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Politik

Albaniens tiefe Demokratiekrise

19. Juni 2019

Die EU hat erneut die Entscheidung über die Beitrittsverhandlungen mit Nord-Mazedonien und Albanien vertagt. Hauptgrund: Vorbehalte gegenüber Albanien. Das Land steckt in einer tiefen Demokratiekrise.

Albanien Anti-Regierungsproteste in Tirana
Bild: Getty Images/AFP/G. Shkullaku

Am 30. Juni sollen in Albanien Kommunalwahlen stattfinden. Damit sind Unruhen vorprogrammiert. Einen Vorgeschmack darauf bekam man am Dienstag (18.06.) in einer Grundschule im nordalbanischen Stadt Shkodra zu spüren, die als Wahllokal dienen soll. Anhänger der Opposition warfen Brandsätze auf die Schule und versuchten so, die Wahlmaterialen zu vernichten. Ähnliches spielte sich auch im nordalbanischen Tropoja ab. Die Opposition fühlt sich zu solcher Art Sabotage spätestens seit dem 10. Juni legitimiert, als Staatspräsident Ilir Meta den Wahltermin aufgrund von befürchteten Unruhen annullierte. Die Sozialistische Partei des Ministerpräsidenten Edi Rama erklärte dessen Entscheidung für verfassungswidrig und leitete im Parlament ein Verfahren für seine Absetzung ein.

Seit Februar ist die Sozialistische Partei im albanischen Parlament praktisch alleinherrschend, sieht man von einigen wenigen Oppositionsmitgliedern ab, die dem Ruf ihrer Parteien auf Niederlegung des Mandats nicht gefolgt waren. Die zwei wichtigsten Oppositionsgruppierungen, die Allianz um die Demokratische Partei (PD) und die Sozialistische Bewegung für Integration (LSI), hatten diesen radikalen Schritt gewählt, nachdem in der albanischen Presse Mitschnitte veröffentlicht wurden, die belegen sollen, dass die Parlamentswahlen 2017, bei denen die Sozialisten die absolute Mehrheit gewannen, durch Stimmenkauf mit Hilfe der organisierten Kriminalität manipuliert worden seien. In einem DW-Interview erklärte der Oppositionsführer Lulzim Basha, er sehe eine Lösung des Konflikts nur, wenn der sozialistische Premierminister Edi Rama zurücktrete und eine provisorische Regierung eingesetzt werde. Zudem müssten vorgezogene Neuwahlen angesetzt werden.

Nach und nach wurden weitere Mitschnitte publik, die belegen sollten, dass die Wahlen durch Stimmenkauf manipuliert wurden. Diesmal wurden sie auf den Online-Seiten des deutschen Boulevardblattes "Bild" veröffentlicht. Premierminister und Sozialistenchef Edi Rama bestreitet die Vorwürfe und droht dem deutschen Bild-Journalisten Peter Tiede, der mittlerweile von der Opposition und vielen Albanern als ein Held gefeiert wird, mit einer Klage.

Allerdings zweifelt keiner in Albanien an der Echtheit der Mitschnitte. Die stammen aus den Akten der Staatsanwaltschaft, die sie zunächst unter Verschluss hielt und sich erst durch deren Veröffentlichung gezwungen sah, der Sache nachzugehen. Bisher sei jedoch noch keine Anklage wegen Wahlmanipulation erhoben worden, ließ die albanische Generalstaatsanwaltschaft am Dienstag auf Anfrage der Deutschen Welle verlauten.

Justizreform oder Justizkrise

Die Verschleppung von Fällen ist mittlerweile ein Problem des gesamten albanischen Justizsystems. Nicht nur die Staatsanwaltschaft leidet darunter. Auch das Verfassungsgericht, das die Instanz wäre, die den Streit zwischen dem Präsidenten und dem Parlament lösen könnte, ist beschlussunfähig. Grund dafür ist der sogenannte Vetting-Prozess, der die Überprüfung der Richter und Staatsanwälte nach deren beruflichen Qualifikationen, Vermögensverhältnissen und deren berufsethischer Eignung überprüfen soll und viele Richter und Staatsanwälte dazu veranlasst hat, ihren Stuhl frei zu machen, bevor sie überhaupt überprüft wurden. Andere konnten sich durch die strengen Kriterien der von der EU-überwachten Überprüfungskommission nicht behaupten und fielen durch.

Es rumort im Land: Oppositionelle protestieren am 8. Juni gegen die Regierung in Tirana Bild: picture-alliance/AP Photo/H. Pustina
Schwieriger Gast in Berlin: Edi Rama Ende April zu Besuch bei Angela Merkel Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Bei diesen Institutionen stapeln sich die Akten seit Jahren. Für Jordan Daci, Leiter des "Albania Rule of Law Center", ist das Hauptproblem der albanischen Justizreform, "dass es ihr an einem effizienten Mechanismus mangelt, um die Richter und Staatsanwälte, die aus dem System durch den Vetting-Prozess durchfallen zu ersetzen". Die Lähmung des Justizwesens führe dazu, dass jedes Jahr um die 30 Prozent neue Fälle hinzukommen, die aufgrund des fehlenden Personals unbearbeitet blieben. Alleine beim Obersten Gericht warten 31.000 derartige Fälle, so Daci in einem DW-Interview.

Für die Justizblockade im Lande machen sich Regierung und Opposition gegenseitig verantwortlich. Während die Opposition der Regierung vorwirft, die Justizblockade dazu zu nutzen, die Oppositionsparteien endgültig zu zerstören und eine Alleinherrschaft zu etablieren, wirft die Mehrheitspartei dem Chef der Opposition vor, den Boykott nur als Alibi zu nutzen, um die Errichtung einer unabhängigen Justiz zu verhindern, von der er als erster verurteilt werden könnte. Derzeit ermitteln die albanischen Behörden gegen Oppositionsführer Basha wegen Geldwäsche und Dokumentenfälschung in Zusammenhang mit einer Parteispenden-Affäre in den USA.

Vermittlungsbemühungen ohne Erfolg

Im Herbst soll der deutsche Bundestag Albanien und Nord-Mazedonien grünes Licht für den Beginn der EU-Beitrittsgespräche geben. Während für die Eröffnung der Gespräche mit Nord-Mazedonien eher Einigkeit unter den meisten Abgeordneten herrscht, gibt es gegenüber Albanien noch Vorbehalte.
Insbesondere die Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion zögern noch, Albanien in dieser Situation die so wichtige Tür zur EU zu öffnen. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Johann David Wadephul möchte zumindest, dass die aktuelle Krise im Land beigelegt wird und beurteilt das Festhalten an den Lokalwahlen ohne die größte Oppositionspartei als problematisch für die Demokratie. Denn die Hälfte der Bürgermeisterkandidaten wird keine Konkurrenten von anderen Parteien haben. Bis zuletzt hat sich der CDU-Außenpolitiker bemüht, zwischen der Regierung und Opposition zu vermitteln, um wenigstens eine mögliche Konfrontation bei den Lokalwahlen zu vermeiden. Bislang ohne Erfolg.

Die sozialistische Partei sei für eine Verschiebung der Wahlen nicht zu sprechen, hieß es aus deren Führung. Sie wolle keinen Präzedenzfall der Erpressung durch Boykott ermöglichen. Zudem wirft sie der Opposition vor, nur aus mangelnder Vorbereitung nicht an den Wahlen teilzunehmen. Auch der grüne Berichterstatter im Bundestag, Manuel Sarrazin, findet, dass der Boykott der Opposition nicht gerechtfertigt sei. Es gehe lediglich um einen Machtkampf zwischen Rama und Basha. Dieser Kampf sei allerdings sehr ungünstig im Hinblick auf die bevorstehende Entscheidung im Bundestag, so Sarrazin in einem DW-Interview. Allerdings betont der Grünen-Politiker, dass seine Fraktion, so wie die der SPD, für die Beitrittsgespräche für beide Länder, Albanien und Nord-Mazedonien, stimmen werde, egal wer den Machtkampf in Albanien gewinne.

Oppositionsführer Lulzim Basha am 2. Juni vor Sympathisanten in Tirana Bild: DW/A. Ruci
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