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Film

Albert Speer: Der Mythos vom "guten Nazi":

Jochen Kürten
28. Februar 2020

Berlinale-Weltpremiere: Vanessa Lapa erzählt in "Speer goes to Hollywood", wie es Hitlers Rüstungsminister fast gelang, Hollywood einzuspannen. Am Ende scheiterte Albert Speers Versuch, sich von Schuld reinzuwaschen.

Albert Speer mit Kopfhörern  beim Nürnberger Prozess
Bild: Realworks/Yes Docu, ORF, Makor Foundation For Israeli Films

"Ich fand einen Mann, der das Böse verkörperte und für den das menschliche Leben keinen inneren Wert hatte", urteilt die israelische Regisseurin Vanessa Lapa über Albert Speer, den Protagonisten ihres neuen Films. Doch sie sagt auch: "Der Film handelt von meinem persönlichen Erwachen - ebenso wie von Speers Versuchen, die Welt in Vergessen zu wiegen." Auch Lapa hatte sich lange Zeit ein falsches Bild von Speer gemacht. Damit war sie nicht allein.

Die Figur Speer interessiert auch heute noch - im In- und Ausland

Darüber hat sie nun einen Film gemacht: "Speer goes to Hollywood". Weltpremiere feierte er jetzt bei der 70. Berlinale. Der Publikumszuspruch war groß. Vor dem "Haus der Berliner Festspiele" bildeten sich lange Schlangen. Auch viele Besucher aus dem Ausland waren gekommen. Albert Speer stößt nach wie vor auf außerordentlich großes Interesse - in Deutschland wie im Rest der Welt.

Bis kurz vor Kriegsende ein enger Vertrauer Hitlers: Albert SpeerBild: Realworks/Yes Docu, ORF, Makor Foundation For Israeli Films

Der 1905 in Mannheim geborene Speer gehörte zum engsten Führungszirkel Adolf Hitlers. Er wurde zu seinem wichtigsten Architekten, plante eine neue Hauptstadt Berlin, verwirklichte mehrere monumentale Bauten für die Nationalsozialisten. Nach dem Krieg entging er der Todesstrafe bei den Nürnberger Prozessen nur knapp und wurde zu einer Freiheitsstrafe von 20 Jahren verurteilt. Nach seiner Freilassung 1966 publizierte er mehrere Werke, in denen er "seine" Sicht der Dinge schilderte. Die Quintessenz: er habe nichts von den Massenmorden der Nationalsozialisten gewusst und während der Zeit des Nationalsozialismus "nur seine Pflicht getan".

Nach seiner langen Haft etablierte sich Speer als Autor

Seine Bücher, insbesondere die 1969 erschienenen "Erinnerungen" sowie die sechs Jahre später folgenden "Spandauer Tagebücher", wurden Bestseller. Speer verdiente damit viel Geld. Wie konnte das sein? Ein hochrangiger Nationalsozialist und enger Vertrauter Hitlers, der von nichts gewusst haben will? Albert Speer, der von den Alliierten ja immerhin zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt worden war, nun ein Buchautor mit gutem Auskommen? Wie konnte sein Versuch sich reinzuwaschen gelingen?  

Albert Speer beim Nürnberger ProzessBild: Realworks/Yes Docu, ORF, Makor Foundation For Israeli Films

Vanessa Lapa ist keinesfalls die erste, die sich mit dem "Phänomen Speer" beschäftigt hat. Ein Jahr nach seinem Tod 1981 erschien das Buch "Albert Speer. Das Ende eines Mythos - Speers wahre Rolle im Dritten Reich" des Historikers Matthias Schmidt. Weitere sollten folgen, zuletzt 2017 besonders eindrucksvoll wegen der vielen neu recherchierten Fakten: "Albert Speer. Eine deutsche Karriere" von Magnus Brechtken. In diesen Büchern ist nachzulesen, wie Speer seine Rolle während des Nationalsozialismus herunterspielte und fälschte. Und wie auch viele deutsche Intellektuelle auf die Verführungskraft Speers hereinfielen.

Speer ließ Millionen Zwangsarbeiter in den Rüstungsbetrieben arbeiten

Speer war sehr wohl verantwortlich für nationalsozialistische Massenvernichtung und den Tod von vielen Menschen in den Konzentrationslagern. Speer, der als Minister unter anderem die Rüstungsindustrie unter sich hatte, wird insbesondere vorgeworfen, das System der Zwangsarbeit perfektioniert zu haben. Viele Millionen Zwangsarbeiter schufteten sich zu Tode.

Speer kam 1966 nach 20 Jahren Haft frei - und etablierte sich als BuchautorBild: Realworks/Yes Docu, ORF, Makor Foundation For Israeli Films

Doch die Recherchen von Wissenschaftlern und Historikern sind das eine. Denn auch nach Speers Tod hielt sich die Legende vom "unschuldigen" Albert Speer. Nicht zuletzt sorgten auch große Kinoproduktionen wie der oscarnominierte deutsche Spiel-Film "Der Untergang" (2004) dafür, dass die "Legende Speer" weiter bestehen konnte. Die akribisch erarbeiteten Erkenntnisse der Historiker setzten sich bei einem breiten Publikum kaum durch.

Der Mythos Speer wurde erst spät dekonstruiert

Erst langsam, u.a. auch wiederum durch einen Film wie Heinrich Breloers "Speer und Er" (2005), brach der Mythos vom "guten Nazi" in sich zusammen. Vanessa Lapas Film "Speer goes to Hollywood" macht das jetzt deutlich, in dem sie eine weitere Facette zur Rezeptionsgeschichte beisteuert. 

1971 plante das US-Film-Studio "Paramount" Speers Bestseller "Erinnerungen" zu verfilmen: Zu groß war die Versuchung, das Thema Nationalsozialismus in Kombination mit einem Überlebenden, der zum engsten Führungszirkel der Nazis gehörte, auf die Leinwand zu bringen. Der damals 26 Jahre alte Andrew Birkin (Bruder von Jane Birkin, später erfolgreicher Regisseur und Drehbuchautor, u.a. "Der Name der Rose"/"Das Parfum"), traf sich damals mit Speer, um über Drehbuch und Filmfassung der "Erinnerungen" zu sprechen.

Regisseurin Vanessa Lapa (M.), Produzent Tomer Eliav (l.) und Drehbuch-Co-Autorin Joëlle AlexisBild: picture-alliance/dpa/C. Soeder

Diese Gespräche zwischen Speer und Birkin, rund 40 Stunden Ton-Material, hat Lapa für ihren Film ausgewertet und bebildert. Sie zeigt Speer in den Jahren nach seiner Freilassung, montiert aber auch viel Film-Material von den Nürnberger Prozessen dazu, zeigt Bilder der Konzentrationslager und Szenen aus den Rüstungsschmieden der Nationalsozialisten. Herzstück des Films aber ist das lange Gespräch, das für "Speer goes to Hollywood" zum Teil von Schauspielern nachgesprochen wurde.

Lapa: "Speer ähnelt eher einem Landjunker als einem Massenmörder"

Auch hier wird deutlich, warum es Speer gelang, seine Gesprächspartner einzulullen: "In 40 Stunden Audioaufnahmen, die nie veröffentlicht werden sollten, eröffnet Speer einem vielversprechenden 26-jährigen Drehbuchautor sein Leben", beschreibt die Regisseurin den langen Dialog: "Er (Speer, A.d.R.) spricht frei und ohne Hemmungen und 'korrigiert' die Vergangenheit, während er spricht. Die Aura, die er ausstrahlt, ist die von einem eleganten Mann, der eher einem Landjunker ähnelt als dem Massenmörder von Millionen."

Der Versuch, sich hinter einer Kinowirklichkeit zu verstecken, scheiterteBild: Realworks/Yes Docu, ORF, Makor Foundation For Israeli Films

Vanessa Lapa beschreibt Speers Charisma, das mitverantwortlich war für die Legendenbildung, die sich über viele Jahre halten konnte: "Das Geheimnis liegt in seiner leisen Beredsamkeit, seinem scharfen Verstand und seiner angeborenen Fähigkeit, die Menschen um ihn herum zu bezaubern und zu manipulieren, sei es die Richter in Nürnberg oder die Journalisten, Verleger und Filmemacher. Das half ihm, die Vergangenheit und seinen eigenen Anteil daran neu zu schreiben."

Hollywood zog die Notbremse - eine spätere Serie war kritischer 

Das Projekt, das unter dem Titel "Inside the Third Reich" ins Kino kommen sollte, scheiterte schließlich. "Paramount" gab sein Vorhaben kurzfristig auf, zu risikoreich erschien der Film nach den "Erinnerungen" eines Nazis. Unter anderem auch, weil der britische Regisseur Carol Reed ("Der dritte Mann"), der damals mit Andrew Birkin korrespondierte, die Taktik Albert Speers durchschaute. 

Ein Jahrzehnt später wurden die "Erinnerungen" Speers übrigens dann doch noch verfilmt. Der US-Sender ABC machte eine mehrteilige Fernsehserie daraus, allerdings mit einem kritischeren und distanzierteren Blick auf die "Erinnerungen" des hochrangigen Nationalsozialisten Albert Speer.

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