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"Iraker fangen an, Demokratie zu begreifen"

Sertan Sanderson / ag16. August 2015

Was fühlt ein irakischer Journalist angesichts vieler schlechter Nachrichten aus seinem Land? Für DW-Mitarbeiter Abbas al-Khashali ist der Irak heute besser dran als unter Saddam Hussein, egal was die Medien berichten.

DW-Mitarbeiter Abbas al-Khashali (Foto: DW)
Bild: DW/S. Sanderson

Deutsche Welle: Wie haben all diese Jahre des Konflikts im Irak Ihr Leben beeinflusst?

Abbas al-Khashali: Ich lebe seit mittlerweile 15 Jahren in Deutschland. Wenn man die Ereignisse im Irak von hier aus beobachtet, ist das anders, als wenn man selbst dort wäre. Aber ich stehe in Kontakt zu meinen Freunden und meiner Familie dort und versuche dementsprechend, die Lage zu analysieren.

Meine Familie lebt über das ganze Land verstreut. Die Lage ist je nach Ort anders. Manchmal höre ich von einem Angriff und versuche herauszufinden, ob vielleicht jemand betroffen sein könnte, den ich kenne. Ich spreche laufend am Telefon mit meiner Familie, deshalb weiß ich, was dort passiert – manchmal sogar eher, als es in den Nachrichten berichtet wird. Ob ich nun bei der Arbeit bin oder mich mit meiner Familie unterhalte, ich habe immer den Irak im Kopf. Ich mache mir viele Sorgen.

Berichten irakische und internationale Medien unterschiedlich über den Irak?

Das ist eigentlich gleich. Es ist so wie überall, jeder verfolgt bestimmte Ziele. Deshalb glaube ich den Medien nicht mehr alles. Für mich ist der einzige Unterschied zwischen irakischen und europäischen Medien, dass ich die Themenauswahl hier zuweilen banal oder sogar witzig finde. Man kann die Situation im Irak nicht mit einer europäischen Demokratie vergleichen. Die sozialen Probleme hier sind so klein verglichen mit denen im Irak.

Was denken Sie über diese Unterschiede?

Ich kann nichts tun für die Menschen im Irak. Doch wenn ich die Nachrichten von dort mit denen von hier vergleiche, dann möchte ich mehr für die Iraker tun können. Aber als Journalist kann ich nur anderen Menschen die Augen öffnen und ihnen verständlich machen, was dort passiert.

Wie hat sich die Lage im Laufe der Jahre verändert? Sehen Sie Fortschritte?

Vor 2003 hatten wir die Diktatur unter Saddam Hussein. Jetzt haben wir Demokratie. Aber es gibt keine Kultur der Demokratie unter den Irakern. Man kann Demokratie nicht einfach importieren, schon gar nicht in ein Land wie Irak. Deshalb sehen wir nun Chaos. Es ist noch viel zu tun. Doch der Irak ist besser dran als unter Saddam Hussein.

Sie sagen, es sei noch viel zu tun. Für wen gilt das?

Die Politiker im Irak müssen sich viel mehr anstrengen, aber auch die einfachen Menschen müssen das. Viele Politiker sind korrupt. Das muss sich ändern, und die Menschen dürfen das nicht länger hinnehmen. Die gute Nachricht ist, dass die Iraker anfangen, aus Protest auf die Straße zu gehen. Sie sagen: 'Wir können euch von der Macht verdrängen'. Das war unter Saddam Hussein undenkbar. Sie wären dafür getötet worden.

Was erwarten Sie für die Zukunft des Irak?

Es gibt Gerede über eine Aufspaltung des Irak in drei oder vier Teile, um die widerstreitenden ethnischen Gruppen zu trennen. Ich halte das für keine gute Idee. Es gibt viel, was die Iraker verbindet – mehr als uns trennt. Aber unsere Nachbarn wie Iran und Saudi-Arabien sehen das anders. Sie wollen eine Aufspaltung.

Die meisten Menschen sind dankbar für die neu gewonnenen Freiheiten. Die Schiiten sind zufrieden, die Kurden sind zufrieden. Zusammen stellen sie schon Dreiviertel der Bevölkerung. Die Iraker müssen sich zusammensetzen und über ihre Zukunft reden.

Gibt es eine Grundlage, auf der die Iraker tatsächlich zusammenkommen und ihre Unterschiede beiseite lassen können?

Die meisten Unterschiede sind meiner Meinung nach künstlich erzeugt. Politiker benutzen sie als Vorwand, um Macht zu erlangen - sowohl im Irak, als auch anderswo.

Wie das?

Nach dem US-Abzug gab es ein Machtvakuum. Jeder versucht hastig, dieses Vakuum zu füllen: korrupte Politiker, der "Islamische Staat", wer auch immer. Die USA hatten keinen Erfolg damit, einen neuen Irak zu erschaffen. Sie haben alles halbfertig zurückgelassen. Ich sehe allerdings keinen Grund, warum wir die Trennlinien nicht überwinden sollten.

Sie sprachen vom selbst ernannten "Islamischen Staat" (IS). Wie groß ist die Bedrohung durch ihn?

Der IS ist eine Art Witz. Er wird in sechs bis zwölf Monaten wieder verschwinden. Es gibt ausreichend internationalen politischen Willen, ihn zu zerschlagen. Der IS macht deutlich, was passiert, wenn ein Land ohne klares Ziel dahintreibt. Das sind nur eine Handvoll Leute, die die schlimmsten Phasen der islamischen Geschichte wiederholen wollen. Sobald ihm Geld, Waffen und Unterstützung ausgehen, wird es den IS nicht mehr geben. Das zeichnet sich bereits ab.

Sehen sie trotz all der schlechten Nachrichten den Irak als ihre Heimat an?

Es gibt nicht nur schlechte Nachrichten. Es gibt auch viel Positives im Irak. Die Menschen fangen an zu begreifen, was Demokratie heißt. Sie demonstrieren auf der Straße. Das ist großartig. Die Menschen verändern sich, und sie wollen, dass sich das Land verändert. Das macht mich hoffnungsvoll und stolz. Ich weiß aber nicht, ob das heißt, dass der Irak noch immer meine Heimat ist. Meine Heimat ist da, wo ich mich sicher und wohl fühle. Wenn man aus solch einer Lage kommt, nimmt man seine Heimat mit, wohin man auch geht.

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