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Politik

Albanien: Wahlen im Schatten von Corona

22. April 2021

Mitten in der Pandemie wählen die Albaner an diesem Sonntag ein neues Parlament. Der sozialistische Premier Edi Rama kämpft um ein drittes Mandat, die demokratische Opposition hofft auf eine Wende.

Albanien Wahlkampf |
Anhänger der Sozialisten schwenken albanische Flaggen bei einer Wahlkampfkundgebung am 20.04.2021Bild: Florion Goga/REUTERS

Albanien im Endspurt eines ungewöhnlichen Wahlkampfs: Wegen der Corona-Pandemie sind die üblichen große Versammlungen mit lauten Parolen und dröhnender Musik schlicht ausgefallen. Stattdessen organisieren die Parteien kleinere Treffen mit ihren Wählern. Die großen Inszenierungen finden auf Social-Media-Kanälen statt.

Die an diesem Sonntag anstehenden neunten demokratischen Wahlen seit dem Sturz des stalinistischen Regimes 1989/90 stehen gleichzeitig für ein Jubiläum: Vor 30 Jahren wurden in dem Westbalkanstaat, der bis dahin als "Nordkorea Europas" bekannt war, die ersten pluralistischen Abstimmungen organisiert. Damals nahm das noch von der kommunistischen Diktatur gelähmte und traumatisierte Land seine Rückkehr nach Europa in Angriff. "Wir wollen, dass Albanien wird, wie Europa" - dieser Wunsch sollte in einem Staat ohne Demokratierfahrung Realität werden.

Die deutsche Balkanexpertin Johanna Deimel ist Mitglied im Vorstand der Südosteuropa GesellschaftBild: privat

Tatsächlich hat sich Albanien in den vergangenen drei Jahrzehnten sehr verändert, meint die Balkanexpertin Johanna Deimel: "Aus einem düsteren Grau wurden demokratische und rechtsstaatliche Rahmenbedingungen geschaffen, erwuchs eine Zivilgesellschaft, entstand eine freie und pluralistische Medienlandschaft."

Dass Albanien NATO-Mitglied ist und nun, wenn auch mit Verzögerungen, endlich auch EU-Beitrittsverhandlungen führen wird, sei ein sichtbares Zeichen für diese positiven Veränderungen, so Deimel weiter. "Leider aber ist Albanien zugleich durch die enorme bipolare Konfrontation zwischen den beiden großen Parteien seit vielen Jahren extrem belastet und in seiner demokratischen wie rechtsstaatlichen Entwicklung gehemmt."

Verfeindete Parteien

Diese Polarisierung zwischen den zwei großen Parteien, der regierenden Sozialistischen Partei (PS) unter Premier Edi Rama und der oppositionellen Demokratischen Partei (PD) unter ihrem Spitzenkandidaten Lulzim Basha, ging in den vergangenen Jahren sogar über das in Albanien übliche Ausmaß hinaus: Immer wieder erhob die Opposition schwere Vorwürfe gegen die Regierung, unter anderem war von Stimmenkauf bei den Parlamentswahlen 2017 zugunsten der Sozialisten die Rede.

Premier Edi Rama, Chef der regierenden Sozialisten, spricht auf einer Wahlkampfkundgebung seiner Partei am 20.04.2021Bild: Florion Goga/REUTERS

Jahrelang protestierten die Demokraten. Dabei kam es oft zu Gewalt. Die Opposition verlangte den Rücktritt des Premierministers. Derweil war die albanische Justiz, die eigentlich für die Klärung derartiger Vorwürfe sorgen soll, gelähmt von der umfangreichsten Justizreform, die je in Albanien unternommen wurde. Ihr Ziel: Das staatliche System von Korruption zu befreien.

Zusammenarbeit beim Wahlgesetz

Die Lage beruhigte sich erst nach Vermittlung der EU und der USA sowie einer Reform des Wahlgesetzes. Dabei kam es sogar zu einer Zusammenarbeit von Regierung und Opposition. Die so geschaffenen Veränderungen seien jetzt Basis für mehr Sicherheit im Wahlprozess, betont der Direktor der Zentralen Wahlkommission in Tirana, Ilirjan Celibashi im Gespräch mit der DW.

Herausforderer Lulzim Basha spricht auf einer Kundgebung seiner Demokratischen Partei am 21.04.2021Bild: Florion Goga/REUTERS

"Es ist positiv, dass wir wenigstens, was die technischen Aspekte angeht, einen Konsens aller Seiten haben", so Celibashi. "Auch die erfolgreiche biometrische Identifizierung der Wähler ist von Vorteil für Wahlen, um den Stimmenkauf oder Verkauf zu vermeiden. Höhere Strafen für Stimmenkauf schaffen mehr Sicherheit."

Explosive Stimmung

In den letzten Tagen vor der Wahl standen die Zeichen trotzdem wieder auf Sturm: Am 21.04.2021 wurden bei Zusammenstößen zwischen Sozialisten und Demokraten eine Person getötet und vier weitere verletzt. Die Demokraten behaupteten, zu dem tödlichen Zwischenfall sei es gekommen, als ihre Anhänger gefilmt hätten, wie Sozialisten Geld im Gegenzug für Wählerstimmen verteilt hätten; die derart beschuldigte Regierungspartei dagegen macht die Opposition verantwortlich.

Warum ist die Stimmung jetzt so explosiv? "Das Wahlergebnis wird sehr eng werden", meint Afrim Krasniqi, Leiter des Instituts für Politische Studien in Tirana, gegenüber der DW. Dass die konkurrierenden Parteien ähnlich viele Stimmen zu erwarten haben, sagen die allermeisten Umfragen voraus.

Demokraten: Sieg oder Bedeutungslosigkeit

Dafür, dass es für Premier Rama nicht leicht wird, ein drittes Mandat zu erreichen, spricht, dass das bisher noch niemand im postkommunistischen Albanien geschafft hat. Nach Auffassung des politischen Analysten und Balkankenners Michael Weichert hat die von den Sozialisten geführte derzeitige Regierungskoalition zwar "gute Chancen, die Wahlen zu gewinnen - wenn es gelingt, über den Kern ihrer Mitgliedschaft hinaus auch zusätzliche Wählerschichten aus der Gesellschaft zu mobilisieren".

Anhänger der Demokraten schwenken die blauen Fahnen ihrer Partei bei einer Wahlkampfkundgebung am 21.04.2021Bild: Albanian Democratic Party

Für die Demokraten unter Lulzim Basha aber gehe es um mehr, so Weichert gegenüber der DW. "Entweder gelingt es der Opposition unter der Führung der Demokratischen Partei die Wahl zu gewinnen, oder die Partei und vor allem ihre politische Führung versinken in der Bedeutungslosigkeit."

"Macher"-Image dank Impfkampagne

Dementsprechend versuchten derzeit beide großen Parteien, in den letzten Tagen vor dem 25. April weitere Wähler zu mobilisieren. Die Sozialisten wollen dabei unter dem Slogan "Albanien, unsere Zukunft" und einer gerade groß angelegten Corona-Impfkampagne ihr Image als "Macher" in der Bevölkerung pflegen. Die Demokraten dagegen präsentieren sich als Motor der Veränderung und Befreiung von Korruption unter den Sozialisten und der organisierten Kriminalität; sie hoffen, so Stimmen unzufriedener Wähler zu gewinnen.

Im Fokus des Wahlkampfes stehe dabei nicht etwa das bessere Programm, sondern Versprechen und die Abwertung des politischen Gegners, kritisiert Afrim Krasniqi: "Die Sozialisten sagen, wenn die Leute für die Opposition stimmen, werden die Reformen unterbrochen. Die Opposition ihrerseits verspricht, dass nur sie die Situation verbessern kann, dass sie im Gegensatz zur Regierung Rama die Auswanderung ins Ausland stoppen und Perspektiven für ein normales Leben in Albanien schaffen wird."

Die große Frage ist für Krasniqi, ob Albanien sich diesmal fähig zeigen wird, normale Wahlen zu organisieren. "Damit würde auch eine wichtige Bedingung vor der lang erwarteten ersten Regierungskonferenz für die Beitrittsgespräche mit der EU erfüllt", so der Politologe. Abseits dessen werde auch diese Wahl keine Veränderung der polarisierten politischen Kultur mit sich bringen - "besonders dann nicht, wenn das Ergebnis eng wird", so Krasniqi.