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Akzente des Pontifikats von Benedikt XVI.

Alexander Kissler19. April 2006

Papst Benedikts XVI. ist seit einem Jahr im Amt. Der Dogmatiker Ratzinger hat andere Akzente gesetzt als erwartet. Die Eckpunkte seines Pontifikats sind: Kontinuität, Treue und innere Umkehr.

Benedikts nach seinem ersten Ostersegen "Urbi et Orbi"Bild: picture-alliance/dpa
Papst Benedikt einen Tag nach seiner WahlBild: AP

Als bekannt wurde, dass die Kardinäle Joseph Ratzinger zum neuen Papst erkoren hatten, ging zunächst ein Stöhnen durch Deutschland: Ausgerechnet den Chef-Dogmatiker hatten die Kardinäle zum Nachfolger Johannes Pauls II. gewählt. Damit sei die katholische Kirche endgültig nach rechts gerückt, weg von der Moderne, hin zu einem sittenstrengen Fundamentalismus, befürchteten viele. Auch in den Nachbarländern war die Freude klein und der Ärger groß. Eine Zeitung aus der Ostschweiz hielt fest: Ratzinger werde das Zweite Vatikanische Konzil "zubetonieren für alle Zeiten".

Doch die ersten Äußerungen Benedikts XVI. ließen aufhorchen: "Ich will mit Nachdruck den festen Willen bekräftigen, dass ich mich weiter um die Verwirklichung des Zweiten Vatikanischen Konzils bemühen werde", erklärte er direkt nach seiner Wahl vor den Kardinälen. Zwei Tage später, am 22. April 2005, gab er einen weiteren Hinweis auf die Eckpunkte seines Pontifikats: Er wolle "mit Einfachheit und Bereitwilligkeit" seinen Dienst vollbringen, in "absoluter Treue und Hingabe". Damit sind die entscheidenden Stichworte benannt. Sie lauten: Kontinuität, Treue, innere Umkehr.

Gespräch mit anderen Religionen

Wichtig für Benedikt: der Dialog mit der säkularen WeltBild: AP

Kontinuität herrscht auf jenem ersten Themenfeld, das mit dem Vatikanischen Konzil stark aufgewertet wurde und das für Benedikt ebenso zentral ist wie für seinen Vorgänger: das Gespräch mit den anderen Bekenntnissen und Religionen, der Dialog mit den Gläubigen jedweder Richtung. Das zweite Themenfeld betrifft den Dialog mit der säkularen Welt, mit Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Der Einsatz auf diesem Gebiet ist für Benedikt, den Theologen, die unmittelbare Folge eines Prinzips namens Treue. Aus Treue zur "unverkürzten Botschaft Jesu Christi" will er Europa neu evangelisieren.

Der bisher größte missionarische Versuch war das Kölner Weltjugendtreffen im August 2005. Aber auch die kommenden Reisen nach Spanien, Polen, Deutschland waren Schritte auf dem schwierigen Weg zur Neuevangelisierung des Kontinents. Andererseits erfordert die von Benedikt reklamierte Treue den Widerstand gegen jene Tendenzen, die mit der christlichen Botschaft katholischer Lesart unvereinbar sind - Widerstand gegen die so genannte Wohlfühl-Gesellschaft ebenso wie gegen Ausländerhass, Todesstrafe, Krieg, Abtreibung, Embryonenforschung und aktive Sterbehilfe. Auch für Benedikt XVI. steht fest: Kirche ist schöpferischer Widerstand gegen den Zeitgeist.

Verzicht auf Prunk

Der dritte Schwerpunkt seines Pontifikats heißt "innere Umkehr". Gemeint ist eine Besinnung auf die Grundlagen des Glaubens. Diesem Ziel dient sowohl die Kurienreform - die Verschlankung des vatikanischen Apparats - als auch der Verzicht auf Prunk und Pomp. Den vorherrschenden Eindruck, den die Zeremonien hinterlassen, fasste Radio Vatikan in die Worte: "Dieser Pontifex nimmt sich sehr zurück und versucht, die Aufmerksamkeit auf das Eigentliche zu lenken."

Trotz der Evangelisierungsversuche hält zumindest in den Gesellschaften der nördlichen Hemisphäre die Kirchenflucht an - doch sie hat sich verlangsamt. Viele deutsche Bistümer berichten von einem kleinen Boom bei Wiedereintritten und Erwachsenentaufen. Die Anzeichen bedeuten aber keine Trendumkehr. Im Gegenteil - der Abschied von der Volkskirche wird sich weiter beschleunigen, und das heißt: weniger Kirchen, weniger Geld, weniger Priester, weniger Gottesdienste.

Enge Verbindung zwischen Judentum und Christentum

Beim Weltjugendtag besuchte Benedikt auch ein Synagoge in KölnBild: dpa

Dem will Benedikt mit vereinten Kräften entgegentreten. Schon als Universitätsprofessor vertrat Joseph Ratzinger eine "Theologie des einen Bundes". Judentum und Christentum sind demnach nicht zwei getrennte Religionen; sie bezeugen vielmehr gemeinsam den einen Bund, den Gott mit den Menschen schloss. Kein Zufall war es also, dass einer der ersten Briefe Benedikts an den ehemaligen römischen Oberrabbiner gerichtet war. Er wolle den Weg der Verbesserung der Beziehungen und der Freundschaft mit dem jüdischen Volk, auf dem Papst Johannes Paul II. entscheidende Schritte getan hat, mit voller Kraft weiterführen, sagte Benedikt bei einem Treffen mit Vertretern des Judentums.

Ähnlich theologisch aufgeladen ist die Beziehung zum Islam nicht. Benedikt bekräftigte hier die Auffassung des Konzils, auch die Muslime beteten den "alleinigen Gott" an. Im Karikaturenstreit zeigte er Verständnis für friedliche Proteste. "Gläubige dürfen nicht zur Zielscheibe von Provokationen werden, die ihre religiösen Gefühle verletzen", erklärte er.

Keine rasche Annäherung von Katholiken und Protestanten

Weitaus vitaler gestaltet sich der innerchristliche Dialog. "Das grundlegende Anliegen der Ökumene" macht sich Benedikt durchaus zueigen - mit neuen Akzenten. Ökumene ist für Joseph Ratzinger die Gemeinschaft aller Getauften, und zwar der lebenden wie der gestorbenen. Daraus ergibt sich eine prinzipielle Skepsis gegenüber einer Politik der Ökumene, die auf eine rasche Annäherung von Katholiken und Protestanten bis hin zum gemeinsamen Abendmahl drängt. Jede Änderung im Kirchen- und im Amtsverständnis müsse das Votum derer beachten, die in vergangenen Jahrhunderten für den Fortbestand der Kirche kämpften, das Votum der Glaubenszeugen und Märtyrer. Mit einer solchen Auffassung nähert sich Benedikt den stark in der Tradition verwurzelten orthodoxen Christen an - und entfernt sich von den Protestanten.

Mehrfach haben sich denn auch der Papst und orthodoxe Würdenträger ihrer Wertschätzung versichert. Der Papst sprach von einer "erneuerten Brüderlichkeit zwischen den Hirten der Herde des Herrn" und machte damit klar: Papst und Patriarch begegnen sich auf Augenhöhe. In den Dialog eingebunden sind auch die Kirchen der Reformation, die der Vatikan "kirchliche Gemeinschaften" nennt, während die Orthodoxie eine "Schwesterkirche" darstellt. Mit den Nachfolgern Martin Luthers ist das Gespräch nicht erlahmt - doch stärker noch als Johannes Paul II. forciert Benedikt eine geistige Ökumene, die "Bekehrung des Herzens".

Ökumene ist Gotteswerk

Dahinter steht die Überzeugung, dass Ökumene Gotteswerk, nicht Menschenarbeit ist und dass jedes allzu forsche Engagement eine Kompetenzüberschreitung darstellt. Auch auf protestantischer Seite mehren sich die Stimmen, die davor warnen, die eigenen Bekenntnisse aufs Spiel zu setzen. Das 21. Jahrhundert dürfte also, wie es der evangelische Bischof Wolfgang Huber ausdrückte, tatsächlich von einer "Ökumene des eigenen Profils" gekennzeichnet sein.

Den Dialog mit der säkularen Welt hat Benedikt stärker vorangetrieben. Er ist zwar kein dezidiert politischer Papst, doch er bezieht in politischen Fragen Stellung. Er kritisierte die Todesstrafe, forderte ein weltweites Verbot der Folter und wandte sich gegen die "arroganten Staaten, die kleine Länder demütigen". Er nannte die Kirche einen Anwalt der Ausgeschlossenen, der Armen und der Flüchtlinge. Den Kern dieses Einsatzes bildet der Appell, die Würde des Menschen zu schützen. In derselben Motivation wurzeln die Warnungen vor einer Naturwissenschaft ohne Grenzen. "Die vielen Entdeckungen, die wir gemacht haben, drohen gefährlich zu werden, wenn das Wissen um den Schöpfer fehlt", erklärte Benedikt mit Blick auf die Gentechnik.

Kirche muss sich öffentlichem Gespräch stellen

Kurz nach der Wahl: Benedikt stellt sich den Medien in einer AudienzBild: AP

Für Benedikt ist die Kirche ein wichtiger Teilnehmer am "Ringen der Vernunft". Die Kirche muss sich also mit ihren Glaubenswahrheiten im öffentlichen Gespräch bewähren. Sie soll und muss hinaus auf den Marktplatz, muss reden mit den Andersgläubigen und den Glaubenslosen - und ihre einzige Kraft ist die Kraft des Arguments, ihre einzige Stärke die Stärke des gelebten Glaubens. Für Papst Benedikt heißt Christentum, Nein sagen zu einer Kultur der Lüge, Täuschung und Ungerechtigkeit, heißt Ja sagen zu Christus, Gott und der Gemeinschaft der Kirche.

Hier zeigen sich die Leitlinien eines Pontifikats, das noch immer den Geist des Anfangs atmet. Die Kirche nach der Volkskirche muss laut Benedikt eine aus dem Geist des Ursprungs spirituell erneuerte Kirche sein. An der Überzeugungskraft des persönlichen Zeugnisses wird sich dann entscheiden, ob die Welt die Christen ernst nimmt, ob sie ihnen gar Glauben schenkt. Ritus und Gebet, Argument und Nächstenliebe sind jene Kommunikationsformen, an denen man die Christen erkennen soll. Ob diese äußerst anspruchsvolle, ja dem Wortsinne nach anstrengende "Option Benedikt" sich als fruchtbar erweist, ist ungewiss. Doch Glaube ist stets das Reich der Hoffnungen, nicht der Gewissheiten.

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