Ausgerechnet 'grüne' Wasserkraftwerke bedrohen die naturnahe Vjosa im Süden Albaniens. Umweltschützer fürchten um die Artenvielfalt - und gleichzeitig um die Lebensweise tausender Menschen dort.
Bild: DW/A. Ruci
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Am Flussufer der Vjosa erklingt eine ganz eigene Melodie: friedlich und gleichzeitig chaotisch. Über dem Grollen des Wassers ertönt das Bimmeln von Ziegenglöckchen. Und es gibt jede Menge Geblöke - nicht nur von den Tieren selbst, sondern auch vom Schäfer Kadri. "Er versucht, sie zum Singen zu bringen!" sagt Eduart lachend, ein anderer Schäfer, der seine Ziegen hier jeden Tag zum Trinken hinbringt.
Solange sich die Bewohner des Flusstals erinnern können, hat der Wind diese beruhigende Katzenmusik von einem Flussufer ans andere getragen. Kadri und Eduart sind in Kutë geboren, ein jahrhundertealtes Dörfchen, eingebettet in die Hügel des Vjosa-Tals. Die meisten Bewohner von Kutë und anderen Dörfern hier sind Bauern, die von ihren Ernten und ihrem Vieh leben und den Mehrertrag verkaufen. Aber diese uralte Lebensweise könnte schon bald vorbei sein.
Die Vjosa von oben. Im Vordergrund entsteht der Kalivac-Damm.Bild: Ulrich Eichelmann/Riverwatch
Flamingos und Aale
Zwei große Wasserkraftanlagen sollen in den nahegelegenen Städten Kalivaç und Poçem gebaut werden. Dann würden Staudämme hunderte Hektar fruchtbares Land mit Wasser fluten. Hunderte Familien würden gezwungen sein, ihr Zuhause zu verlassen. "Ich habe Angst", gesteht Kadri der DW. "Ich kann nichts anderes außer Ziegenhüten. Der Staudamm wird unser aller Leben verändern."
Das Projekt würde auch das letzte große freifließende Flusssystem in Europa außerhalb der Arktis zerstören. Die Vjosa ist etwa 270 Kilometer lang. Sie verläuft von den Bergen im nördlichen Griechenland über das satte Flachland im Süden Albaniens in das Ionische Meer. Die Gegend ist gesprenkelt mit Schluchten, Inseln und Altwasserarmen. All das gab ihr den Spitznamen "das blaue Herz Europas".
Die Vjosa ist nicht nur eine unverzichtbare Wasserquelle für die Landwirtschaft, sondern auch ein Hotspot der Artenvielfalt: Dort leben die bedrohten Europäischen Aale und Rosa Flamingos. Wissenschaftler glauben, dass der Fluss auch noch andere endemische Arten beherbergen könnte. Bisher gab es niemals eine großangelegte Studie - wenn der Staudamm tatsächlich gebaut wird, wird den Wissenschaftlern die Gelegenheit, diesen einzigartigen Lebensraum zu untersuchen, für immer verwehrt bleiben.
Der Rosaflamingo ist die größte Flamingoart und wird bis zu 140 Zentimeter großBild: picture-alliance/blickwinkel/M. Woike
Die Umweltschutzgruppe EcoAlbania hadert mit gleich 45 Wasserkraftwerken, die entlang der Vjosa geplant sind: Sie würden Flussabschnitte in Staustufen verwandeln, Ökosysteme zerstören und tausende Menschen in den Exodus zwingen. Viele dieser Projekte datieren zurück auf das vorige Jahrzehnt - damals wurde eine ganze Reihe an Konzessionen für kleine Wasserkraftanlagen vergeben, teilweise als Antwort auf die Forderung der EU nach mehr erneuerbarer Energie.
Laut Pippa Gallop von Bankwatch war das damals "eine günstige Gelegenheit für schmutzige Deals, Spekulationen und Vetternwirtschaft. Die ansässige Elite hat diese Chance erkannt." Denn Einspeisetarife gäben kleinen Wasserkraftwerken die Garantie, Gewinn zu erwirtschaften.
Albanien und Bosnien-Herzegowina vergaben zwischen 2006 und 2009 besonders viele Konzessionen. Diese Region leidet unter Korruption. Die EU hat ihre Regeln für die finanzielle Unterstützung von erneuerbarer Energie inzwischen verbessert, aber der westliche Balkan hinkt noch hinterher, was diese Reform angeht. Bei dem Versuch, den Anteil der Erneuerbaren in ihrem Portfolio zu steigern und damit "grünen" Einsatz zu beweisen, haben viele westeuropäische Fonds - auch internationale Entwicklungsbanken - dieses Hinterherhinken zu ihrem Vorteil genutzt.
Laut Olsi Nika, Geschäftsführer von EcoAlbania, nehmen es reichere europäische Länder mit den Umweltstandards nicht so genau, wenn es um Länder geht, "die schwache Rechtsstrukturen, niedrige Demokratieniveaus und viel Korruption haben."
Menschen kämpfen für die Erhaltung ihres Flusses - und ihrer LebensweiseBild: DW/A. Ruci
Historischer Rechtsstreit
Wasserkraft wird als kostengünstige Alternative zu Solar- und Windenergie angepriesen. Aber die Umweltschäden seien in diese Rechnung nicht mit einbezogen, sagt Nika. "Wasserkraft ist erneuerbar, aber eben nicht grün", sagt er der DW. "So wie sie gewonnen wird - vor allem im Balkan - ist sie definitiv nicht umweltfreundlich."
Zivilschutzverbände hatten zumindest etwas Erfolg im Kampf gegen die Wasserkraftwerke in den Naturschutzgebieten: Im Mai beschloss ein Gericht, dass das das Wasserkraftwerk in Poçem nicht gebaut werden darf. Es war Albaniens erster Öko-Rechtsstreit.
Allerdings: Der Kampf ist noch lange nicht vorbei. Das Energieministerium legte gegen die Entscheidung Einspruch ein. Und nur ein paar Wochen später eröffnete es eine Ausschreibung für neue Investoren. Es geht dabei um den zweiten geplanten Staudamm: in Kalivaç.
Afrikas leistungsstärkste Staudämme
Nil, Kongo, Niger: Afrikas längste Flüsse bergen großes Potenzial für die Energiegewinnung. Die Regierungen haben das erkannt und setzten immer wieder auf Megaprojekte. Ein Überblick über die größten Wasserkraftwerke.
Bild: William Lloyd-George/AFP/Getty Images
Der Grand Renaissance Dam in Äthiopien
Im Südwesten Äthiopiens soll Afrikas leistungsstärkster Staudamm entstehen. Die Bauarbeiten am Grand Renaissance Dam begannen 2011, in diesem Jahr soll er fertiggestellt werden. Der Staudamm liegt nahe der sudanesischen Grenze am Blauen Nil und hat eine Leistung von 6000 Megawatt - unerreicht in Afrika. Der Stausee wird mit 63 Kubikkilometer Stauvermögen einer der größten des Kontinents sein.
Bild: William Lloyd-George/AFP/Getty Images
Der Assuan-Staudamm, Ägypten
Der Assuan-Staudamm, im Arabischen es-Sadd el-Ali, liegt nahe der gleichnamigen Stadt im südlichen Ägypten. Der See Nasser hinter dem Damm fasst bis zu 169 Kubikkilometer Wasser. Sein größter Zufluss ist der Nil. Die Turbinen haben eine Leistung von 2100 MW. Es dauerte elf Jahre, ihn zu bauen. Eröffnet wurde er 1971.
Eine der größten Talsperren der Welt befindet sich in Mosambik. Die Cahora-Bassa-Talsperre hat eine Leistung von 2075 Megawatt und liegt damit knapp hinter dem Assuan-Staudamm. Der Großteil des erzeugten Stroms wird nach Südafrika exportiert. Allerdings verhinderten Sabotageakte während des Bürgerkriegs ab 1981 die Stromproduktion mehr als zehn Jahre lang.
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Der Gibe-III-Staudamm in Äthiopien
350 Kilometer südwestlich von Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba wurde vergangenes Jahr ein weiteres Mega-Projekt fertiggestellt. Der Gibe-III-Damm kann maximal 1870 Megawatt generieren und ist somit der drittgrößte Staudamm in Afrika. Der Bau dauerte fast neun Jahre und wurde zu 60 Prozent von der chinesischen Exim-Bank finanziert.
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Der Roseires-Staudamm im Sudan
Am Blauen Nil im Sudan gelegen, ist der Roseires-Staudamm ein weiterer großer Energieerzeuger Afrikas. Durch die Aufstockung der Krone des Damms um zehn Meter, die 2013 fertig gestellt wurde, wurde auch die Leistung des Staudammes auf 1800 Megawatt erhöht. Das war nötig, weil sich das Volumen des Stausees aufgrund von Sedimentation um fast ein Viertel verringert hatte.
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Die Inga-Staudämme in der DR Kongo
Die Inga-Staudämme bestehen aus zwei einzelnen Dämmen: Inga I kann 351 MW und Inga II 1424 MW produzieren. In Auftrag gegeben wurden sie 1972 und 1982 als Teil des industriellen Entwicklungsplans des Diktators Mobutu Sese Seko. Der Plan ging nicht auf: Da sich Kongos Elite lieber selbst bereicherte und Wartungen ausblieben, erbringen die Dämme momentan nur noch 50 Prozent ihrer möglichen Leistung.
Bild: picture-alliance/dpa
Die Inga-Staudämme in der DR Kongo
Die zwei Dämme liegen nahe der Mündung des Kongo-Flusses und sind mit einem der größten Wasserfälle der Welt verbunden, den Inga-Fällen. Die kongolesische Regierung plant bereits den Start des neuen Projekts, Inga III, das eine 13 Milliarden Euro teure, 4800 MW Wasserkraft-Anlage beinhaltet. Gemeinsam wären die drei Staudämme die leistungsstärkste Wasserkraftanlage Afrikas.
Der Kariba-Staudamm in Simbabwe/ Sambia
Um den See 1961 hinter dem Kariba-Staudamm füllen zu können, mussten 6000 Tiere in der "Operation Noah" eingefangen und umgesiedelt werden, sowie die 57.000 Menschen, die dort am Sambesi lebten. Der Staudamm liegt an der Grenze zwischen Simbabwe und Sambia und versorgt die beiden Länder mit 1320 Megawatt. Der Kariba-Stausee war nach seiner Füllung 1961 immer wieder für Erdbeben verantwortlich.
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Der Merowe-Staudamm im Sudan
Ein weiterer Koloss unter den afrikanischen Staudämmen ist der Merowe-Staudamm, auch Hamdab High Dam genannt, der 2009 in Betrieb ging. Seine Leistung beträgt 1250 Megawatt. Er beliefert den Sudan aber nicht nur mit Strom - bald sollen auch 400 Kilometer lange Kanäle von ihm abgehen, die das Wasser zur landwirtschaftlichen Bewässerung nutzbar machen sollen.
Bild: AP
Der Akosombo-Staudamm in Ghana
Unter den Spitzenreitern findet sich auch der Akosombo-Staudamm. Er staut den Volta-See auf, der mit seiner Fläche von 8502 km² der größte Stausee der Erde ist. Die sechs Turbinen haben zusammen eine Leistung von 912 Megawatt, doch der Damm dient nicht nur zu Erzeugung von Strom, sondern auch als Hochwasserschutz. Der Volta-Stausee hat eine wichtige Bedeutung als Handels- und Verkehrsweg.
Bild: picture-alliance / dpa
Der Kainji-Staudamm in Nigeria
Am Fluss Niger liegt der Kainji-Staudamm. Er hat eine Leistung von insgesamt 760 Megawatt. Der Kainji-Damm ist 65 Meter hoch, 550 Meter lang und erzeugt elektrische Energie. Durch das kontrollierte Ablassen von Wasser wurde ein großer Teil des Flusses beschiffbar. Der Damm dient auch seitdem als Straße über den Niger.
Der Tekeze-Staudamm in Äthiopien
Auch Afrikas elft größte Staudamm liegt in Äthiopien. Der Tekeze-Damm befindet sich zwischen den Regionen Amhara und Tigray. Mit einer Höhe von 188 Meters ist er der höchste Staudamm Afrikas. Trotzdem kann er nur 300 MW generieren und somit nur ein Zwanzigstel der Leistung, die sein großer Bruder, der Grand Renaissance Damm, bringen soll. Bis zu seiner Eröffnung 2009 vergingen sieben Jahre.
Bild: CC/International Rivers
Der Bujagali-Staudamm in Uganda
Der Bujagali-Damm in Uganda liegt in der Nähre des Viktoriasees und kann 250 MW Strom generieren. Seine Kraft bezieht er aus den Bujagali-Fällen. Der Staudamm ist seit 2012 in Betrieb und ist die größte Wasserkraft-Quelle Ugandas. Der Bau zweier neuer Kraftwerke, Karuma und Ayago, könnte dies ändern, würde aber auch die Umsiedlung Tausender Bauern und die Überflutung geschützter Gebiete bedeuten.