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Politik

Albanien: Das europäische Cannabis-Paradies

2. Januar 2017

Albanien hat sich zu einem zentralen Cannabis-Anbaugebiet entwickelt. Die Polizei wirkt machtlos. Verliert das Balkan-Land den Kampf gegen den Drogenanbau? Eine Reportage von Lindita Arapi.

Albanien Cannabisanbau
In dieser ehemaligen Hühnerfarm wurden mehr als vier Tonnen Cannabis gereinigt, getrocknet und verpackt Bild: DW/L. Arapi

Ein holpriger Weg mit Pfützen vom letzten Regen führt zu einer Barackenreihe in der Nähe der nordalbanischen Stadt Rrëshen. Es beginnt zu dämmern. Die beiden Frauen brauchen den Schutz der Dunkelheit zum Reden. Zu groß ist ihre Angst, nachdem die Polizei vor wenigen Wochen das sogenannte Drogenlabor, in dem sie arbeiteten, ausgehoben hat. 4,2 Tonnen Cannabis wurden dort in einer ehemaligen Hühnerfarm gereinigt, getrocknet und verpackt.

Mira und Rita (Namen von der Redaktion geändert) waren arbeitslos, bevor sie begannen, im Lager für rund zehn Euro am Tag zu arbeiten. "Ob Sie mir glauben oder nicht - wir waren dort für das tägliche Brot unserer Kinder", erzählt Mira, eine 50-jährige Frau mit sehr kurz geschnittenen Haaren. Sie ist wütend. Wütend auf die Regierung, die sie in Armut leben lässt, auf die Polizisten, "die selber viel mehr als wir verdienen", wütend auf die Drogenbosse: "Uns wurde gesagt, dass es Salbei ist." Sie schwört, dass sie anfangs nicht wusste, dass dort Cannabis bearbeitet wurde.

"Ich wusste nichts"

Die Baracken der ehemaligen Cannabis-Arbeiterinnen Mira und Rita Bild: DW/L. Arapi

Rita, eine junge Frau mit grell blondierten Haaren, erzählt, dass ihr Mann im Gefängnis sitzt. Sie zeigt auf ihre fünfjährige Tochter und sagt, dass sie sich sehr gefreut habe, endlich eine Arbeit zu finden. "Ich wusste nichts, bis ich die Polizei drinnen sah", beteuert auch sie.

Selbst wenn man daran zweifelt, ob die beiden Frauen tatsächlich nichts von den Drogen wussten - die Freude über die neue Arbeit glaubt man ihnen sofort. Ein Blick in die Richtung der Baracken genügt. Drinnen tropft es vom Dach, eine Heizung gibt es nicht, draußen häuft sich der Müll.

Trotz großer Versprechen ist es der albanischen Regierung unter Premierminister Edi Rama nicht gelungen, die Armut im Land wesentlich zu verringern. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Sozialhilfe sehr niedrig - nur 75 Euro im Monat pro Familie. Ist das der Grund, warum viele albanische Bauern und Arbeitslose bereit sind, Cannabis anzubauen? "Tausende Albaner haben keine Alternative, weil soziale und wirtschaftliche Maßnahmen der Regierung, um die ländlichen Regionen zu unterstützen, fehlen", sagt der Vorsitzende der oppositionellen Demokratischen Partei, Lulzim Basha. "Die Menschen stehen vor der Wahl, entweder kein Brot für ihre Kinder zu haben - oder im Drogenanbau zu arbeiten. Viele haben sich für die zweite Option entschieden." 

2016 als Jahr des Cannabis

Für die Drogenbosse scheint es ein leichtes Spiel zu sein, Arbeiter zum Anbauen, Trocknen und Verpacken von Cannabis zu finden. Das Geschäft lohnt sich nicht nur für die einfachen Helfer. Nach Recherchen der Deutschen Welle bekommt ein Cannabisbauer, wenn er es "schafft" - also den Polizeikontrollen entgeht - circa 200 Euro für ein Kilogramm Cannabis. Dieses wird oft auf "wilden" Grundstücken gepflanzt, auch in schwer zugänglichen Gebieten. Manche Cannabisbauern haben sogar Bewässerungssysteme entwickelt - und schützen ihre Felder mit Waffen.

Oppositionspolitiker Lulzim Basha im Gespräch mit DW-Redakteurin Lindita Arapi Bild: DW/L. Arapi

Albanien hatte zwar schon früher Schwierigkeiten im Kampf gegen den Cannabisanbau, aber 2016 könnte als das Jahr des Cannabis bezeichnet werden: Nach Angaben der albanischen Polizei wurden mehr als 2,5 Millionen Cannabispflanzen zerstört und 5.204 Felder identifiziert. Neu ist die geografische Verbreitung im ganzen Land. Die Drogenbosse haben ihre Strategie geändert, meint der albanische Politik-Analyst Alexander Çipa: "Je mehr die Polizei zerstört hat, desto mehr Cannabis wurde 2016 angebaut. Diese massive Verbreitung hilft den Drogenbossen, viele Cannabisfelder zu retten."

Die Opposition wirft der Regierung vor, der Cannabisanbau floriere wegen einer Allianz zwischen manchen Regierungsstellen und der organisierten Kriminalität: "Es gibt keinen Albaner, der heute glaubt, dass all das ohne eine Verwicklung bestimmter Segmente der Polizei und der Politik geschehen könnte", betont Basha.

Elvis Nabolli, Chefredakteur des Fernsehsenders "Rozafa" in Shkodra, der vor kurzem mit dem Preis für investigativen Journalismus der Plattform BIRN ausgezeichnet wurde, hat sich lange mit dem Cannabisanbau in Albanien beschäftigt. Das Drogengeschäft sei für die einfachen Bauern gefährlich - aber nicht für die Bosse, gibt er zu bedenken: "Diese Industrie wird von mächtigen Personen kontrolliert, die mächtige Verbindungen zu staatlichen Behörden haben, angefangen von den einfachen Polizisten bis zu anderen höheren Gliedern der Kette. Ja, es stimmt, die Polizei zerstört viele Cannabisfelder. Doch jene Felder, die unter einem besonderen Schutz stehen, bleiben unberührt."

"Albanien wird zum Kolumbien Europas"

Altin Qato, Direktor für den Bereich Sicherheit bei der Polizei, will die dunklen Schatten, die immer wieder auf die albanische Polizei fallen, nicht auf sich ruhen lassen. "Die Polizei arbeitet in einem schwierigen Umfeld. Ja, es gibt vereinzelt Fälle von Verwicklungen bei der Polizei, aber das ist kein allgemeines Phänomen. Bei 9000 Einsatzkräften haben wir 2016 nur 40 Fälle von Mithilfe beim Drogenanbau und -handel identifiziert. Acht Polizisten sind verhaftet worden", sagt er der DW.

Journalist Nabolli: "Cannabisanbau ist für die einfachen Bauern gefährlich - nicht für die Drogenbosse" Bild: privat

Inzwischen hat der Winter auch das Balkan-Land Albanien erreicht. Die Medien berichten weniger über zerstörte Cannabisfelder - dafür aber täglich über die Beschlagnahmung von Drogen. Die Ernte muss anscheinend den Weg über die Adria nach Italien und über Schleichwege nach Montenegro, Serbien und weiter nach Westeuropa finden. Die albanische Opposition schlägt Alarm: Das Land werde zum "Kolumbien Europas".

Rita und Mira interessieren sich kaum für diese Warnungen der Opposition. Für sie und viele andere Menschen in Albanien geht es einfach ums Überleben: "Wenn wir wieder die Chance hätten, so eine Arbeit zu machen, würden wir es wieder tun", sagen sie. Beim ersten Mal ließ die Polizei sie frei, weil sie angeblich "nichts wussten". Was würden sie beim zweiten Mal erzählen?

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