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"Männer instrumentalisieren den Islam"

Sabrina Pabst8. Januar 2016

Die Täter vom Kölner Bahnhof haben ein Frauenbild des islamistischen Fundamentalismus verinnerlicht, meint Sozialdemokratin Lale Akgün. Auf deren Frauenbild dürfe sich die deutsche Gesellschaft nicht einlassen.

Lale Akgün, ehemalige deutsche Politikerin (Foto: DW)
Bild: DW/M. Smajic

Deutsche Welle: Von den Tätern, die während der Silvesternacht in Köln viele Frauen sexuell belästigt haben, ist wenig bekannt. Es heißt, dass sie aus islamisch geprägten Ländern stammen. Dort dürfen Paare in der Öffentlichkeit oft nicht Händchen halten, sich nicht küssen, Frauen müssen sich bedecken. Welche Auswirkungen hat ein so strikter Verhaltenskodex auf das Frauenbild und die Sexualität heranwachsender Männer, die aus dieser Region stammen?

Lale Akgün: Zärtlichkeit, Liebe oder Zweisamkeit wird von der Sexualität getrennt. Sexualität gilt als etwas Schlimmes oder Grausames, die höchstens in der Ehe zur Zeugung von Kindern geduldet wird. Daraus entsteht in den Köpfen der Männer, Sexualität sei tabu. In Westeuropa erleben sie das Gegenteil. Frauen halten in der Öffentlichkeit Händchen mit ihrem Partner und sind freizügig angezogen. Für diese Männer sind Frauen, die genau das Gegenteil von dem leben, was der Imam in der Moschee predigt, "Huren", Objekte der Begierde und Verachtung.

So stehen zwei Extreme gegenüber: die anbetungswürdige, ehrbare Frau und die Unehrenhafte?

Das Frauenbild dieser Männer duldet nur gut und böse. Frauen sind immer wieder Verführerinnen von Männern. Allein das wörtliche Auslegen des Korans, wonach eben die Frau die Hälfte vom Mann wert ist, verdeutlicht das patriarchale System des Islam. Dessen Anhänger gehen noch immer davon aus, dass der Islam nicht ein Glaube ist, sondern eine Lebenseinstellung.

Ich bin Muslimin. Für mich ist Religion etwas Privates für meine Seele. Für Fundamentalisten ist es Lebensgrundlage. Sie schaffen es nicht, ihren Glauben mit der modernen Welt zu vereinbaren. Ihr Glaube ist an ein Wertesystem und einen Lebensstil gebunden, der im siebten Jahrhundert auf der arabischen Halbinsel feststeckt.

Wie erhält ein islamistisch fundamentalistisches Frauenbild in eine moderne Gesellschaft Einzug?

In dem Moment, in dem der Islam politisch wird. In den 1980er Jahren hat man über fundamentalistische Strömungen hinweg gesehen. Damals meinte man, dass die Gesellschaft diese Entwicklung ertragen müsse. Wir haben das so lange ertragen und ignoriert, bis es uns selbst getroffen hat. Ein Beispiel ist die Stilisierung des Kopftuches als Bereicherung der multikulturellen Gesellschaft. Das ist Unsinn. Auch das Kopftuch ist ein Zeichen der Unterdrückung der Frau. Wer dieses Frauenbild befeuert und befördert, darf sich nicht wundern, wenn die Männer der gleichen Community Frauen ohne Kopftuch als "leichte Mädchen" ansehen.

Entstand durch Religionsfreiheit und Toleranz eine Parallelwelt?

Die Religionsfreiheit ist keine Parallelwelt, solange Religion Privatsache bleibt. Wenn aber Religion politisiert wird und politische Entscheidungen nach sich zieht, dann sollten wir das nicht lächelnd hinnehmen. An diesem Punkt greift sie in unser Leben ein. Zum Beispiel, wenn ich mir als Mutter überlegen muss, ob meine Tochter in eine Klasse geht, in der die Lehrerin ein Kopftuch trägt. Soll meiner Tochter ein Frauenbild vermittelt werden, wonach Frauen sich vor den Augen der Männer verhüllen müssen? Wenn man diese Zusammenhänge nicht erkennt, dann stehen diese jungen Männer, die Frauen angrapschen, als ein isoliertes Phänomen da. Sind sie aber nicht. Sie sind Teil des Gesamtproblems.

Aber Erziehung und die Vermittlung eines Wertekanons geschieht in erster Linie nicht durch Religion, sondern ist Sache der Eltern. Welche Rolle spielt die Frau innerhalb muslimischer Familien? Kann sie nicht korrigierend eingreifen?

Die Macht der Männer kann nur erhalten bleiben, wenn sie das System erhalten. Und das geht nur, wenn sie den Frauen zu verstehen geben, dass das System in dem sie leben, das bessere sei. Sie sagen: Schaut doch, wie die europäischen Frauen ausgebeutet werden. Die müssen arbeiten, Kinder kriegen und alles machen. Ihr könnt schön zu Hause bleiben, euch hübsch machen und euch auf euren Mann abends freuen.

Wir, also die deutsche Gesellschaft, haben uns zu sehr mit dieser Rollenvorstellung eines konservativen Islam arrangiert. Ein Beispiel: Wenn für die neu ankommenden Migrantinnen Deutschkurse ohne Männer angeboten werden, weil ihre Ehemänner die Teilnahme sonst nicht dulden, ist das der falsche Ansatz. Man muss diesen Leuten verdeutlichen: Wenn sie vom sozialen System profitieren und hier ein gutes Leben wollen, müssen sie dafür die gesellschaftlichen Normen akzeptieren.

Wer trägt die Verantwortung für diesen konservativen Rückwärtstrend? Menschen, Medien, Politik, Religion?

Wenn Sie sehen, welche Ideologie der Zentralrat der Muslime vertritt, dann kann Integration nicht durch diese Verbände geleistet werden. Es sei denn, Sie wollen das momentane Problem verstärken. Der Islam braucht keine Verbände. Diese Verbände sind der verzweifelte Versuch der Politik, sich Ansprechpartner zu backen. Wenn die Politik keine Kehrtwende macht und weiterhin mit diesen konservativen Islamverbänden die Zusammenarbeit fortsetzt, wird sich in den nächsten Jahrzehnten der konservative Islam in Deutschland etabliert haben.

Lale Akgün saß von 2002 bis 2008 für die SPD im Bundestag. Als Kölnerin türkischer Herkunft befasst sie sich seit Langem mit dem Islam und fundamentalistischen Strömungen.

Das Interview führte Sabrina Pabst.

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