Alexis Tsipras auf Europatour
22. Mai 2012Alexis Tsipras wirkt wie ein Magnet. Sowohl am Montag in Paris als auch am Dienstag (22.05.2012) in Berlin das gleiche Bild: Die Säle, in die der Chef des griechischen Linksbündnisses Syriza zur Pressekonferenz lädt, sind brechend voll. In der Berliner Bundespressekonferenz erlebt man das nur ein oder zwei Mal im Jahr, nämlich dann, wenn die Bundeskanzlerin höchstpersönlich den Journalisten Rede und Antwort steht. Der Grieche Tsipras ist der neue Politstar Europas und er besticht vor allem durch seine scheinbaren Widersprüche: Er ist ein mutmaßlicher Linksradikaler, der als Regierungschef die Kredite für sein Land neu verhandeln möchte, aber zum Euro steht.
Reiseziele mit Absichten
Die Reisen nach Paris und Berlin hat Alexis Tsipras mit Bedacht geplant. In der deutschen Hauptstadt tauscht er sich mit den Spitzen der SPD und der Linkspartei aus. Denn es gilt als wahrscheinlich, dass bei den Parlamentswahlen in Griechenland am 17. Juni das Linksbündnis Syriza zur stärksten Kraft gewählt und danach wohl auch die Regierung stellen wird. Dreieinhalb Wochen vor dieser Wahl will der Syriza-Chef die Medien in Deutschland und Frankreich nutzen, um seine Position zu erläutern und sein Image möglichst zu korrigieren. Mehr noch: Tsipras will in den beiden wichtigsten Ländern der EU den Ängsten von Bevölkerung und Politikern entgegentreten, eine Syriza-Regierung würde mit ihrer Politik die Stabilität der Eurozone in Frage stellen: "Wir sind keine politische Kraft, die Europa in die Katastrophe führen will - auch wenn die Medien in Griechenland und sicher auch manche in Europa das so darstellen. Im Gegenteil - wir sind eine zutiefst pro-europäische Kraft."
Sein wichtigstes Ziel der Reise nach Frankreich und Deutschland ist die Neuverhandlung des Kreditvertrages, den Griechenland mit der EU und dem Internationalen Währungsfonds abgeschlossen hat. Die verordneten Sparmaßnahmen, so Tsipras, hätten das Bruttoinlandsprodukt in Griechenland um 20 Prozent sinken lassen, während die Arbeitslosigkeit auf fast 25 Prozent gestiegen und ein großer Teil der griechischen Bevölkerung verarmt sei. Sollten die Kreditgeber weiterhin auf die Kürzung von Löhnen und Pensionen, auf Steuererhöhungen und Sonderabgaben bestehen, habe das Land keine Chance auf Wachstum.
"Absurder Fehler"
Tsipras überrascht mit einem Appell: "Wir wenden uns an die deutschen Bürger, die deutschen Steuerzahler und fragen Sie: Wie lange noch stecken Sie Ihr Geld in ein Fass ohne Boden? Sie können nicht ständig in ein ineffektives Programm investieren." Denn wenn das weitergeführt werde, dann werde Griechenland in wenigen Monaten ein drittes Kreditpaket und einen zweiten Schuldenschnitt benötigen. "Wir behaupten nichts Absurdes - absurd ist es, wenn die europäischen Regierungen auf einem Fehler beharren. Der muss korrigiert werden." Das 'Wie' allerdings bleibt Alexis Tsipras schuldig. Ein konkretes Programm stellt er nicht vor. Vielleicht mag er sich auch nicht gegenüber den griechischen Wählern festlegen.
Diese Wähler haben, so der Chef der griechischen Linkspartei, mit ihrem Votum eindeutig gegen die Kreditbedingungen votiert. Sie haben die beiden Parteien abgestraft, die die Sparmaßnahmen unterstützen: Die konservative Nea Dimokratia und vor allem die sozialdemokratische Pasok. Der Wählerauftrag sei eindeutig und er fühle sich ihm verpflichtet.
"Europa besteht nicht aus Vermietern und Mietern"
Wenn aber Griechenland die Bedingungen nicht erfüllt, wird der Kredit gestoppt und das Land muss aus der Eurozone austreten, wird Tsipras entgegenhalten. Er reagiert mit einem deutlichen Hieb auf Bundeskanzlerin Angela Merkel: "Europa besteht nicht aus Vermietern und Mietern. Wir Griechen fühlen uns nicht als Mieter in der Eurozone, sondern als vollwertige Mitglieder. Keiner hat das Recht, sich als Besitzer zu fühlen. Wir alle müssen uns unserer Verantwortung bewusst werden." Ist er sich denn der Verantwortung gegenüber Europa bewusst? Ja, betont Alexis Tsipras. Diejenigen, die seinen Wunsch, die Kredite neu zu verhandeln, nicht akzeptieren, sollten sich die Stimmung der griechischen Bevölkerung und der griechischen Parteien vergegenwärtigen: "Syriza ist der Konsens."