1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Alarmsignale vom deutschen Schiffsbau

10. Mai 2021

Keine Branche ist von der Pandemie so getroffen wie die Kreuzfahrt-Touristik. Und keine Branche ist von der Kreuzfahrerei so abhängig wie der deutsche Schiffsbau. Die Hersteller navigieren in gefährlichen Gewässern.

Deutschland Überführung Kreuzfahrtschiff in die Nordsee
Bild: picture-alliance/dpa/I. Wagner

"Allein auf den Werften sind seit Beginn der Pandemie mehr als 1.000 Arbeitsplätze verloren gegangen", bilanziert Gewerkschaftsmann Daniel Friedrich. Weitere 5.600 der rund 18.000 Jobs seien derzeit akut bedroht, sagt der Bezirksleiter der IG Metall an der deutschen Küste.

Tausend Jobs, das klingt vielleicht nicht gerade gigantisch - allerdings rechnen Experten anders: Zwei Drittel der deutschen Exporte würden über den Seeweg transportiert und wichtige Rohstoffe für die großen deutschen Schlüsselindustrien fast ausschließlich über den Wasserweg beschafft, rechnet Norbert Aust von den Industrie- und Handelskammern im Norden vor. Daran hingen rund 400.000 direkt und indirekt abhängige Arbeitsplätze und geschätzte 50 Milliarden Euro jährlicher Wertschöpfung.

Wichtigstes Produkt: Ein Kreuzfahrtschiff verlässt die Meyer Werft in Papenburg (Archivbild) Bild: picture-alliance/dpa/M. Assanimoghaddam

Es sind aber nicht nur Arbeitsplätze und andere Jobs, die an ihnen hängen. Existenzielle Sorgen der deutschen Werften zeigen: Eine Jahrhunderte alte Schiffbautradition im Land scheint in Gefahr.

Kein Wunder, dass rund tausend Teilnehmer bei der zweitägigen Nationalen Maritimen Konferenz erwartet wurden, die am Montag in Rostock begann - einschließlich der Bundeskanzlerin und ihres Wirtschaftsministers. Allerdings weitgehend digital - auch das eine Corona-Folge.

Gefahr für eine Traditionsbranche

Zwischen Emden im Westen und Wolgast im Osten gab es 2019 noch 60 größere Werften am deutschen Küstenstreifen. Jetzt sendet eine Werft nach der anderen Alarmsignale aus. Bei Meyer in Papenburg, dem größten deutschen Schiffbauer, stehen von 4.500 Arbeitsplätzen mindestens 650 auf der Kippe. Das Unternehmen verzeichnete im Jahr 2020 einen Verlust von 70 Millionen Euro.

Auf der Lloyd-Werft in Bremerhaven war gerade eine neue Luxusjacht enthüllt worden, 139 Meter lang, da verkündete die Geschäftsführung: Einstellung des Betriebs zum Jahresende. Aufträge fehlen, 300 Beschäftigte bangen um ihre Arbeit.

Die Not der Lloyd-Werft hängt mit Pandemie-Problemen ihres Eigners zusammen: Dem Tourismus- und Glücksspielkonzern Genting mit Sitz in Hongkong fehlen Einnahmen. Er betreibt auch die MV Werften in Wismar, Warnemünde und Stralsund. Wegen der Corona-Pandemie blieb unter anderem der Bau zweier Kreuzfahrtriesen für bis zu 10.000 Passagiere stecken.

Marineschiffe für Saudi Arabien, gebaut in Norddeutschland von der Lürssen-Werftengruppe Bild: dpa/picture alliance

In Kiel trennt sich die Marinewerft German Naval Yards von 134 ihrer rund 500 Mitarbeiter. Immerhin steht die Werftengruppe Lürssen aus Bremen mit ihren Standbeinen Megajachten und Marine ziemlich stabil da. Beim größten Auftrag aber, den die deutsche Marine je vergeben hat, ist sie nur noch Juniorpartner.

Neue Aufträge fehlen

Es sieht dramatisch aus in den Orderbüchern der deutschen Werften: "Während sich die Auftragseingänge bei deutschen Seeschiffswerften in den letzten fünf Jahren vor der Pandemie im Durchschnitt pro Jahr noch auf 4,3 Milliarden Euro beliefen, fiel der Wert der Neubestellungen 2020 um 80 Prozent auf geringe 0,9 Milliarden Euro", berichtet der Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM). "Die Pandemie zeigt, wie viel Substanz im deutschen Schiffbau in den vergangenen Jahren abseits der erfolgreichen Entwicklung bei Kreuzfahrtschiffen, großen Jachten und Behördenschiffen verloren ging."

Gerettet hat den deutschen Schiffbau bisher die technisch anspruchsvolle Fertigung von Kreuzfahrtschiffen. Aber die Kreuzfahrtbranche ist zum Stillstand gekommen und braucht keine neuen Schiffe.

Bei der Papenburger Meyer Werft heißt es, Arbeit sei noch bis 2025 da, neue Aufträge aber fehlten. Die Werft gibt es seit 225 Jahren. Jetzt stellt sich Firmenchef Bernard Meyer die "Frage, ob in Deutschland und Europa in zehn Jahren überhaupt noch zivile Schiffbauindustrie in nennenswertem Umfang bestehen kann".

Schiffe aus Deutschland und Europa sind global betrachtet längst nur noch ein zwar technologisch ausgefeiltes, aber auch teures Nischenprodukt. Zwar habe Europa den größten maritimen Binnenmarkt der Welt, 40 Prozent der Schiffbauaufträge stammten von europäischen Reedern, sagt Reinhard Lüken vom VSM. Aber 95 Prozent der Order europäischer Reeder gingen an Werften außerhalb der EU, und das meiste davon nach China.

Aufbau oder Abbau? In der Meyer Werft in PapenburgBild: picture-alliance /Lars-Josef Klemmer

Seit den 80er Jahren haben die Schiffbauer immer mehr Marktanteile in den Fernen Osten abgeben müssen, zunächst nach Japan, dann auch nach Südkorea - und seit Anfang dieses Jahrhunderts verstärkt in Richtung China. Damit ist die Fertigung von großen, später auch kleineren Containerschiffen fast komplett abgewandert.

"Strategisches Handeln Chinas"

"Deswegen ist schon die Frage, wird China in den nächsten Jahren versuchen, sich auch in den Kreuzfahrtmarkt einzubringen, wie sie es ja eben erfolgreich bei den Fähren gemacht haben?", so Werftbesitzer Meyer. In der momentanen Corona-Krise profitieren die Chinesen nach Angaben des Branchenverbands VSM als einzige unterm Strich von Aufträgen: Während das globale Auftragsvolumen 2020 um 12 Prozent geschrumpft sei, betrage das Minus in Europa 64 Prozent. China hingegen habe um 15 Prozent zugelegt.

Man rede nicht über Protektionismus, sagt VSM-Mann Lüken, "wir reden über Herstellung des Wettbewerbs", denn den gebe es zurzeit nicht. "Als deutscher Mittelständler können Sie gegen strategisches Handeln des chinesischen Staates nicht ankommen", mahnt sein Verbandschef Harald Fassmer. Und bei den aktuell geltenden Rahmenbedingungen  "droht der irreversible Verlust essenzieller Schiffbaufähigkeiten".

ar/bea (dpa, VSM, Archiv)

 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen