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Politik

Abschied und Aufbruch in Algerien

5. April 2019

Nach dem Rücktritt von Staatspräsident Bouteflika diskutieren die Algerier über einen Neuanfang. Der soll nach den Vorstellungen vieler einen radikalen Wandel bringen. Ob ihn die alte Elite übersteht, ist ungewiss.

Abdelaziz Bouteflika
Bild: picture-alliance/dpa/S. Djarboub

In seiner wohl letzten öffentlichen Äußerung gab sich Abdelaziz Bouteflika stolz und bescheiden zugleich. "Die letzten 20 Jahre habe ich mich der Arbeit für Sie gewidmet", wandte sich der ehemalige Präsident Algeriens in einem offenen Brief an seine Landsleute. Von sich selbst sprach der Präsident als einem "einfachen Bürger" und gab sich im weiteren bescheiden und selbstkritisch. "Da Irren menschlich ist, bitte ich um Verzeihung für jede Verfehlung Ihnen gegenüber, sei es durch ein Wort, sei es durch eine Geste." Er könne in Worten seine Dankbarkeit kaum ausdrücken, so der Präsident weiter. "Weil nichts im Leben ewig ist, verlasse ich die politische Bühne ohne Traurigkeit und ohne Angst um die Zukunft unseres Landes", schloss er.

Derweil hat das Ringen um die Zukunft begonnen. Die Zeitung "Al-Shorouk" aus Algier deutete in einem Kommentar die Dimensionen des Wechsels an. Alles müsse neu definiert werden: die Republik, die Verfassung, die politische Ordnung und überhaupt das Fundament des Staates. Das gesamte System habe eine Richtung genommen, in die es nie hätte geraten dürfen. "Nun kommt es darauf an, diese Richtung zu ändern, die Funktionalität des Staates zu verbessern und auch den alten Hass hinter uns zu lassen."

"Alle sollen gehen": Demonstration gegen die bisherige politische Elite, Algier, 2. April 2019 Bild: AFP/Getty Images/R. Kramdi

Dass der Aufbruch eine Veränderung der politischen Kultur in Algerien voraussetzt, sieht auch der Nordafrika-Experte Nasser Weddady so. Die politischen Parteien des Landes seien während der vergangenen Jahrzehnte sehr stark geschwächt worden. Die Regierung und deren politisches Umfeld hätten die Parteien mit einer Vielzahl schmutziger Tricks zu schwächen und zu diskreditieren versucht, sagte er im Gespräch mit der DW. "Die Herausforderung für die Zivilgesellschaft sowie die politischen Parteien besteht nun darin, den historischen Moment zu nutzen und eine politische Vision zu erarbeiten, der sich die Algerier anschließen und für die sie stimmen können."

Kampf gegen die Korruption

Wie sich das Engagement für einen politischen und ethischen Neuanfang gestalten könnten, zeigte sich Mitte der Woche in der Sendung "Massaiyya" auf dem arabischen Fernsehkanal der DW. Die eingeladenen Gäste diskutierten unter anderem das Thema Korruption. Zwar hat Algerien sich nach Informationen der Anti-Korruptions-Organisation "Transparency International" leicht verbessert und landete auf Platz 108 von 183 Plätzen insgesamt. Im Jahr zuvor fand sich das Land noch auf Platz 112. Trotzdem wird die Korruption als eines der größten Hemmnisse für die weitere Entwicklung Algeriens wahrgenommen.

Entsprechend widersprüchlich werden jetzt deren Ursachen diskutiert. Der Rechtsanwalt und ehemalige Präsident der "Algerischen Liga zur Verteidigung der Menschenrechte" Mustapha Bouchachi richtete sein Augenmerk in der DW-Sendung auf Generalstabschef Ahmed Gaid Salah. Der hatte mit seinen öffentlich geäußerten Bedenken über Bouteflikas Gesundheitszustand wesentlich zu dessen Rücktritt beigetragen. Salah, Bouteflikas Stellvertreter als Verteidigungsminister und langjähriger Vertraute, sei zwar nominell nicht mit der Bekämpfung der Korruption befasst gewesen. Aber er habe dem Präsidenten nahe gestanden - und der habe Gesetze erlassen, die die Korruption nicht hinreichend bekämpften, sondern im Zweifel sogar schützten. Anders sieht es der Politologe Sliman Araj. Für die Korruptionsbekämpfung seien ausschließlich die Justizbehörden verantwortlich. Man solle die Schuldzuweisungen nicht ins Spekulative treiben, erklärte er in der Sendung.

Veteranen des algerischen Bürgerkrieges schließen sich den Protesten gegen die Eliten anBild: picture-alliance/dpa/T. Doudou

Doch gleich, wo man die Korruption verortet, im engeren oder erweiterten Machtzentrum oder im System selbst: Die Aufgabe, ihrer Herr zu werden, dürfte enorm sein. Auch die Zeitung "Al Shorouk" griff das Thema auf - und verwies darauf, wie sehr gerade diejenigen unter ihr hätten leiden müssen, die nicht bereit waren, sich ihr zu unterwerfen. 

Alte Garde unter Beschuss

Dass die alte politische Garde die Veränderungen zumindest nicht wie selbstverständlich überstehen könnte, deutet sich schon an. Vertreter der Oppositionspartei "Sammlungsbewegung für Kultur und Demokratie" erklärten am Donnerstagnachmittag, mit den bisherigen Repräsentanten der Regierung sei ein Aufbruch unmöglich: "Ein wirklicher Aufbruch kann nicht erfolgen ohne den Weggang aller Clans, die die Nation ruiniert und die Hoffnungen des algerischen Volkes vernichtet haben. Diejenigen, die sich momentan hinter dem Stiefel von General Gaid Salah drängeln, sind nicht als die Totengräber des demokratischen Algeriens von morgen."

Vertreter der Protestbewegung haben bereits angekündigt, am Freitag wieder auf die Straße zu gehen. Sie gehen davon aus, dass die Menschen, die sich bis jetzt an den Kundgebungen beteiligten, erneut dabei sein werden. Auf den Straßen und Plätzen des Landes hat sich eine Bewegung gebildet, die nach den bisherigen Eindrücken ganz offenbar den Eindruck hat, sie sei zu groß, um ignoriert zu werden.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika