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Politik

Al Jazeera - Publikumsliebling mit Agenda

24. Juni 2017

Für Al Jazeera geht es im Konflikt mit den Golfstaaten um alles oder nichts. Für Katar ist der Sender das wichtigste Aushängeschild und Machtinstrument. Was macht das in Riad verhasste Medienhaus aus?

Al-Dschasira America Fernsehen Studio USA New York
Bild: Stan Honda/AFP/Getty Images

Massiv hatte der Sender für diesen Beitrag geworben. Von internationalen Warnungen hatte er sich nicht beeindrucken lassen, im Gegenteil: Sie heizten die Aufregung nur noch mehr an. Auch der Umstand, dass das FBI den Gesprächspartner auf seine Liste der meist gesuchten Verbrecher gesetzt und eine Belohnung von fünf Millionen Dollar auf ihn ausgesetzt hatte, steigerte die Aufregung um den angekündigten Beitrag nur. Und so saßen, als Al Jazeera im Juni 1999 ein Interview mit Al-Kaida-Chef Osama Bin Laden ausstrahlte, Millionen Araber vor dem Fernseher, um zu hören, was der Top-Terrorist zu sagen hatte.

Einschaltquoten, Schlagzeilen, Kontroversen: Das ist das Konzept von Al Jazeera. Sein Ziel, damals und heute: nicht nur möglichst viele Zuschauer zu erreichen, sondern bei ihnen für den politischen Kurs Katars zu werben. Dazu gehören neue journalistische Formate und kalkulierte Skandale, wie das Interview mit Bin Laden.

Der Terrorist war zwar zuvor bereits von einigen TV-Stationen interviewt worden, noch nie aber von einem arabischen Sender. Entsprechend groß war die Empörung in Teilen der arabischen Welt. Vor allem in den Golfstaaten, und dort wiederum vor allem in Saudi-Arabien. Wiederholt hatte der Terrorist die Königsfamilie kritisiert und mit Anschlägen im Land gedroht. In dem Interview rief er zum internationalen Dschihad auf.

"Most Wanted": der getötete Al-Kaida-Führer Osama Bin LadenBild: picture-alliance/dpa

"Gift auf dem Silbertablett"

Dass der Sender eines benachbarten Staates, Katar, nun ein Interview mit Bin Laden ausstrahlte, war für die Herrscherfamilie unverzeihlich. Kurz nach der Ausstrahlung äußerte sich der damalige Kronprinz Naif ibn Abd al-Aziz öffentlich über Al Jazeera. Der Sender, erklärte er, sei ein herausragendes Produkt von höchster Qualität. "Aber er präsentiert Gift auf einem Silbertablett."

Schon vor dem Interview habe Saudi-Arabien Al Jazeera die Arbeit nicht leicht gemacht, schreibt der Arabist und Journalist Hugh Miles in seinem Buch über den Sender. "Doch nachdem er die Sendung mit Bin Laden ausgestrahlt hatte, entschieden die Saudis, ihn auf jede nur denkbare Weise zu behindern."

Unterschiedliche Haltungen zum Publikum

Der Streit um Bin Laden hatte konkrete Hintergründe: Saudi-Arabien sah in dem Terroristen eine Bedrohung seiner nationalen Sicherheit. Doch die Spannungen mit Katar und dem der dortigen Regierung nahestehenden Sender, die jetzt in der Forderung nach dessen Abschaltung mündeten, gingen und gehen weit über unmittelbare Sicherheitsfragen hinaus.

Im Kern, schreibt der Politikwissenschaftler Shibley Telhami, auch er Autor eines Buches über Al Jazeera, betreffen sie die Frage, welches Verhältnis große Sender zu ihren Zuschauern haben sollten. Saudi-Arabien, so beschreibt es Telhami, pflege ein paternalistisches Verhältnis zum Publikum. Katar hingegen gebe den Zuschauern die Möglichkeit, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Einzige Ausnahme von dieser Regel sei Katar selbst. Über das Emirat, in dem es beheimatet ist, berichtet Al Jazeera niemals kritisch.

Neue journalistische Maßstäbe

In allem anderen aber habe Al Jazeera in der arabischen Medienwelt neue Maßstäbe gesetzt. Der Sender übertrug als erstes arabisches Medium überhaupt Sitzungen aus der israelischen Knesset; seine Reporter berichteten nach den Anschlägen vom 11. September 2001 live aus Afghanistan, wo die USA Bin Laden jagten; sie informierten ihre Zuschauer in aller Ausführlichkeit über die US-Invasion 2003 in den Irak; und regelmäßig gingen sie in den Gaza-Streifen, wenn Israel und die palästinensische Hamas sich dort bekämpften. Kurzum: Sie muteten ihm einiges zu - und trauten ihm zugleich auch Einiges zu.

Zugleich führte Al Jazeera politische Talkshows ganz neuer Art ein. Schonungslos befragten die Journalisten arabische Politiker, in einer Direktheit, wie man es aus den arabischen Medien bislang nicht kannte. Außerdem stellten sich in der arabischen Welt ebenso prominente wie umstrittene Prediger, wie etwa Yusuf Al-Qaradawi, ein geistlicher Führer der Muslimbrüder, live den Fragen der Zuschauer. Auch dies war neu in der arabischen Welt.

US-Invasion in den Irak: AL-Dschasira berichtete live und ausführlichBild: picture-alliance/AP Photo

Medien als Spiegel des Publikums

Phänomene wie diese, schreibt Telhami, standen um die Jahrtausendwende für ein ganz neues Verhältnis zwischen Journalisten und Publikum. Eben diesem verdankten Al Jazeera und seinem Beispiel folgende TV-Stationen ihren Erfolg: "Es scheint klar, dass die populären arabischen Sender vor allem darum Erfolg hatten, weil sie die Herzen und Köpfe ihres Publikum spiegelten - und nicht, weil sie sie versuchten, diese zu formen."

Allerdings verfolgt Katar gerade mit seinem offenen und pluralistischen Programm ein durchaus eigennütziges Ziel: Das Emirat will sich zum einen aus der Schusslinie nehmen und zum anderen das Publikum in der arabischen Welt von seinem Standpunkt überzeugen. Anlass dazu hat es: In Katar befindet sich etwa eine riesige US-amerikanische Luftbasis. Ebenfalls hat sich das Emirat bereits frühzeitig für eine Normalisierung des Verhältnisses zu Israel ausgesprochen. Beides kommt in Teilen der arabischen Welt nicht gut an. Indem Al Jazeera mit einem Programm aufwartet, das dem Geschmack und den Interessen seines Publikums entspricht, kann es diesem so auch die Politik des Emirats nahebringen.

Al Jazeera hofft auf Unterstützung

Diese unterscheidet sich von denen seiner Nachbarstaaten, allen voran Saudi-Arabien und seinen Verbündeten teils erheblich. Die teils sogar konträren politischen Vorstellungen kollidierten im Jahr 2001, während der arabischen Proteste: Während Katar mit seinem Sender Al Jazeera ausführlich über sie berichtete - und dadurch vielleicht sogar förderte -, empfanden Saudi-Arabien und seine Alliierten sie als Gefahr der politischen Ordnung. Diese Differenzen fließen nun in der Forderung zusammen, Al Jazeera zu schließen.

Die Vorwürfe, der Sender sei parteiisch, wirft Giles Trendle, Direktor des englischsprachigen Programms des Senders, im Gespräch mit der DW zurück. "Wir sind keiner Gruppe, Ideologie oder Regierung verpflichtet. Wir bieten eine Vielzahl Standpunkte. Darum würden die Journalisten von Al Jazeera auch weitermachen, erklärt er. "Wir hoffen aber, dass andere Medienunternehmen unseren Aufruf zur Verteidigung der Medienfreiheit unterstützen."

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika