Alexander Zverev gewinnt ATP-Saisonfinale
18. November 2018"Du kannst jedes Match gewinnen. Ich schätze es sehr, dass Du heute ausnahmsweise mich mal hast gewinnen lassen." Die Dankesworte von Alexander Zverev nach dem bisher größten Triumph in seiner noch jungen Karriere galten zunächst dem Kontrahenten, dem Weltranglistenersten Novak Djokovic, der ein überragendes Jahr gespielt hat. Sein allerbestes Tennis hatte der Serbe an diesem Abend nicht gezeigt. Dafür aber Deutschlands bester Tennisprofi.
Verdient gewann Zverev mit 6:4 und 6:3 - 23 Jahre nachdem Boris Becker als bislang letzter Deutscher beim Turnier der acht Jahresbesten triumphiert hatte. Nach 1:19 Stunden verwandelte Zverev seinen zweiten Matchball, im Gruppenspiel am Mittwoch hatte er gegen Djokovic noch klar verloren (4:6, 1:6). Der 21-Jährige ist der jüngste Titelträger bei den ATP Finals seit Djokovic vor zehn Jahren und der dritte Deutsche nach Becker (1988, 1992, 1995) und Michael Stich (1993). Für den Erfolg vor 17.800 Zuschauern in der Londoner o2-Arena bekommt Zverev 2,509 Millionen Dollar und die Anerkennung der gesamten Tennisszene.
Bestandene Reifeprüfung
Beim letzten Großereignis des Jahres hatten alle Experten mit Djokovics sechstem Triumph gerechnet, immerhin hatte der Weltranglistenerste in den vergangenen sechs Monaten nur zwei Matches verloren, in Wimbledon und bei den US Open dominiert und sich auch beim Saisonfinale in den ersten vier Matches keine Blöße gegeben. Nicht einmal verlor Djokovic dabei seinen Aufschlag, doch Zverev kannte keinen Respekt vor dem großen Namen.
Die bestandene Reifeprüfung im Halbfinale gegen Rekordchampion Roger Federer hatte sein Selbstvertrauen ins unermessliche wachsen lassen. Beim 7:5, 7:6 (7:5) am Samstag überzeugte Zverev nicht nur im Spiel mit Nervenstärke und taktischem Geschick, sondern auch nach dem Matchball. Als die vielen Federer-Fans ihn auspfiffen, reagierte Zverev besonnen. Auch wenn ihn die Vorwürfe schmerzten. Zverev sprach später von einem "glücklichen und traurigen Moment zugleich. Es war eine schwierige Situation für alle Beteiligten." In der entscheidenden Phase des Tiebreaks hatte ein Balljunge mitten in der Rally einen Ball fallengelassen, Zverev deshalb das Spiel unterbrochen. Als der Ballwechsel anschließend regelkonform wiederholt wurde, schlug er ein Ass und verwandelte wenig später seinen zweiten Matchball zum Sieg über sein Kindheitsidol.
Doch ein Finaleinzug, auch wenn er ihn gegen den Schweizer Federer perfekt gemacht hat, reicht Zverev nicht, er kennt nur ein Ziel: der Beste sein. Die ewigen Vergleiche mit Becker interessieren ihn zumindest so lange nicht, "bis ich als erster Deutscher nach ihm Wimbledon gewinne", sagte er vor dem Endspiel gegen Djokovic.
Körperlich und mental ausgelaugt
Beckers Fußstapfen beim Saisonfinale, das einst Masters Cup oder ATP-Weltmeisterschaft hieß, hat Zverev nun bereits ausgefüllt, 20 Kilometer von der Grand-Slam-Anlage an der Church Road entfernt. Einen Tag nach seinem Sieg über Publikumsliebling Federer schaffte er es sogar, die Mehrzahl der Zuschauer in der North Greenwich Arena auf seine Seite zu ziehen. Aufschlagstark, geduldig von der Grundlinie und mit überlegten Netzattacken diktierte er die Partie.
Dabei hatte er vor und während des Turniers über die für seinen Geschmack viel zu lange Saison geklagt. Die Müdigkeit habe ihn seit zwei Monaten nicht mehr losgelassen, körperlich und mental sei eine Grenze erreicht, sagte Zverev. In seinem 77. offiziellen Match des Jahres war davon jedoch kaum etwas zu spüren. Mit dem nahenden Urlaub auf den Malediven vor Augen spielte Zverev das Tennis seines Lebens.
sw/hf (dpa, sid)