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Zverev: Gold mit dem Adler auf der Stirn

Marko Langer
1. August 2021

Wer auf dem Center Court ein Finale erreicht, hat vieles richtig gemacht. Wer Olympiasieger wird, alles! Für Alexander Zverev dürfte die Reise nach Tokio einen Wendepunkt seiner wechselhaften Tennis-Karriere bedeuten.

Tokio 2020 - Olympia Alexander Zverev
Fokussiert: Alexander Zverev im Finale des olympischen TurniersBild: Marijan Murat/dpa/picture alliance

Einerseits: Den deutschen Tennis-Profi Alexander "Sascha" Zverev hat man noch nie so gesehen wie nach seinem gewonnenen Spiel gegen den hohen Favoriten und Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic bei den Olympischen Spielen in Tokio. Er kauerte auf dem Platz, nahm die Hand vor Augen und verdrückte auch ein paar Tränen. Sich gegen den starken Djokovic derart zusammenzunehmen, hatte den 24-Jährigen nicht nur körperlich Kraft gekostet. "Das hat aber hoffentlich niemand gesehen", sagte er hinterher, um Fassung bemüht. Doch, haben alle gesehen, die Tränen. Und es war gut so. 

Andererseits: Beobachter hatten schon mehrfach den Eindruck, dass der Hamburger vor dem großen Durchbruch stünde. Da war der Sieg beim ATP-Finale in London im Jahr 2018, als er Großmeister Novak Djokovic im Finale alt aussehen ließ. Da war aber auch das Finale bei den US Open im vergangenen Jahr, das Zverev gegen Dominic Thiem verlor. Manche der Tennis-Fans murmelten dann etwas von: "Wieder nichts mit dem Grand-Slam-Sieg".  

Doch wie schon bei Djokovic war auch der Verlauf des olympischen Endspiels gegen den Russen Karen Katschanow ein Statement. 6:3, 6:1 in einer Stunde und 19 Minuten! In diesen Tagen im Ariake Tennis Park von Tokio konnte man sehr präzise ausmachen, dass sich bei dem besten deutschen Spieler gegenwärtig etwas positiv verändert. Warum es geklappt hat mit Gold. Sieben Punkte - das siebte Spiel hat im Tennis ja seine eigene, oft entscheidende Bedeutung - werden dem Mann auf dem weiteren Weg nach ganz oben helfen.

1. Der Aufschlag

Zverev, der Jüngere (sein Bruder Mischa ist ja auch noch auf der Tour unterwegs) ist groß gewachsen. 198 Zentimeter Körpergröße kann der Rechtshänder in einen schnellen, krachenden Aufschlag verwandeln, mit dem er schnelle Punkte macht. Inzwischen ist seine Suche nach Varianten auch erfolgreicher als in den vergangenen Monaten, als ihm das Service oft im Stich ließ, als er Doppelfehler servierte oder beim zweiten Aufschlag verunsichert viel Speed herausnahm. 

198 Zentimeter Körpergröße können ganz schön viel Wucht entfalten Bild: Marijan Murat/dpa/picture alliance

2. Mentale Stärke

Noch vor zwei Jahren konnte man bei Zverev-Spielen darauf wetten, dass mindestens ein Racket nicht heil den Weg zurück in die Umkleidekabine finden würde. Zwar warf er das Arbeitsgerät nicht - wie jetzt Novak Djokovic in Tokio im Spiel um Platz 3 - auf die Tribüne. Seine Lieblingsübung bestand im zuverlässigen Zerhacken des Graphene-Spiralfaser-Schlägerkopfes auf dem Boden. Das hat Zverev zurückgenommen. Es gibt zwar Profitrainer, die bewusst dazu raten, die Emotion auch einmal so abzulassen. Im Fall von Zverev hatte man aber immer den Eindruck: Hier geht nicht nur Material, hier geht auch das entscheidende Quantum Konzentration flöten. Hat er nicht mehr gemacht, in Japan.

Manchmal nahm er noch den Oberschenkel zu Hilfe: Zverev 2017 bei der Zerstörung seines ArbeitsgerätsBild: Picture alliance/AP Photo/M. Euler

3. Die Konstanz

Selbst im ersten Satz des Spiels gegen Djokovic, als er wie der sichere Verlierer auf der Anzeigetafel erschien (1:6), hatten die Bälle von Zverev eine gute Länge, der Deutsche "streute" wenig - der Mann auf der anderen Seite war nur schlicht besser. Bei den Matches in Tokio zeigt Zverev gerade bei den Grundschlägen eine Konstanz, die seine Kontrahenten (nochmal schöne Grüße an den Serben) nicht hatten. Dabei kommt Zverev aber das olympische Format zu Hilfe, also der Faktor mit der Nummer 4 ....

4. Nur zwei Gewinnsätze

Noch vor Jahren war Alexander Zverev ein Schlaks, dem das Hemd am Körper hing und dessen Arme und Beine gelegentlich an Stelzen erinnerten. Fitnesscoach Jez Green, der einst Andy Murray zu ungeahnter Fünf-Satz-Kraft quälte, hat das geändert. Nicht nur das fotogene Bauchmuskel-Paket, auch die Oberarme haben andere Formen angenommen. Dessen ungeachtet ist im heißen Tokio hilfreich, dass hier nach zwei Gewinnsätzen Schicht-Ende ist. Der Olympiasieger muss sich also nicht, wie bei den Grand-Slam-Turnieren üblich, über bis zu fünf Sätze quälen. Das dauert mitunter vier Stunden, da kann man auf manche dumme Idee auf dem Court kommen. 

From boy to man: Zverev und sein Fitness-Coach Jez Green (links) Bild: Hasenkopf/imago images

5. Motivierter Motivator

Alexander Zverev hat nicht nur sportlich unruhige Zeiten hinter sich. Der Mann ist Vater geworden, legte sein Management in die Hände der Firma von Roger Federer und nahm es dieser Firma wieder weg, holte sich den Spanier David Ferrer als Trainer und musste erleben, wie Ferrer eine Reiseallergie entwickelte und lieber bei der eigenen Familie blieb. Vater Alexander Zverev Senior, selbst erfolgreicher Davis-Cup-Spieler, auf der Tribüne ist die Konstante. In Tokio gilt nicht einmal das. Hier muss er ohne seine eigene "Crew" auskommen muss. "Es ist definitiv so, dass er die anderen motiviert, die Jungs motivieren ihn", sagte Herren-Teamchef Michael Kohlmann. Diese Rolle steht Zverev gut. Und der Profi selbst sagte nach seinem Finalsieg im ZDF-Interview: "Ich habe für ganz Deutschland gespielt." Jetzt trage er "eine Goldmedaille um seinen Nacken". Das seien Gefühle, die er überhaupt nicht beschreiben könne. 

6. Die Pioniere

Dass Zverev alle Nase lang mit Boris Becker verglichen wird, hat damit zu tun, dass "der Leimener" noch erfolgreicher (Wimbledon-Siege), noch jünger (17) und irgendwie noch willensstärker (Davis-Cup-Sieg) in jener Zeit war, als ihn die Deutschen vorübergehend ins Herz schlossen. Bei dem ebenfalls aus Hamburg stammenden Michael Stich oder dem in München aufgewachsenen Tommy Haas war die Sache schon komplizierter. In Tokio konnte Zverev die Chance nutzen, sich zumindest an diesen "Zweithelden" des deutschen Tennis vorbeizuschieben, die Pioniere hinter sich zu lassen. "Jetzt hol' Gold für Deutschland nach Hause", hatte Boris Becker vor dem Finale erklärt. Auch so ein Einfluss, wenn alte Männer darauf hinweisen, was sie selbst eben nicht gewonnen haben. Becker hatte bei Olympia "nur" im Doppel triumphiert. 

Wenn "die Alten" reden: Zverev mit Boris Becker 2020 beim ATP Cup Bild: Imago Images/AAP/D. Hunt

7. Das Outfit

Leser dieser Zeilen werden nun vielleicht denken: Was haben denn bitteschön die Klamotten mit der Leistung eines Tennis-Profis zu tun? Als Antwort könnte man die karierte Hose erinnern, die einst bei dem bärenstarken Schweizer Stan Wawrinka in Paris bestaunt, beschrieben und schließlich nach dem Roland-Garros-Sieg ins dortige Tennis-Museum aufgenommen wurde. "Stan the man" führte eine Miniatur-Ausgabe der Karo-Hose lange Zeit als Anhänger an der Schlägertasche mit sich. Im Fall von Zverev in Tokio sind die Sachen dezenter: Vier goldene Kettchen um den Hals, länger schon. Und nun trug er auf dem Schweißband den Adler auf der Stirn. Das Symbol mag ihn daran erinnern, dass ihm olympisches Gold dabei helfen wird, im eigenen Land populärer zu werden. Als Olympiasieger sogar unsterblich, zumindest für diesen Sommer. 

Dieser Artikel wurde am 1. August 2021 aktualisiert.