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Politik

Albanien: "Die Techniken der Wahlbeeinflussung sind subtil"

7. Mai 2021

In Albanien konnte der Premier Edi Rama die Parlamentswahl durch gezielte Einflussnahme gewinnen, aber auch, weil die Wähler nicht an einen politischen Wandel glauben, sagt die Analystin Johanna Deimel im DW-Interview.

Albanien Wahlen
Anhänger der Sozialisten feiern den Sieg ihrer Partei bei den Parlamentswahlen in AlbanienBild: Hektor Pustina/AP Photo/picture alliance

DW: Der albanische Premier Edi Rama hat bei der Parlamentswahl sein drittes Mandat gewonnen, ein Novum im postkommunistischen Albanien und bemerkenswert angesichts der turbulenten letzten Jahre dort. Wie bewerten Sie diesen Wahlsieg?

Johanna Deimel: Edi Rama hat es in der Tat als erster in Albanien nach 1991 geschafft, für eine dritte Amtszeit gewählt zu werden. Sein Wahlerfolg gibt allerdings viel Stoff für weitergehende Fragen und Analysen. Es hat viele Skandale in letzter Zeit gegeben, Wahlversprechen von 2017, wie ein "kostenloses Gesundheitssystem für alle", wurden nicht erfüllt. Also hätte es durchaus Gründe für die Vermutung gegeben, dass die Bevölkerung einen grundlegenden Wandel möchte, sich neuen politischen Ideen und frischen Kräften zuwenden würde.

Aber das tief gespaltene politische System scheint sehr resistent und die Lagerbildung zwischen Ramas Sozialisten und den oppositionellen Demokraten (PD) ist zu dominant, als dass es auch nach turbulenten Jahren und Ereignissen aufgebrochen werden könnte. Es muss uns zu denken geben, dass laut Umfragen nur 38 Prozent in Albanien glauben, durch Wahlen einen Regierungswechsel herbeiführen zu können.

Warum hat Edi Rama es geschafft, diese Wahl zu gewinnen?

Jedenfalls ist der Wahlerfolg der Sozialisten nicht einer visionären Programmatik geschuldet - da gab es nämlich nichts. Übrigens auch nicht bei den Demokraten. Es war programmatisch ein inhaltsleerer und höchst personalisierter Wahlkampf, der im Wesentlichen mit Diffamierungen gegenüber dem politischen Gegner operierte.

Edi Rama spricht am 27.04.2021 bei einer Wahlkampfveranstaltung in der albanischen Hauptstadt Tirana Bild: Hektor Pustina/AP Photo/picture alliance

Einen wichtigen Anteil am Sieg der Sozialisten hat allerdings die Opposition, die durch ihren Parlamentsboykott und dann den der Lokalwahl 2019 nicht nur ein dysfunktionales Parlament verursachte, sondern sich auch jeglicher Einflussnahme auf lokaler Ebene beraubt hat. Die Demokratische Partei um Lulzim Basha hat sich damit regelrecht ins Aus geschossen und den Sozialisten schlicht die Bühne und die institutionellen wie staatlichen Ressourcen überlassen. So konnte es zum flächendeckenden Wahlsieg Edi Ramas kommen.

Also verdankt er den Sieg im Wesentlichen den Fehlern der Opposition?

Es war sicher auch ein taktischer Fehler, dass die PD wieder mit der drittstärksten Kraft im Lande, der sozialdemokratischen LSI, zusammen antrat, obwohl genau diese Regierungskoalition 2013 ja abgewählt wurde. Und die PD hat sich auch selbst zerlegt zwischen denen, die im Parlament blieben, und denjenigen, die es weiter boykottierten.

Abtrünnige ehemaligen Demokraten haben die PD weiter Stimmen gekostet, ohne dass sie mit ihren neuen Parteien die minimale Ein-Prozent-Hürde hätten überwinden können. Auch sie hätten ihre Kräfte bündeln sollen.

Was muss die Opposition nun tun?

Dass jetzt Stimmen laut werden, die den Rücktritt von Lulzim Basha fordern, ist nur folgerichtig. Die Demokraten müssen sich personell und inhaltlich unbedingt neu aufstellen. Klar war auch, dass viele Wähler mobilisiert werden mussten, um gegebenenfalls für einen Wandel zu stimmen.

Lulzim Basha, Chef der Demokratischen Partei Albaniens, bei einer Pressekonferenz am 25.04.2021Bild: Gent Shkullaku/AFP/Getty Images

Es mag durchaus sein, dass die Wahlergebnisse ohne wirklichen Wandel in der Parteienlandschaft auch darauf zurückzuführen sind, dass rund 1,3 Millionen Albaner außerhalb Albaniens wegen COVID nicht zur Wahl ins Land reisen konnten. Ein Papier des griechischen Think Tanks "Eliamep" zur Wahl in Albanien meinte dazu, dass die Diaspora eine unabhängige kritische Stimme des Wandels sein könnte, weil sie nicht von klientilistischen Netzwerken abhängt, wie ihre Landsleute, und daher in ihrer Wahlentscheidung freier wäre.

Ein Problem nicht nur in Albanien ist das klientilistische System, das die Parteien geschaffen haben. Ist das ein entscheidender Faktor für das Wahlergebnis gewesen?

Politiker wie Edi Rama wurden auf dem Balkan immer wieder gewählt, weil sie - und es sind bisher nur Männer gewesen, wobei ich auf die kosovarische Präsidentin Vjosa Osmani hier ausdrücklich als potentielle Trendwende hinweisen möchte - auf die Wahlen durch Wahlklientelismus Einfluss nahmen.

Ein durchdringendes parteipolitisches Bespitzelungs- und Begünstigungssystem kenne ich aus Gruevski-Zeiten in Mazedonien ebenso, wie es jetzt kurz vor der Wahl in Albanien publik wurde. Die Sozialisten Edi Ramas ließen vor der Wahl von 9.000 Spitzeln Karteikarten über 910.000 Wähler der Region Tiranas anlegen, mit Angaben über ihre Arbeit, ihre Parteipräferenz und wie ihre Stimmabgabe durch Geschenke manipuliert werden könnte. Wer seinen oder ihren Job behalten möchte, wählt entsprechend.

Anhänger der albanischen Demokraten bei einer Wahlkampfveranstaltung in Tirana am 25.03.2021Bild: Gent Shkullaku/AFP

Dass Edi Rama diese Spitzel und deren Datensammlung als normal bezeichnete, zeigt, wie weit er sich vom liberalen Demokratieverständnis entfernt hat, laut dem Wahlen in den Kabinen geheim ablaufen müssen. Das muss ein juristisches Nachspiel haben und darf - auch im EU-Kontext - nicht einfach so hingenommen werden.

Die ODIHR und die EU haben nach der Wahl das Problem des Stimmenkaufs angesprochen. Allerdings wird dieser, sollte er in großem Stil stattgefunden haben, nur schwer nachprüfbar sein. Dazu sind die Techniken der Einflussnahme auf die individuelle Wahlentscheidung zu subtil.

Ist Albanien mit dieser Wahl näher an die EU gerückt?

Mit den Ereignissen rund um die Wahl ist es bestimmt nicht leichter geworden für Albanien, die Kritiker innerhalb der EU zu beruhigen. Insgesamt ist die Stimmung innerhalb der EU nicht unbedingt positiv, was die Erweiterung anbelangt, um es vorsichtig zu formulieren. Da braucht es nicht viel, um auch die mühsam ausgehandelte Zustimmung für den Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen mit Albanien zum Kippen zu bringen.

Und doch ist es unbedingt notwendig, dass die EU-Beitrittsverhandlungen jetzt beginnen. Für die EU-Perspektive müssen Regierung und Opposition zusammenarbeiten. Die Anforderungen an die nächste Amtszeit brauchen Tatkraft, politisch verantwortliches Handeln und Kompromissfähigkeit. Wenigstens wird das Parlament ab September allem Anschein nach wieder in der Normalität ankommen.

Bild: privat

Johanna Deimel ist unabhängige Analystin für Südosteuropa und Mitglied des Präsidiums der deutschen Südosteuropa-Gesellschaft.