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Politik

"Die Bevölkerung in der Ostukraine leidet"

Alexandra Induchova
31. Oktober 2018

Der Schweizer Alexander Hug tritt Ende Oktober als Stellvertretender Leiter der OSZE-Beobachtermission in der Ukraine ab. Im Interview mit der DW zieht er Bilanz und sagt, warum die Lage im Donbass weiter gefährlich ist.

Ukraine Zerstörung in Avdiivka
Bild: Anatolii Stepanov/AFP/Getty Images

Deutsche Welle: Herr Hug, in einem Interview haben Sie gesagt, der Krieg im Donbass könnte innerhalb einer Stunde beendet werden. Ist das realistisch?

Alexander Hug: Wir haben  in der Vergangenheit gesehen, dass, wenn sich die Seiten zum Waffenstillstand bekannt haben, innerhalb sehr kurzer Zeit - über Nacht, innerhalb von wenigen Stunden - die Verletzungen des Waffenstillstands von Tausenden pro Tag auf wenige zehn reduziert wurden. Wir wissen, dass es möglich ist, die Kämpfe sehr rasch einzustellen. Es bedarf eines politischen Entscheids und dann einer spiegelbildlichen Umsetzung auf beiden Seiten der Kontaktlinie, damit dann diese Kämpfe eingestellt werden. Dass das möglich ist, haben wir in diesen 4,5 Jahren mehrmals festgestellt.

Die wichtigste Frage für viele ist, ob das russische Militär im Donbass aktiv ist oder nicht?

Die Sonderbeobachtermission ist beauftragt, Fakten zu etablieren. Wir haben in diesen 4,5 Jahren in mehr als 1000 Tagesberichten viele Fakten dargestellt. Zum Beispiel haben wir mit Personen gesprochen, die von den ukrainischen Streitkräften gefangen genommen wurden und uns gegenüber behauptet haben, dass sie Mitglied einer russischen Einheit gewesen seien, die in der Ukraine gekämpft habe. Wir haben auch spezielles elektronisches Kriegsgerät gesehen. Wir haben in unseren Beobachtungsberichten die Typen klar beschrieben und auch Fotografien veröffentlicht. Wir haben auch sechs oder sieben Mal gesehen, wie sich Lastwagenkonvois zur und von der ungesicherten Grenze zur Russischen Föderation bewegt haben. Das waren militärische Lastwagen, die dort bewegt wurden. Wir haben schon vorher Spuren hinsichtlich dieser ungesicherten Grenzen gesehen. All diese Fakten sind in unseren Berichten enthalten und sprechen für sich. Die Leser unserer Berichte, die teilnehmen am Konflikt, können aufgrund dieser Fakten reagieren, das heißt die Situation verbessern. Vielmals werden leider diese Fakten durch die Seiten ignoriert. Aus diesen Fakten können aber auch Beweise gemacht werden. Aber unsere Aufgabe ist es, Fakten zur Verfügung zu stellen.

Alexander Hug hält einen raschen Waffenstillstand für möglichBild: DW/A. Sawitzky

Im Donbass gab es viele schreckliche Ereignisse. Der Flug MH-17 wurde abgeschossen und es wurden Busse mit Zivilisten sowie Fahrzeuge der OSZE getroffen. Was haben Sie dabei empfunden?

Jeder Tod an der Kontaktlinie ist ein Tod zu viel. Jede verletzte Person ist eine zu viel. Das ist besonders schlimm zu ertragen, wenn das Kinder sind. Ich hab in vielen Dörfern Kinder gekannt, die ich später auch tot gesehen habe. Das ist sehr schwer zu ertragen. Deshalb ist es wichtig, dass das Leiden der Zivilbevölkerung immer wieder hervorgehoben wird. Denn diese Bevölkerung leidet seit Anfang dieses Konfliktes unter den weitergehenden Kämpfen.

Sind Sie auch selbst unter Beschuss geraten und wurden Sie irgendwo an Ihrer Arbeit gehindert?

Es gab Situationen, in denen die Patrouillen, an denen ich teilnahm, ins Kreuzfeuer gerieten. Das war vor allem am Anfang des Konflikts. Die 90 Patrouillen pro Tag, die die Mission rausschickt, begeben sich immer in eine gefährliche Zone. Die Mission wurde immer wieder und wird immer noch an ihrer Arbeit gehindert. Das passiert passiv, dass Minen oder andere Hindernisse auf den Straßen nicht weggeräumt werden. Aber auch aktiv, entweder durch direktes Bedrohen oder indem man uns nicht weiterfahren lässt oder Waffen in der Nähe unserer Patrouillen abfeuert. Diese aktiven Hindernisse finden vor allem auf Gebiet statt, das nicht von der Regierung kontrolliert wird. Die passiven Hindernisse finden auf beiden Seiten der Kontaktlinie statt.

Worin besteht der Unterschied zwischen dem Konflikt im Donbass und denen in Bosnien und Herzegowina, Kosovo und Hebron, wo Sie auch im Einsatz waren?

Ich glaube, dass es nicht gut ist, direkte Vergleiche zu ziehen, denn alle Konflikte haben einen verschiedenen Grund, warum sie begonnen haben. Gleich ist in allen Konflikten, dass die Zivilbevölkerung, egal auf welcher Seite sie sich befindet, aufgrund des Konfliktes leidet, und zwar unbegründet, und dass die Entscheidungsträger oftmals viel zu spät oder überhaupt nicht Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nehmen. Das war in allen Konflikten gleich, die ich miterlebt habe.

Sie haben sich oft mit Zivilisten auf beiden Seiten der Front unterhalten. Wie schätzen Sie die Lage im Donbass ein?

Die Lage an der Kontaktlinie, in einer Tiefe von 15 bis 20 Kilometern auf jeder Seite, ist sehr gefährlich. In der Zone finden aktive Handlungen mit dem Einsatz von Waffen statt. Viele dieser Gebiete sind mit Minen und nicht explodiertem Kriegsmaterial verseucht. Das ist natürlich ein Gebiet, das sehr gefährlich ist und wo sich die Zivilbevölkerung ständiger Gefahr ausgesetzt sieht.

 

Alexander Hug war seit 2014 Stellvertretender Leiter der OSZE-Sonderbeobachtermission in der Ostukraine. Vor seiner Ernennung war er Sektionschef beim Hochkommissar für Nationale Minderheiten bei der OSZE. Er diente als Offizier in der Schweizer Armee, unter anderem als Regional-Kommandant der Schweizer Hauptquartier-Unterstützungseinheit für die OSZE in Nordbosnien und Herzegowina. Er hat auch für die OSZE-Mission im Kosovo, die Temporäre internationale Präsenz in Hebron (TIPH) und für die EU-Rechtsstaatlichkeitsmission im Kosovo (EULEX) gearbeitet.

Das Gespräch führte Alexandra Induchova.

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