Albanische Dschihadisten
19. Oktober 2016"Dorian hat Anglistik an der Uni Tirana studiert. Er liebte die Universität. Wir haben einen Kredit aufgenommen, damit er studieren konnte. Nach seinem Master kam er ins Dorf zurück, hat aber weder hier noch in der Umgebung eine dauerhafte Arbeitsstelle gefunden." Meleq Kuqo ist sichtlich erschüttert und seine Stimme zittert, während er über seinen Sohn erzählt, der im Krieg in Syrien als Dschihadist gestorben ist.
Die Familie lebt im kleinen Dorf Rrëmenj im Südosten Albaniens und ist sehr arm, wie die meisten hier. Rund 250 Häuser stehen im Dorf, es gibt dort eine Moschee und daneben eine Kirche.
So wie viele andere Albaner versuchte auch Dorian als Saisonarbeiter in nahgelegenen Griechenland Geld zu verdienen um den Kredit für sein Studium abzuzahlen und der Familie zu helfen. Wegen der Finanzkrise in Hellas bleiben aber zahlreiche albanische Gastarbeiter ohne Job, auch Dorian musste das Land verlassen. Anfang 2014 sagte er dann seinen Eltern, dass er nach Österreich gehen würde, um dort einige Monate zu arbeiten. Zurück gekommen ist er von dieser Reise nie. "Er rief einmal im Monat an und er erzählte, dass er eine Arbeit gefunden habe. Als wir ihm aber einmal sagten, dass wir ihn gerne besuchen würden, erzählte er uns die Wahrheit und sagte, dass er von Anfang an nach Syrien gefahren sei. Er sei Dschihadist geworden und habe ein muslimisches Mädchen aus Kavaja in Zentralalbanien geheiratet. Wir flehten ihn an, zurück zu kommen, aber er sagte, er sei freiwillig dorthin gegangen", erzählt Dorians Vater.
Am 18. August 2015 kam dann die traurige Nachricht. "Es war 19.27 Uhr, als ein Freund von ihm aus dem Nachbardorf Zagorçan anrief und sagte, dass Dorian im Krieg getötet wurde. Die Leiche konnte nicht überführt werden."
Opfer der Armut
Nicht nur aus Pogradec, auch aus anderen Städten in Zentral- und Ostalbanien gab es zwischen 2012 und 2014 mehrere Gruppen von jungen Männern, die nach Syrien gingen, um sich dem sogenannten "Islamischen Staat" anzuschließen. Offiziellen Angaben zu Folge haben sich in diesem Zeitraum 114 Personen dem IS angeschlossen. 40 von ihnen sind inzwischen zurückgekehrt, 20 wurden getötet.
Roland Hoxha, Zahnarzt und praktizierender Muslim, kannte einige der jungen Männer, die nach Syrien gegangen sind. "Die meisten hatten nur einen Hauptschulabschluss, einige die mittlere Reife und nur wenige haben studiert. Sie kamen aus sehr armen Verhältnissen und waren eine leichte Beute für diejenigen, die ihnen Geld und Wohlstand versprachen", sagt Hoxha.
"Dorian war ein lieber Junge. Er konnte nicht mal eine Fliege was antun. Er liebte Fremdsprachen und hatte begonnen, Arabisch beim Imam des Dorfes zu lernen. Keiner konnte ahnen, dass er zu einem Dschihadkämpfer werden könnte", sagt sein Vater Meleq Kuqo. Er glaubt, dass ein Imam, der jeden Freitag zum Predigen aus Mazedonien kam, seinen Sohn und andere junge Männer aus den umliegenden Dörfern rekrutiert hat. "Nach dem Freitagsgebet führte er Einzelgespäche mit den Jugendlichen", erinnert sich der Vater von Dorian.
Die Armut und die Arbeits- und Perspektivlosigkeit hätten es radikalen islamischen Stiftungen und Predigern leicht gemacht, junge Leute zu rekrutieren. Dazu kam, dass einige der Moscheen nicht zur Muslimischen Gemeinschaft Albaniens gehörten, einem als gemäßigt geltenden Verband, der den großen Teil der islamischen Bevölkerung im multikonfessionellen Albanien umfasst. "Die Imame dieser Moscheen haben einen gewalttätigen und extremistischen Islam gepredigt und versuchten, arbeitslose Jugendliche zu rekrutieren", sagt Roland Hoxha. So wie der Imam des Dorfes Leshnicë, der sich selbst dem IS anschloss. Und dann hätten auch Facebook und andere soziale Netzwerke eine wichtige Rolle bei der Verbreitung dieser Ideen gespielt, glaubt Hoxha.
Keine Chance für den Salafismus
Der Salafismus und andere extreme Richtungen des Islam haben erst nach 1990 ihren Weg nach Albanien gefunden, sagt Mufti Ylli Gurra, Mitglied des Vorstandes der Muslimischen Gemeinschaft Albaniens, im Gespräch mit der DW. Da im kommunistischen Albanien alle Religionen verboten waren, gab es nach der Wende nur wenige Imame und keine islamischen Religionslehrer und Schulen. Auch Moscheen gab es kaum. "Das ermöglichte einigen islamischen Organisationen und Stiftungen aus Saudi Arabien, die nach den Terroranschlägen vom 11. September auf der schwarzen Liste der USA standen, nach Albanien zu kommen und hier Moscheen und islamische Religionsschulen aufzubauen." Gleichzeitig hätten sie bedürftigen Familien finanzielle Unterstützung angeboten, um so weitere Menschen für ihre Ideologie zu gewinnen, sagt Gurra. "Die Unsicherheiten, die der Umbruch mit sich gebracht hat, hat dazu geführt, dass innerhalb der albanischen Gesellschaft, die völlig unvorbereitet und uninformiert war, salafistische Ideen verbreitet wurden."
Trotzdem ist Ylli Gurra zuversichtlich, dass der Salafismus oder der religiöse Extremismus in Albanien keine Perspektive haben. "Seit zwei Jahren hat sich kein albanischer Bürger mehr dem IS angeschlossen", sagt Gurra. "Alle Imame wurden inzwischen überprüft und jede Moschee hat jetzt einen Vorstand, der regelmässig der Muslimischen Gemeinschaft Albaniens über die Inhalte der Predigten berichtet." Er ist sicher, dass diese Kontrolle wirksam ist und der Einflussbereich der Salafisten gegen Null geht. "Der radikale Islam hat nichts mit der muslimischen Tradition Albaniens gemeinsam. Die religiöse Toleranz und die Harmonie, die zwischen den Anhängern der Religionen besteht, sind Grundwerte der albanischen multi-konfessionellen Gesellschaft", betont Gurra.