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"Abschrecken, zermürben, verunsichern"

Andreas Spaeth
12. August 2020

Tickets für ausgefallene Flüge erstattet zu bekommen, ist eine mühsame Sache. Wer auf Buchungsportalen Flüge gekauft hat, die in der Krise ausfielen, hat es noch schwerer als andere - und die haben es schwer genug.

Sturmtief Sabine Flughafen Düsseldorf
Bild: picture-alliance/dpa/D. Young

Familie Kliese wollte Ende Juli in den Urlaub nach Thailand fliegen. Vor Monaten buchte Vater Manuel die Flüge mit Swiss, einer 100-prozentigen Tochter der Lufthansa, beim Buchungsportal Opodo: 2300 Euro kosteten die Tickets von Düsseldorf via Zürich nach Bangkok und zurück. Der Vielflieger war bisher Fan von Flugbuchungsportalen: "Da kann man Flüge mehrerer Airlines kombinieren, das gibt es oft auf den Websites der Fluggesellschaften so nicht. Außerdem ist die Markttransparenz größer", so fand Manuel Kliese.

Kurz vor der geplanten Reise sagte Swiss die Flüge ab – in Corona-Zeiten nicht ungewöhnlich. Die Klieses wollten dann lieber gar nicht mehr reisen und stattdessen ihr Geld zurückhaben. Damit reihten sie sich in eine unüberschaubare Menge von Millionen verhinderter Reisender weltweit, die gerade versuchen, ihre eigentlich berechtigten Ansprüche gegen Fluggesellschaften oder Reisevermittler durchzusetzen.

Flugzeuge am Boden - in München im MaiBild: Imago Images/blickwinkel

Eigentlich eine klare Sache, sollte man meinen. Flug vom Anbieter storniert, bezahlte Leistung nicht erbracht – Geld zurück. Nach sieben Tagen soll das gezahlte Geld zurück bei dem am Boden gebliebenen Kunden sein, so sieht es EU-Recht vor. Das ist mittlerweile zur Farce geworden und in der Realität nirgends vorgekommen. Die Flugbranche wurde von der Corona-Krise überrollt und an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. In vielen Fällen musste der Staat einspringen, so wie in Deutschland bei der Lufthansa.

Drohung vom Bundeamt

Deren Fall macht gerade wieder Schlagzeilen. Denn nun ist die Bundesrepublik Deutschland Miteigentümer der Fluggesellschaft und will deren lange praktizierte Verschleppungstaktik bei fälligen Rückzahlungen nicht weiter tolerieren. "Geld für Erstattungen ist vorhanden und jede berechtigte Forderung wird ausgezahlt", hatte Lufthansa-Passagevorstand Harry Hohmeister im Juli versprochen. Doch Anfang August, so wurde jetzt bekannt, musste Lufthansa gegenüber dem zuständigen Luftfahrt-Bundesamt einräumen, dass von 4,48 Millionen Erstattungsanträgen, die sich seit März angesammelt hatten, 1,24 Millionen noch nicht bearbeitet waren. Das Bundesamt droht der säumigen Kranich-Linie schon mit hohen Strafzahlungen.

Bei der ebenfalls zur Lufthansa-Gruppe gehörenden Eurowings waren es erst rund die Hälfte von 378.000 Anträgen, die bearbeitet waren. Die Gesamtsumme an Erstattungen belaufe sich auf drei Milliarden Euro, hatte Lufthansa-Chef Carsten Spohr kürzlich erklärt. Dabei haben es Kunden, die direkt bei einer Fluggesellschaft gebucht haben und dort Erstattungsansprüche geltend machen, noch vergleichsweise einfach. Derzeit häufen sich Fälle, wo Kunden mit ihren Ansprüchen buchstäblich in der Luft hängen.

"Von Opodo bewusst verschaukelt"

So wie Manuel Kliese. "Ich fühle mich von Opodo bewusst verschaukelt und vermute, das hat System", ärgert sich der verhinderte Thailand-Reisende. "Das Portal verweist nur auf die Buchungsseite, dort werden nur Umbuchung oder Gutscheine angeboten, aber keine Erstattung." Die aber steht nach EU-Recht jedem Kunden zu. Das allerdings durchzusetzen bei Opodo, die auch mit ihrer deutschen Filiale unter einer Adresse in Spanien registriert ist, scheint praktisch kaum möglich. "Telefonisch war kein Durchkommen, in der Warteschleife lief schon eine Ansage ‚Die Airlines ermöglichen keine Erstattung'", erinnert sich Kliese. Auch unter der angegebenen Mail-Adresse kam keine Rückmeldung. Der Versuch, einen Brief per Einschreiben mit Rückschein zu schicken scheiterte ebenfalls – Opodo verweigerte die Annahme.

Leerer Flughafen - in Frankfurt im AprilBild: picture-alliance/dpa/S. Stein

Rechtlich ist die Lage eigentlich klar: "Es haftet grundsätzlich und ausschließlich die Fluggesellschaft, das Portal ist nur Vermittler", sagt Ronald Schmid, Reiserechtler und Sprecher des Fluggastrechteportals Fairplane. Auch Manuel Kliese wandte sich also hilfesuchend an Swiss. Was selten funktioniert. "Die Airlines haben sich oft totgestellt", beobachtet Michael Buller vom Verband Internet Reisevertrieb (VIR) – wo Opodo kein Mitglied ist.

"Ein übles Spiel"

Auch Manuel Kliese blitzte in Zürich komplett ab. "Sie haben einen Vertrag mit Opodo abgeschlossen und nicht mit Swiss, daher ist Ihr alleiniger Ansprechpartner für eine Rückerstattung Opodo", schreibt eine Swiss-Mitarbeiterin, "dies wird Ihnen sicherlich Ihr Anwalt bestätigen können." Dann schließt sie pampig: "Dies ist unsere endgültige Stellungnahme, und wir schließen das Dossier hiermit ab." Ronald Schmid, seit Jahrzehnten Professor für Reiserecht, sagt: "Das ist ein übles Spiel, das da gespielt wird. Die Taktik der Airlines ist, die Leute abzuschrecken, zu zermürben und zu verunsichern."

Swiss fühlt sich offenbar sicher und versucht, sich rauszureden. "Die wissen, dass es schwierig ist, in der Schweiz zu klagen, und der Europäische Gerichtshof hat bis heute nicht entschieden, ob EU-Recht in diesem Falle auch auf Flügen aus der Schweiz in Nicht-EU-Länder gilt." Dieser Schwebezustand ist Swiss sehr recht, vermutet Schmid. "Erst bevor der EuGH urteilen könnte, zahlt man dann jeweils doch lieber."

Manuel Kliese hat sich an seine Rechtsschutzversicherung gewandt, die wiederum mit dem Fluggastrechte-Portal Flightright zusammenarbeitet. Das treibt normalerweise gegen Provision Entschädigungen für Flugverspätungen ein, wo die Airlines trotz klarer EU-Regeln auch stets säumige Zahler sind. "Das Verweisen der Airlines auf die Portale ist falsch", sagt Philipp Kadelbach, Rechtsexperte und Chef von Flightright. Seine Erkenntnis aus dem Alltagsgeschäft: "Viele Airlines bewerten eine Klage als Filter: Wer klagt, bekommt sein Geld, andere gehen leer aus."

Leerer Flughafen - in Berlin im MärzBild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

Einige Tausend Prozesse

Er habe einige Tausend Prozesse gegen Fluggesellschaften bereits gewonnen, so Kadelbach. Gerade hab Eurowings über eine Million Euro an Erstattungssummen an Flightright zur Weitergabe an Klienten überwiesen, die am Boden bleiben mussten. Zwischen 14 und 28 Prozent Provision bekommt das Portal im Erfolgsfall; nur wessen Fall über eine Rechtsschutzversicherung dort landet, zahlt nichts extra.

Die besten Erfahrungen hat Flightright mit EasyJet gemacht. "Das ist gerade die bestzahlende Airline von allen." Ganz schlecht laufe es dagegen mit Lufthansa und Austrian Airlines, mit KLM, Turkish Airlines und Ryanair. Mit Swiss gehe es sogar "extrem schlecht, die arbeiten mit ziemlich üblen Tricks", so Kadelbach. Rund 70 bis 80 Prozent aller Betroffenen kämpfen nach seiner Einschätzung bisher nicht aktiv um ihre Rechte. "Die warten und vertrauen auf faire Behandlung bei den ihnen zustehenden Erstattungen. Aber in einem oder zwei Monaten könnte da eine Wutbürgerwelle kommen", fürchtet der Flightright-Chef.

Manuel Kliese macht unterdessen mit seiner Familie Urlaub in Deutschland.

 

 

*) Dieser Artikel wurde am 14.8.2020 geändert. In einer früheren Fassung hieß es, Reiserechtler Ronald Schmid arbeite für das Portal Flightright. Tatsächlich arbeitet er für das Portal Fairplane. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

 

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