißt, wenn dich jemand grüßt, dann sag nicht, du bist ein Andersgläubiger. Sondern sprich mit den Menschen. Auf Augenhöhe."

Immer mehr Teilnehmer

Das Karlsruher Messegelände ist unüberschaubar. Die Fläche der vier Messehallen und des Freigeländes entspricht rund 16 Fußballfeldern. Doch schon bald könnte dieser Ort, an dem sich die Gemeinde seit 2011 jährlich trifft, nicht mehr reichen. Das Wachstum der Gemeinde beruht auf einer umtriebigen Missionstätigkeit.

Deshalb suche die Ahmadiyya-Gemeinde nach einem neuen Ort im Rhein-Main-Gebiet, denn hierher kommen die meisten Mitglieder, sagt Imam Ghaffar. Doch auch wenn alle Türen offen stünden, so einfach kämen die Menschen nicht mehr. Es werde immer schwieriger, den Islam zu verteidigen, sagt er: "Der Islam wird von wenigen in den Dreck gezogen. Aber wir müssen unsere positive Einstellung bewahren." Statt nur den Medien zu vertrauen, findet er, sollte jeder versuchen, selbst herauszufinden, wer die Muslime sind.

Eine straff strukturierte Gemeinschaft

Während alle gebannt auf das geistliche Oberhaupt warten, erklärt der Imam die straffe Struktur der Ahmadiyya: Abteilungen und Ämter auf internationaler, nationaler, regionaler und lokaler Ebene. "Wir haben in Deutschland bereits 52 Moscheen", sagt Ghaffar, auch die Jalsa Salana sei eine organisatorische Geimeinschaftsleistung, "ob Security, Ordner, Anmeldung, Elektriker, Fahrer, alles beruht auf Freiwilligkeit und Ehrenamt". Und ganz wichtig: Vom Kalifen gebe es direkte Anweisungen. Eine davon: "Bei uns findet alles auf Deutsch statt." Die Ahmadiyya-Gemeinde, sagt Ghaffar, sei gebildeter als der Durchschnitt der Deutschen: "Integration ist für uns das letzte Problem."

Für die Hamburgerin Rohma Pasha ist der Besuch des Kalifen Mirza Masrur Ahmad das Highlight. Sie hofft auf eine private Audienz beim spirituellen Führer der globalen Gemeinde. Aber der Andrang ist riesig. Schon eine Stunde, bevor der Kalif zu den nicht-muslimischen Gästen sprechen will, drängen sich auch die Gläubigen, um ihn zu sehen.

Hadhrat Mirza Masroor Ahmad, der fünfte Kalif der Muslime und Oberhaupt der weltweiten Muslimvereinigung Ahmadiyya Muslim Jamaat (Archivbild)Bild: picture-alliance/dpa/U. Deck

Der Kalif ist weltweit bekannt. Justin Trudeau, Theresa May und Martin Schulz haben ihn bei seinen Besuchen in den jeweiligen Ländern begrüßt. Zur Jalsa Salana kam dieses Jahr Justizministerin Katarina Barley von der SPD.

Als der Kalif wenige Minuten nach 16 Uhr endlich kommt, wird es ruhig. Alle Blicke richten sich auf den Mann mit dem weißen Bart. Seine Botschaft in Karlsruhe: Islam bedeutet Frieden. Flüchtlinge sollen Deutschland gegenüber dankbar sein und dem Land etwas zurückgeben. Auf einem großen Banner steht "Liebe für alle, Hass für keinen".

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